Einfach "nur" nachhaltige oder faire Produkte hingegen seien zwar weniger schädlich als konventionelle Erzeugnisse, reduzieren aber lediglich die negativen Folgen.

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Jedes Piepen an der Kasse soll "ein Signal für eine bessere Welt" sein, verspricht der Schokoladenhersteller Nucau auf seiner Homepage. Deshalb pflanze das Unternehmen mit jedem verkauften Produkt einen Baum. "Und jeder Baum bindet etwa 300 Kilogramm CO2 aus der Atmosphäre", verspricht Nucau. Was könnte utopischer klingen als Schokolade, die nicht nur ihren Käufer glücklich macht, sondern auch noch den Klimawandel bekämpft? Oder gar Armut lindert, indem pro verkaufte Tafel dafür gesorgt wird, dass eine bedürftige Person eine Mahlzeit erhält? Kauft man diese Produkte, versprechen die Unternehmen, dass automatisch ein Prozentsatz des Ertrags an Umweltprojekte geht oder ein gleichwertiges Produkt an Bedürftige gespendet wird. Durch das Befriedigen eigener Bedürfnisse fördert man nebenbei eine bessere Welt, so das Versprechen und die Vision der Unternehmer.

"Immer mehr Menschen verfolgen die Idee, Produkte zu machen, die nicht nur nachhaltig und fair sind, sondern darüber hinaus auch noch eine Mission verfolgen", sagt Simon Böhnlein. Der 30-jährige betreibt, vorerst nur in Deutschland, den Onlineshop "Goodbuy", der solchen Produkten eine Plattform bietet.

Geben statt nehmen

Größtenteils sind die Anbieter Produzenten, die Marken gezielt für einen bestimmten, guten Zweck entwickelt haben. Ein fixer Betrag pro Verkauf fließt dabei in Projekte, die mit dem Produkt in Zusammenhang stehen. Kauft man eine Glasflasche, soll das helfen Plastik zu sparen und gleichzeitig wird beim Kauf auch noch in Projekte zur Trinkwasserversorgung investiert. Böhnlein glaubt, dass eine neue Art des Konsums der Welt mehr zurückgeben kann.

Eine weitere Variante des neuen Konsums sind Businessmodelle, die einen positiven soziologisch-ökologischen Mehrwert haben und sich gleich um die gesamte Wertschöpfungskette annehmen: Ein Kaffeeanbieter kümmert sich dann etwa nicht nur um faire Bezahlung der Bauern, sondern sorgt dafür, dass alle Schritte von Röstung bis zu Verpackung und Vertrieb in den Anbauländern erledigt werden, damit die lokale Bevölkerung langfristig profitiert.

Einfach "nur" nachhaltige oder faire Produkte hingegen seien zwar weniger schädlich als konventionelle Erzeugnisse, reduzieren aber lediglich die negativen Folgen, sagt Böhnlein. Als Standard gelten in seinem Sortiment daher nicht mehr ein geringer ökologischer Fußabdruck und gute Produktionsbedingungen, die Hersteller müssen mit ihren Produkten zusätzlich noch Lösungen für die großen Probleme der Menschheit anbieten. Im Falle des eigenen Unternehmens bedeutet das: Der Onlineversand von Goodbuy selbst bindet auf Dauer CO2 aus der Atmosphäre, indem pro acht verschickter Pakete ein Quadratmeter Regenwald aufgeforstet wird.

Ist der "gute" Unternehmenszweck eines Herstellers nicht nur Marketing, sondern Kern der Sache und leistet einen konkreten Beitrag für die von der UN definierten Nachhaltigkeitsziele, qualifiziert er sich für Goodbuy. "So bekommt Konsum einen konkreten Sinn", so Böhnlein. Dennoch räumt er ein: "Konsum macht grundsätzlich die Welt nicht besser. Wir müssen alle weniger und vor allem achtsamer konsumieren. Unsere Generation ist und bleibt aber stark konsumorientiert. Es hilft also nichts, sich über den Konsum keinerlei Gedanken zu machen."

1+1=besser

Einen umfassenden Begriff für die neuen Unternehmenskonzepte gibt es noch nicht. Böhnlein spricht vom "guten Konsum", das deutsche Start-up Share hingegen will den Begriff "sozialer Konsum" etablieren. Nach dem 1+1-Prinzip stellt Share für jedes verkaufte Produkt automatisch ein gleichwertiges für einen Menschen in Not zur Verfügung. Die Botschaft dahinter: "Jedes Share Produkt ist 100 Prozent gut für dich und genauso gut für die Welt". Eine Flasche Wasser bedeutet einen Tag lang Trinkwasser, ein Snack eine Portion Essen, ein Pflegeprodukt ein Hygieneprodukt. Das Start-up des gebürtigen Wieners Sebastian Stricker agiert zwischen Konzern und NGO: "Wir können nur dann Gewinn maximieren, wenn wir zugleich auch unseren gesellschaftlichen Mehrwert maximieren. Das umfasst Hilfe in Entwicklungsländern, aber auch lokal in Deutschland oder Österreich."

In Österreich arbeitet Share mit der Caritas zusammen.
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Vorreiter des 1+1-Prinzips ist der Schuhhersteller Toms, der mit jedem verkauften Paar Schuhe Menschen in Not Augenoperationen, Wasser und Schuhe spendet. Der Konsum solcher Produkte komme laut Böhnlein auch aus diesem Grund so gut an: "Unsere Generation spendet nicht mehr so gerne an Organisationen und NGOs, weil man sich nicht mehr sicher ist, ob die Spenden ankommen, und ob das wirklich systemische Veränderungen hervorruft. Oft werden bei Spenden die Symptome gelindert, aber nicht die Ursachen bekämpft", so Böhnlein. Auch gegenüber Gütesiegel, wie Fairtrade, herrsche Skepsis, da sie für die Konsumierenden komplex seien.

Bei Share sorgt man für die nötige Transparenz, indem jedes Produkt mit einem QR-Code versehen ist – scannt man ihn, kann man nachverfolgen, wo die Hilfe aus dem gekauften Produkt hingeht. In Österreich arbeitet man etwa mit der Caritas als Partner zusammen. Bei den Kunden komme das vor allem deshalb so gut an, weil man nicht mehr nur an sich selbst denke, so Böhnlein. Er beobachtet eine Werteverschiebung: "Die Zeiten von 'Geiz ist geil' sind vorbei. Es geht in Richtung 'Nachhaltigkeit ist geil', aber auch darüber hinaus. Dieses Bedürfnis verstehen immer mehr Marken."

Anders als beim herkömmlichen Spenden entstehen für die Kunden durch den Mehrwert aber keine höheren Kosten, die Firmen selbst übernehmen den Spendenanteil. Bis dato konnten auf diesem Weg etwa 6,5 Millionen Mahlzeiten und 3,5 Millionen Hygieneprodukte verteilt werden, insgesamt um die 530.000 Menschen haben Hilfe erhalten, heißt es vom Unternehmen Share. Wie kann sich das wirtschaftlich ausgehen?

"Diese Modelle rentieren sich jedenfalls, obwohl die Firmen meistens keine großen Kapitalgeber haben und sehr klein sind. Viele unserer Partner sind nicht lieferfähig, weil die Nachfrage so groß ist", so Böhnlein.

Alles gut?

Die Sozioökonomin Sigrid Stagl hält den "guten Konsum" nur unter gewissen Bedingungen für sinnvoll: "Wenn ein Produkt weniger Schaden anrichtet als ein anderes und damit wirbt, davon dann aber mehr konsumiert wird, hebt sich der Effekt womöglich auf. Mehr Konsum ist grundsätzlich immer bedenklich", sagt Stagl. Nur unter der Bedingung, dass ein gleichwertiges Produkt ohne Mehrwert nicht gekauft werde, könne ein Kauf positiv sein.

Das Start-up des gebürtigen Wieners Sebastian Stricker (stehend) agiert zwischen Konzern und NGO:
Foto: Share

Die Kaufentscheidung sollte daher immer auf mehreren Ebenen betrachtet werden: Ist das Produkt in Plastik verpackt? Wie weit wurde es transportiert? Werden auch in der Herstellung soziale Standards berücksichtigt? Wie lange wächst der Baum, der gepflanzt wird? Ist es unterm Strich wirklich besser, als auf das Produkt zu verzichten?

Bei Share ist die soziale Säule die oberste Priorität. Man will vor allem ein Zeichen für sozialen Zusammenhalt setzen, wobei Produktattribute wie fair, nachhaltig und bio inbegriffen sind. "Soziale Nachhaltigkeit ist als ebenbürtig zur ökologischen Nachhaltigkeit zu sehen, losgelöst voneinander kann man das natürlich nicht betrachten. So versuchen wir, wo immer möglich, auch andere Dinge weiter zu verbessern, beispielsweise was das Thema Verpackungen angeht", heißt es von Share.

Das Abwägen vieler Konsumentscheidungen stelle laut Sozioökonomin Stagl eine große Schwierigkeit im Alltag dar. Plattformen, die eine unabhängig evaluierte Auswahl nach bestimmten Kriterien bieten, können da hilfreich sein, so die Expertin.

Auch Böhnlein von Goodbuy versteht, dass es für Konsumenten schwer nachzuvollziehen ist, ob sich Firmen nur nachhaltig präsentieren oder wirklich sinnvolle Arbeit leisten: "Wir fungieren da als eine Art Gatekeeper, weil wir uns genau anschauen können, was die Produzenten machen und was ihre Motivationen sind. Diese Filterfunktion ist wichtig und wird wichtiger werden."

Die Sozioökonomin Sigrid Stagl diskutierte im Dezember mit Ex-Agrarkommissar Franz Fischler über Klimaschutz.
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Organisieren

Es sei zwar richtig, dass jeder bei den eigenen Kaufentscheidungen mitdenkt, nur sei das nicht ausreichend, um die großen Probleme zu lösen, sagt Stagl. "Wenn man sich als Individuum mit vielen sehr kleinen Entscheidungen beschäftigt, lenkt das außerdem mitunter von den großen ab und es geht einem irgendwann die Energie aus." Wichtig sei dabei, nicht aus den Augen zu verlieren, was die "großen Hebel" sind, etwa die Mobilität.

"Der Kauf bestimmter Produkte darf nicht als einfacher Ausweg verstanden werden. Wenn ich nur mein Gewissen beruhige, indem ich ein bestimmtes, ethisches Produkt kaufe und dann beim Buchen der nächsten Flugreise nicht mehr länger über die Konsequenzen für das Klima nachdenke, ist das kontraproduktiv."

Viel entscheidender, als "richtig" einzukaufen, ist es laut Stagl, gemeinsam aktiv zu werden. "Man sollte sich fragen: Bin ich reiner Konsument? Oder agiere ich auch in der Rolle des Bürgers?" Auf vieles habe man als Individuum keinen Einfluss, daher sei es wichtig, sich zu organisieren und gemeinsam positive Strukturen aufzubauen. Gleichzeitig sollte auch die Forderung an die Politik gestellt werden, die Komplexität zu reduzieren und Transparenz zu schaffen: "Es braucht Regelwerke, die den Verkauf umweltschädlicher Produkte von vornherein verbieten. Manche Produkte tun der Gesellschaft nicht gut und sollten nicht mehr zugelassen werden. Die Verantwortung soll nicht dem Individuum umgehängt werden", sagt Stagl, nur dann könne wirkliche Systemveränderungen stattfinden. (Pia Gärtner, 14.2.2020)