Die Feierlichkeiten zum 30. Jubiläum des Mauerfalls sind verklungen, jene zum 30. der Wiedervereinigung sind in Vorbereitung. Nur will hüben wie drüben keine echte Stimmung aufkommen. Viele Wessis blicken angewidert auf die rechtsradikalisierte politische Landschaft im Osten; viele Ossis sehen sich als Deutsche zweiter Klasse. Man versteht einander nicht.

Ein differenziertes Bild vom Leben in der DDR.
Foto: Suhrkamp

Der Soziologe Steffen Mau hat mit "Lütten Klein" eine sozialwissenschaftliche Bilanz der Transformation der realsozialistischen in eine realkapitalistische Gesellschaft vorgelegt, die den Brüchen in der ostdeutschen Gesellschaft nachspürt und so die Verbitterung im Osten verständlicher macht. Der Professor an der Humboldt-Uni Berlin beschreitet dazu einen nicht alltäglichen Weg. Er beschreibt die Entwicklung in der DDR und den neuen Ländern im Gesamten, nimmt aber gleichzeitig das Rostocker Neubauviertel Lütten Klein als Detailbeispiel. Da Mau in den 1970ern in Lütten Klein aufgewachsen ist, entsteht eine Mischung aus Vogel- und Froschperspektive.

Mau gelingt es, ein differenziertes Bild zu zeichnen. Das Leben in der DDR ist nicht nur das dumpfe Vegetieren im grauen "Unrechtsstaat", sondern zum Beispiel von hoher Wohnzufriedenheit gekennzeichnet. Umgekehrt legt Mau aber auch offen, wie beispielsweise Rassismus oder Bildungsblockade Teil der DDR-Gesellschaft waren. Die Entwicklung nach 1989 sieht Mau kritisch.

Er beschreibt, wie der Versuch der Bürgerbewegung, die Gesellschaft zu demokratisieren, vom Westen rasch in ein nationales Projekte ("Wir sind ein Volk") umgedeutet wurde, wie sich der demografische Umbruch (Schrumpfgesellschaft, Männerüberschuss) auswirkt. Es sind die Defizite im Vereinigungsprozess wie auch das Erbe der DDR gleichermaßen, die zu den bekannten gesellschaftlichen Frakturen und Verwerfungen in Ostdeutschland geführt haben. (Thomas Neuhold, 13.2.2020)