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Zum Weinen! Die Pseudonyme Bussibär, Stehaufmanderl, Coolman, Wildschweindi – lauter erwachsene Männer. Wer kann so eine Person ernst nehmen?

Foto: Getty Images / ARTPUPPY

Anfänglich habe ich nur herumspioniert, da und dort geschmökert und gustiert, schließlich Konten angelegt, denn ohne mitzuspielen, erfährt man nicht, was läuft. Auf einem der Portale dreht sich die Welt hauptsächlich um Sex, es liefert in meinem Alter wenig Auswahl.

Das nächste wirkt spießig und angepasst, auf einem weiteren, das seriös tut, finde ich nur Langweiler. Allmählich kapiere ich den Unterschied zwischen Sexbörsen (Börse!), Singlebörsen (für mittelfristige Interessen) und Partnerbörsen (für langfristige Planung). Schließlich habe ich mich für eine mit diversifiziertem Angebot entschieden, eine Singlebörse also.

Mann nach Katalog

Sie listet 350 Männer in meiner Stadt in meiner Altersklasse. Ich suche also einen Mann nach Katalog. Zumindest sieht es anfänglich so aus. Manche verweigern ein Foto. Aber man kann sie sortieren, nach Alter, Beziehungsstatus und Haarfarbe (keineswegs nur Grau, wie man erwarten würde), auch nach Größe und Gewicht, Herkunft oder Sprachkenntnissen, Religion oder Werthaltungen.

Skurrile Typen treffe ich in diesem Panoptikum. Manche schauen aus wie eine Kreuzung aus Quasimodo und Houellebecq. Man glaubt nicht, was für Welten liegen zwischen einem 59-Jährigen und einem 65-Jährigen, und beim Alter wird geschummelt, dass sich die virtuellen Balken biegen.

Einer postet drei Fotos von sich und sechs von seinem Hund. Haare sind zerrauft, ordentlich frisiert oder geschniegelt. Manche präsentieren sich im Unterhemd, andere mit nacktem Oberkörper. Daneben steht einer in weißem Sakko, prostet mit dem Sektglas in die Kamera, im Hintergrund leuchtet eine Yacht. Man wähle.

Eitelkeiten, Unzulänglichkeiten

Merkwürdigerweise führen viele den Beruf nicht an, dabei ist er doch essenziell und lebensbestimmend, und in höheren Jahren hat er einen Menschen auch geprägt. Warum steht der Beruf nicht da? Ist er öd?

Irgendwann stellt man fest, dass manche Metiers gehäuft vorkommen, Architekten etwa. Eine erstaunliche Anzahl an Piloten macht zunächst einmal neugierig und dann misstrauisch. Ist er vielleicht gar kein Pilot?

Ungewöhnlich viele "Romeos", ungewöhnlich viele Segler und Dandys in bunten Anzügen. Zieht so etwas Frauen an? Mich nicht. Und es gibt die netten Männer, die nett aussehen, in netten gepflegten Einfamilienhäuschen in netten Vororten.

Manche wirken schon ganz verzweifelt, scheinen es gar nicht erwarten zu können, bis endlich eine anbeißt, und beschreiben nicht sich selbst, sondern ihre Lebensumstände. "Es ist das Haus in XY hinter dem Feuerwehrhaus." Einer gibt sich gleich das Pseudonym "Wohnhaus".

Frauenbild

D. (69) wünscht sich nach einem Gehirnschlag eine Betreuerin und bietet dafür viel Liebe und ein geregeltes Leben. Auf dem Foto sitzt er im Rollstuhl. Als kleinen Makel führt er an, manchmal ein Dickkopf zu sein. Er verwechselt die Partnervermittlung mit einer Stellenvermittlung, bei der man das Personal nicht bezahlen muss. Wie viel Selbstbewusstsein muss so ein Mann haben? Und noch schlimmer: was für ein Frauenbild?

Dieses Muster ist gar nicht selten, gesucht wird nach einer Pflegerin oder Haushälterin, also Arbeitskraft, im Gegenzug werden Liebe, Treue, Verlässlichkeit und andere nicht ad hoc überprüfbare, religiös anmutende Tugenden aufgeboten, und zwar bis ans Lebensende. Heirat nicht ausgeschlossen.

Ein ORF-Bericht über Valentinsprogramm in Wien.
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In der Palette an Persönlichkeiten finden sich auch die, die dekorativ vor einem teuren Auto oder Motorrad stehen und ihr Einkommen mit mehr als 100.000 Euro pro Jahr beziffern. Nur Angeber oder Hochstapler? Manche fahnden zielgruppenorientiert mit dem Pseudonym "Porsche", "Mercedes" oder "BMW" nach passender Weiblichkeit.

Überhaupt, die Pseudonyme: Bussibär, Petzi, Schmusebär, Brummbär, Honigbär, Stehaufmanderl, Coolman, Bulle, Wildschweindi – lauter erwachsene Männer. Wer kann so eine Person ernst nehmen? Oder Kuscheltiger, Kuschelwolf, Devil. Wer möchte mit einem Tiger oder einem Wolf kuscheln? Oder dem Teufel?

Große Oper, großes Kino

Was die Angaben zu Freizeit und Hobbys betrifft, tummeln sich Myriaden von Konzert-, Theater- und Ausstellungsbesuchern in dieser Männergalerie. Aber kaum einer sieht fern. Es ist eine Zurschaustellung männlicher Eitelkeiten, zugleich eine ungewollte Offenbarung von Unzulänglichkeiten, von ungenügenden Rechtschreibkenntnissen und ungepflegtem Äußeren, von zu viel Essen und zu wenig Sport.

Eine Palette unerfüllter Sehnsüchte tut sich auf, große Liebe, erfüllender Sex (das kommt meist nur in Andeutungen daher) und harmonisches Zusammenleben – große Oper und großes Kino also auf den Kuppelportalen, nicht unähnlich der verkitschten Zweisamkeit aus Schlagern und Werbung, gewissen Romanen und Filmen.

Ein Bedürfnis nach intellektueller Auseinandersetzung wird selten deponiert. Denn obwohl die Plattformen Möglichkeiten bieten, einige Zeilen individuell zu füllen, nutzen sie die wenigsten und vornehmlich die mit höherer Schulbildung.

Stereotypen

Und durch die Masken, die die Software vorgibt, versteckt sich Persönlichkeit hinter Stereotypen. So kann man aus einer Anzahl vorfabrizierter Sätze wählen ("Ich bin schüchtern", "Ich bin chaotisch", "Ich bin ungeduldig") und das Gewünschte einfügen.

Bei der Angabe "Ein Fehler von mir" ist eine häufige Antwort: "Ich bin zu ehrlich." Und man glaubt es kaum, fast alle halten sich für Romantiker. Da ist einer schon ein Individualist, der kein Romantiker und nicht zu ehrlich ist.

An verregneten Samstagvormittagen kommen die meisten Klicks, in der Szene "Lächeln" oder "Kompliment" genannt. Jemand klickt auf mein Foto, und ich soll glauben, er lächele mich an, dar auf soll ich reagieren und eine fantasievolle Anmache formulieren. Die Partnersuche erfolgt definitiv in Abhängigkeit vom Wetter.

Guten Morgen! Hallöchen!

Es gibt die, die nur "Hallo" schreiben oder "Hallöchen" oder "Guten Morgen". Einer fragte: "Bist du jetzt ausgeschlafen?" Sonst nichts, aber das eine Zeitlang alle drei Tage. Es gibt die, die nur eine Telefonnummer schicken – und diese streuen sie wohl so breit wie möglich.

Es gibt die, die sich schriftlich nicht ausdrücken können, denen es offensichtlich schwerfällt, auch nur einen Satz zu formulieren. "Schreib mir etwas", lautet so eine verzweifelte Zeile, ohne Anrede, ohne Bitte. Einer lässt wissen: "Du bist hübsch, ich kann sehr gut kochen", als ob zwischen den zwei Behauptungen ein Zusammenhang bestünde.

Und dann plötzlich, riesige Überraschung, nach fünfzehn gestammelten Anfragen, kam unvermutet eine Nachricht wie ein richtiges kleines Briefchen, formvollendet und unfallfrei getippt. Ich war so perplex, dass es so etwas auch gibt, dass ich sofort geantwortet und den Herrn schließlich getroffen habe. Er war ein Gentleman.

Nie wieder!

Überhaupt, das erste Treffen. Viele gab es nicht. Gespannte Erwartungshaltung bis leichte Nervosität, je nachdem wie attraktiv mir der Mann schon im Vorfeld erschien. Wenn ich bemerkte, nach so ungefähr ein bis drei Sekunden, nein, der ist es nicht, setzte die Panik ein: Wie komme ich da jetzt wieder heraus, ohne allzu sehr kränkend zu sein? Ich habe ein schlechtes Gewissen, finde mich arrogant, denke: Nie wieder!

Schließlich überwinde ich mich, mein Nichtwollen durch die Blume, aber unverblümt per SMS mitzuteilen, so in der Art, dass ich doch nicht bereit sei für ein neues Abenteuer zu zweit, oder eine ähnliche höfliche Lüge, die die Ursache meines Rückzugs in mir festschrieb und nicht in ihm.

Und dann habe ich begonnen, von mir aus anzubahnen. Explizit ermuntern die Admins der Dating-Apps Frauen, initiativ zu werden, sie wollen viel Verkehr in ihren Netzwerken schaffen und die Kunden vor den Bildschirmen halten.

Dabei musste ich feststellen, dass ich in die engere Wahl nicht zuerst jemanden nehme, der mich von Foto oder Beschreibung her am ehesten anspricht, sondern den, der in seiner Selbstdarstellung so viel Originalität aufweist, dass mir etwas zum Antworten einfällt. Anders ausgedrückt: Online Daten entpuppt sich unerwartet als literarische Kategorie.

Warten auf eine Aufforderung

Und was geschah, wenn ich selbst aktiv wurde und jemanden vermeintlich diskret beturtelte? Es geschah meistens genau gar nichts, ich bekam keine Antworten, dabei habe ich keine Jüngeren ausgewählt, sondern gesetzte Herren. Manchmal kamen höfliche Absagen, manchmal erst nach acht Wochen, etwa: "Ich habe schon eine Frau gefunden."

Frau oder zumindest eine Frau, die Jahre aufzuweisen hat, ist also wie in der Tanzstunde in ihrer Jugend darauf angewiesen, dass jemand sie auffordert, sonst bleibt sie sitzen. Nahezu alles auf der Welt hat sich in diesem halben Jahrhundert geändert – nur das nicht; der ganze mühsame feministische Kampf – auf dieser gesellschaftlichen Ebene bisher gänzlich wirkungslos.

Bei der hochmodernen Variante der Kontaktanbahnung, die online erfolgt, werden die habituellen Praktiken uralter konservativer Rollenmodelle laufend performativ wiederholt und durch Interaktionen bestätigt.

Nach drei Monaten mitspielen konnte ich vier Gruppen unterscheiden, denen sich die meisten Anwärter zuordnen ließen:

Solche, mit denen sich rasch ein rechtsextremer Dialog entwickelte: Um vor einem eventuellen Treffen die politische Einstellung eines Kandidaten zu eruieren, habe ich – ich gestehe es – Fallen und Fangfragen gestellt, etwa einen Satz über Geflüchtete in die Kommunikation eingestreut. Manch einen wollte ich aufgrund seiner Reaktion dann nicht mehr sehen.

"Masseur"/"Physiotherapeut"

Jüngere, von 18 bis um die 55, die schnellen Sex suchen und dies umstandslos deutlich machen, indem sie die erfahrene Frau strapazieren oder sich in eindeutigen Zweideutigkeiten und Anzüglichkeiten ergehen und passende Emojis schicken.

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In den Nachrichten, die sie senden, gehen sie mit Buchstaben sparsam um, verständlich, sie müssen an die Trefferquote denken. Diese Gruppe ist übrigens die größte der vier, in ihr tummeln sich definitiv auch haupt- oder nebenberuflich tätige Sexarbeiter, notdürftig getarnt als "Masseur" oder "Physiotherapeut".

Das sind die Schlitzohren

Und dann sind da noch die scheinbaren Frauenversteher, die sich sehr anstrengen, verliebt zu tun, ohne dass sie einen gesehen haben, das sind die Schlitzohren, die man früher Heiratsschwindler nannte. Die uralte, erprobte Methode, Gefühle vorzugaukeln, um an Geld heranzukommen, perfektionieren sie in den Cyber-Welten.

Dabei sind sie leicht zu durchschauen, denn ihre Maschen sind einfach gestrickt: Gleich die zweite Nachricht beginnt mit "Liebste" und dann etwa: "Du bist wunderschön, und ich mag dein Lächeln, es sieht sehr aufrichtig aus. Unsere gemeinsame Reise hat gerade begonnen." Die Profis dieser Branche präsentieren sich gut aussehend, die Bilder oft dilettantisch gephotoshoppt, der schöne Schein genügt offenbar, dass das Geschäft läuft.

Ihre Angaben ähneln einander: Sie sind verwitwet, promoviert, beides schafft anscheinend Vertrauen, und sie haben sexy Berufe wie Architekt, Pilot, Jurist, Arzt. Sie geben sich eine ausländische Nationalität von gut reputierten Staaten wie der Schweiz, Norwegen, Frankreich, England.

Und sie schreiben ein merkwürdiges Deutsch, es ist nicht das Radebrechen eines, der sich in einer Zweitsprache abmüht, sondern es sind verschwurbelte, unverständliche, oft schwülstige Sätze, aber eher ohne Tippfehler und Orthografieschwäche.

Liebe und Geld

Die Betreiber der Kuppelplattformen warnen vor betrügerischen Absichten. Vor dem ersten Treffen befindet sich der Aspirant – oh wie peinlich! – plötzlich in einer momentanen Bredouille und benötigt dringend Geld, um überhaupt anreisen zu können (daher die ausländische Nationalität). Für die folgende Woche aber hat er geplant, die Terrassenwohnung in der Innenstadt zu kaufen – für die gemeinsame Zukunft. Oder so ähnlich.

Es muss ein anstrengendes Geschäft sein, den romantischen Wunsch nach Liebe in Geld umzumünzen. Ob das nun Einzeltäter sind oder eine organisierte Mafia, die Fake-Profile in großer Zahl erstellt und bezahlt, wie auch gemunkelt wird, möge bitte die Polizei oder eine Investigativjournalistin herausfinden.

Bloß eine Kategorie von Männern kommt kaum vor auf diesem Markt mit seiner reichhaltigen Auswahl: Gleichaltrige, die auch nur in irgendeiner Form attraktiv wären, haben sich kaum eingestellt. Die wenden sich nämlich Jüngeren zu.

Niederschmetternde Analyse

Die Soziologin Elizabeth Bruch hat Online-Dating-Märkte in den USA analysiert. Ihre Ergebnisse sind so banal wie niederschmetternd, sie reflektieren, was man ohnedies schon immer ahnte, sie sind eine vernichtende Schlappe für den Feminismus jeglicher Couleur.

Und es steht zu befürchten, dass man sich nicht damit trösten kann, dass amerikanische Befunde nicht auf ein europäisches Land übertragbar seien: In diesen virtuellen Räumen sind Männer im Alter so um die 50 am begehrtesten, und die Attraktivität von Frauen nimmt ab 18, also ab der Volljährigkeit, kontinuierlich ab.

Männer sind umso gefragter, je höher ihre formale Ausbildung, und für Frauen genügt ein Bachelor-Abschluss, mit einem Master sinken ihre Chancen – und noch mehr nach einer Promotion.

Auf dem Basar der Träume

Beim Cyber-Dating werden die althergebrachten Geschlechterdynamiken fortgeschrieben. Patriarchale Handlungsmuster, um nicht zu sagen implizites misogynes Denken, feiert fröhliche Urständ, und zwar unwidersprochen.

Diejenigen, die ein bisschen interessanter sind, interessantere biografische Details bekanntgeben, die intellektuell in der Lage sind, ganze Sätze zu formulieren, und noch mehr diejenigen, die sich mit Accessoires wie Porsches, Yachten und Landhäusern ausstatten, setzen für die Gesuchte ein Alterslimit fest, das weit unter ihren eigenen Jahren liegt. Wenn bei solchen Profilen die Dame auch älter sein darf, kann man davon ausgehen, dass hier wieder jemand in betrügerischer Absicht fischt.

Auf diesem Basar der Träume und Illusionen gelange ich zu der Erkenntnis, dass es virtuell genauso ist wie im realen Leben: Die, die finden, dass ich für sie infrage komme, sind mir zu alt. (Brigitte Weber, 14.2.2020)