Zwei Medizin-Nobelpreise und die "Mikrobe des Jahres 2016": Streptomyceten räumen viele Preise ab – und das zu Recht. Die 600 Arten umfassende Actinobakterien-Gruppe stellt viele Stoffe her, die in der Medizin eingesetzt werden, darunter vor allem Antibiotika. Nicht nur Bakterien, auch Pilze und Würmer können mit Substanzen abgetötet werden, die aus Streptomyceten gewonnen wurden. Die meisten von uns haben auch auf ganz unerwartete Weise Bekanntschaft mit den kleinen Alleskönnern gemacht: Als größte Gruppe der bodenlebenden Bakterien sind sie verantwortlich für den typischen Waldgeruch.

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Bakterienkulturen im Labor
Foto: Reuters/Regis Duvignau

Gen-Cluster mit unbekannter Funktion

Für die Herstellung solcher Substanzen sind mehrere Schritte im Bakterium nötig. Verschiedene Enzyme verarbeiten einen Ausgangsstoff und reichen das Ergebnis an das nächste Enzym weiter. Die Gene für diese Enzyme befinden sich in sogenannten biosynthetischen Gen-Clustern im Bakteriengenom. Das sind Gruppen von Genen, die direkt nebeneinander auf der DNA angeordnet sind. Das bringt den Vorteil in der Evolution, dass diese Gene auch bei strukturellen Veränderungen in der Erbsubstanz meist gemeinsam an die Nachkommen weiter gegeben werden. Dort befinden sich zudem Resistenzgene, die dafür sorgen, dass die Streptomyceten von ihren eigenen Antibiotika unbeschadet blieben.

Solche Gen-Cluster wurden in einer aktuellen Studie im Wissenschaftsjournal "Nature" untersucht. Die Forscher der McMaster Universität in Kanada fokussierten sich auf sogenannte Glykopeptid-Cluster. Glykopeptide sind Proteine, auf deren Oberfläche Kohlenhydratketten angeheftet sind. Als die Forscher die Cluster miteinander verglichen, zeigte sich, dass einige keine Resistenzgene enthielten. Das legte die Vermutung nahe, dass diese Cluster eine andere biologische Funktion erfüllen könnten.

Zellteilung verhindert

Die Wissenschafter extrahierten zwei Stoffe, die sich in ihrer Struktur ähnelten, und testeten ihre antibiotische Wirkung. In der Tat zeigte sich, dass bestimmte Bakterienarten abgetötet wurden, sogar einige, die gegen andere Antibiotika resistent sind. Viele Antibiotika töten Bakterien, indem sie die Herstellung der Zellwandproteine und damit den Aufbau der Zellbarriere verhindern. Darauf hatten die zwei neuen Stoffe allerdings keinen Einfluss. Dies bestätigte, dass der Wirkungsmechanismus ein anderer sein musste als bei den bisher bekannten Antibiotika.

Elizabeth Culp, Hauptautorin der Studie
Foto: McMaster Universität

Nähere Untersuchungen ergaben, dass die Stoffe nicht den Aufbau sondern den Abbau der Zellwand verhindern. Das klingt überraschend, aber der Zellwandabbau ist notwendig, um eine Zellteilung und damit die Vermehrung der Bakterien zu ermöglichen. Sie tun dies, indem sie an die Zellwandproteine andocken und die Aktivität der Abbau-Enzyme unterbinden. "Die Zelle ist wie in einem Gefängnis. Sie kann nicht wachsen oder sich vermehren", sagt Elizabeth Culp, die Hauptautorin der Studie. Ein solcher Wirkungsmechanismus sei bisher noch nicht beschrieben worden.

Auch wenn dieser Fund von der klinischen Anwendung noch weit entfernt ist, ein erster Test bei einer Hautinfektion in Versuchsmäusen zeigte bereits gute Ergebnisse. Aufgrund der anderen Wirkungsweise könnten die neu gefundenen Stoffe auch bei Bakterien zum Einsatz kommen, die bereits gegen andere Antibiotika resistent sind. Da Antibiotikaresistenzen ein rasant wachsendes Problem bei der Behandlung von Infektionen darstellen, sind die nun vorgelegten Ergebnisse von großer Bedeutung. (Friederike Schlumm, 08.3.2020)