Mangels Olympischer Spiele und nordischer Weltmeisterschaften bleibt den Skispringern nach der Vierschanzentournee nur die Skiflug-WM in Planica (19. bis 22. März) als anstrebenswerter Höhepunkt. Unmittelbar davor wird in Vikersund geflogen, aber schon an diesem Wochenende feiert der Kulm in Bad Mitterndorf nach zweijähriger Pause sein Comeback im Weltcup. Heute steigt die Quali für die Fliegen am Samstag und Sonntag.

2016 fixierte der Slowene Peter Prevc mit 244 Metern den Schanzenrekord vom Kulm. Schwerwiegender war der Sturz von Vorspringer Lukas Müller, der sich eine inkomplette Querschnittlähmung zuzog. Nach einem Rechtsstreit wurde 2019 auf Arbeitsunfall des Kärntners erkannt. Diesmal sind die Vorspringer nach dem ASVG angemeldet. Gefahr und Faszination des Fliegens halten sich stets die Waage.

Schuster: "Entweder du bis saugut, oder du hast insgesamt ein Gen dafür."
Foto: imago images / Sven Simon

STANDARD: Lässt sich der Unterschied zwischen Großschanzenspringen und Skifliegen in kurzen Worten erklären?

Werner Schuster: In kurzen Worten? Es geht halt 100 Meter weiter.

STANDARD: Und ausführlicher? Wie fühlt es sich für Springer an?

Schuster: Für die Springer ist es die Königsdisziplin. Einerseits wissen sie um die Kräfte, die da wirken, und dass sich der kleinste Fehler fatal auswirken kann. Was sie in Fleisch und Blut verinnerlicht haben, die Grundtechnik, trägt sie bei stabilen Bedingungen auf 120, 130 Meter. Beim Fliegen geht es aber darüber hinaus. Also wird es insgesamt schon ein bisschen ruhiger, schon im Bus, in der Kabine und dann im Aufwärmraum. Andererseits ist es ein Wahnsinnsglücksgefühl, wenn die Versuche gelingen. Man hat einfach mehr Zeit in der Luft und kann es in der richtigen Flugposition so richtig genießen, wenn man ins Tal gleitet, schwebt und die Kräfte so weit im Griff hat.

STANDARD: Man kann das Fliegen nicht so oft üben. Bevorzugt es gewisse Typen, die von eingelernten Abläufen nicht so abhängig sind?

Schuster: Das würde ich gar nicht sagen. Entweder du bis saugut in Form, oder du hast insgesamt ein Gen dafür. Wenn es eventuell schon immer deine Triebfeder war, weit zu springen, hinunterzufliegen und du einen dementsprechenden Sprungstil hast, mit dem du sehr schnell in die Fluglage kommst, dann wird die Sache leichter. In Deutschland ist Markus Eisenbichler ein Beispiel. Wenn ein gelernter Skispringer in der Form hinkommt, die Eisenbichler derzeit hat, dann geht da nichts. Aber es könnte sein, dass er gerade dort seinen Instinkt wiederfindet. Für ihn war der Weltrekord bzw. der deutsche Rekord immer das höchste Ziel in seiner Karriere. Entweder du bist also sehr gut in Form, oder du bist von klein auf auf dieses Fliegen ausgerichtet. Man sieht das bei manchen Slowenen oder bei den Norwegern. Die haben das fast ein bisschen in der DNA verankert. Da ist das ganze Volk verrückt nach dem Weltrekord. Da gibt es die Typen wie Johansson, Forfang oder Tande, der ja der Weltmeister ist. Die können beim Fliegen auch in Form kommen. Auch Österreich hatte immer wieder solche Athleten und stellt ja mit Stefan Kraft den Weltrekordhalter.

STANDARD: Gilt das auch für Gregor Schlierenzauer?

Schuster: Das muss man sehen. Er ist, obwohl er so viele Skifliegen gewonnen hat, eigentlich einer, der mit kalkuliertem Risiko an die Sache herangegangen ist, auch wenn das jetzt blöd klingt. Gerade wenn er in Form war, war sein Sprungstil sehr gut auf das Fliegen ausgerichtet. Wenn er die erste Unsicherheit, die erste Mauer überwunden hat, fühlte er sich in seiner Welt wahnsinnig sicher. Dann konnte er die Kräfte perfekt beherrschen. Da wird die Dimension so erfasst, dass man sich die Frage stellt, wie man nur zu kurz springen kann. Aber wenn man einmal vor der Mauer steht und gerade nicht von Anfang an reinkommt, stellt sich die Frage, wie man das nur beherrschen kann.

Der Kulm, ein Mordstrum von Schanze.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

STANDARD: Welche dieser Fragen stellt sich Schlierenzauer?

Schuster: Gregor hat das letzte Weltcupspringen in Willingen, in dem er Siebenter wurde, sicher geholfen. Da war er auch im Flugsystem ganz gut. Es ist jetzt die Frage, ob das schon reicht. Es hängt sicher viel vom ersten Tag ab. Nicht der erste Versuch muss schon perfekt sein, aber wenn du am ersten Tag nicht hineinfindest, dann fällt es nicht so leicht wie auf einer Großschanze, die Dinge gröber zu korrigieren. Auf einer Flugschanze musst du intuitiver handeln. Da ist es schon ein Vorteil, wenn du dir eine Bewegungssicherheit aufgebaut hast. Es geht einfach so schnell, wenn du mit zehn km/h mehr auf den Schanzentisch zufährst. Da kannst du nicht mehr richtig eingreifen, Korrekturen vornehmen.

STANDARD: Gregor sagt, dass er sich sehr auf das Skifliegen freut ...

Schuster: Das sagen sie alle ...

STANDARD: Klar, sollen sie sagen, dass sie Angst davor haben?

Schuster Ja, das wäre komisch. Und insgesamt merkt man schon, dass Gregor zuletzt punktuell erlebt hat, wie das ist, wenn er leichter wird, wenn es spielerischer wird, wenn es schneller wird, wenn die Phase nach dem Schanzentisch über den Vorbau hinaus richtig an ihm vorbeihuscht, als ob ihn einer beim Hintern genommen und nach vorn, oben hinausgezogen hat. Richtig genießen kann er dann die Fallphase, das Gleiten im zweiten Flugteil. Wenn es oben raus langsam geht, dann hat man zu viel Widerstand geboten. Willingen war die beste Vorbereitung auf das Fliegen, die Schanze geht so 150 Meter. Dass Gregor gerade dort an diesem Tag alle vier Sprünge über Training, Qualifikation und Bewerb gelungen sind, war bemerkenswert. Ich hoffe, dass er das mitnehmen kann auf den Kulm.

STANDARD: Was zeichnet diese Flugschanze aus?

Schuster: Sie ist die drittgrößte nach Vikersund und Planica, von der Flugkurve ist sie ganz gut. Die Flughöhe unmittelbar nach Verlassen der Schanzentischkante ist enorm. Obwohl die Veranstalter schon nachjustiert haben, sind die Sportler geschätzte acht Meter hoch in der Luft, was eigentlich unnötig ist, und da bin ich auch als Trainer schon das eine oder andere Mal zusammengezuckt. Man hofft natürlich, dass niemand aus dem Gleichgewicht kommt oder dass kein Materialbruch passiert. Bei dieser Höhe könnte man sehr schwer so korrigieren, dass man wieder auf den Beinen aufkommt. Es ist jedenfalls recht spektakulär. Hoffen wir, dass alle gut über den Vorbau drüber kommen. Dann können sie es wirklich genießen. (Sigi Lützow, 13.2.2020)