Nach 25 Jahren zeigt Choreograf Lloyd Newson wieder sein Stück "Enter Achilles".

Miguel Altunaga

Lloyd Newson trotzt der Gewalt in Merry Old England.

Fiona Cullen

Er wird definitiv nie mehr ein neues Stück produzieren. Darauf beharrt Lloyd Newson. Bis 2016 hat der aus Australien stammende Wahlbrite in London drei Jahrzehnte lang sein berüchtigt-radikales DV8 Physical Theatre geleitet. 2013 war er von einem britischen Kritikerkomitee in den Kreis der "100 einflussreichsten Personen in der Kunst der vergangenen 100 Jahre" aufgenommen worden.

Exakt ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung von Enter Achilles in der von Brigitte Fürle bei den Wiener Festwochen kuratierten Reihe Hoppla, wir leben, präsentiert Newson eine Neubearbeitung der legendären Choreografie. Die Premiere mit neun Tänzern des Londoner Ballet Rambert zeigt Fürle jetzt am Freitag im Festspielhaus St. Pölten.

Enter Achilles gibt tiefe Einblicke in die Sitten einer misogynen, schwulenfeindlichen Männerwelt am Pubtresen. Getanzt wird zwischen Bier, Posen und Brutalität. Auf die "netten bewegten Tapeten" einer formschönen Ästhetik hat Newson immer schon verzichtet: "Ich bin mehr an Inhalten interessiert gewesen, daran, mich voranzubringen." Dann habe er den permanenten Druck, wie ihn die Leitung einer weltbekannten Company mit sich bringt, sattgehabt. Die Reinszenierung von Enter Achilles ist bis dato eine Ausnahme von der Regel. Nun lebt er eine seit 25 Jahren bestehende Partnerschaft oder besucht die betagten Eltern in Australien.

Die Realität ist härter

Trotz aller Krisen der Gegenwart will Newson nicht in Negativität baden: "Ich habe als schwuler Choreograf mein Leben lang für Gay Rights gekämpft, und während meines bisherigen Lebens sind die Dinge für Homosexuelle und Frauen viel besser geworden." Die von einer englischen Zeitung geäußerte Vermutung, was in Enter Achilles zu sehen sei, wäre zu schlimm, um wahr zu sein, nervt den Choreografen: Die Realität sei härter als alles, was in dem Stück dargestellt wird. Er zählt aktuelle Beispiele für Gewalt gegen Schwule allein in seinem persönlichen Umfeld auf und weist auf den massenhaften sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch diverse "grooming gangs" in Großbritannien hin.

Zweifel, ob kritische Kunst Veränderungen bewirken kann, pariert Newson mit der Schilderung von Publikumsreaktionen, beispielsweise auf sein Dokumentarstück Can We Talk About This? (2011). Es ging um Meinungsfreiheit und Zensur in Bezug auf den Islam. Zu Wort kam in der Performance u. a. auch die Labour-Politikerin Ann Cryer: Kann sie gegen Zwangsehe eintreten, ohne als Rassistin zu gelten? Als Feedback erreichte die Company unter anderem der Dank eines Muslims dafür, dass die Stimmen unterdrückter iranischer Frauen hörbar gemacht wurden.

Nette kleine Kunstwelt

Aktuell reicht Newsons Kritik an männlichen Verhaltensdesastern definitiv bis in höchste Kreise der Politik. Lloyd Newson erinnert daran, dass Großbritanniens neuer Premier Johnson in den 1990ern als Journalist für den Daily Telegraph über "heiße Weiber" ("hot totties") bei Konferenzen und schwule Männer als "tank-topped bumboys" ("Stricher in bauchfreien Tops") herzog. Deswegen sei es wichtig, Enter Achilles gerade jetzt noch einmal aufleben zu lassen: "Das Klassenthema, wie es der Brexit zutage gebracht hat, oder der Fall Weinstein, mit dem die Frage, was Männer sind, gestellt wird. Das berührt die Genderthemen bis hin zur Transsexualität. In unserer netten kleinen Kunstwelt müssen wir daran erinnert werden, dass es außerhalb noch eine andere, eine komplizierte Welt gibt." (Helmut Ploebst, 14.2.2020)