Hammer-Purgstall kam 1835 in den Besitz von Hainfeld. Ein Vierteljahrhundert davor hatte er das Anwesen nahe der Raab erstmals betreten ...

Foto: J. Kirchengast

Steirerblut ist kein Himbeersaft. Der Ursprung dieses Satzes, mit dem sich Reinhard P. Gruber (Aus dem Leben Hödlmosers) ein literarisches Denkmal geschaffen hat, bleibt im Dunkeln. Aber für eine Spezies von Wesen zwischen Leben und Tod muss der steirische Lebenssaft weit mehr Verlockung denn Drohung gewesen sein. Sonst käme der Ur-Vampir, genauer: die Mutter von Dracula und Co, nicht aus der Steiermark, genauer: aus dem Raum Feldbach im südoststeirischen Vulkanland.

Dort steht das Wasserschloss Hainfeld, eine Inspirationsquelle für Literaten bis in die Gegenwart herauf. Jüngstes Beispiel ist Dirk Stermans Roman Der Hammer. Darin verarbeitet der bekennende Wahlösterreicher deutscher Herkunft das Leben des Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall zu einem prallen Roman.

Hammer-Purgstall kam 1835 in den Besitz von Hainfeld. Ein Vierteljahrhundert davor hatte er das Anwesen nahe der Raab erstmals betreten, als Freund des Schlossbesitzers Gottfried Wenzel Graf von Purgstall.

Diesem gehörten auch die rund sieben Kilometer nördlich gelegene Riegersburg und die Herrschaft Radkersburg im Süden. Der Graf starb 1812. Fünf Jahre später folgte ihm der 19-jährige Sohn Wenzel in die Gruft der Wenzelskapelle in Riegersburg. Diese sollte zur Urzelle der Vampirdichtung werden.

Nach dem Tod des Sohnes

Die nach dem Tod ihres Sohnes tief deprimierte Witwe Jane Anne von Purgstall, eine gebürtige adelige Schottin mit dem Mädchennamen Cranestone, adoptierte den Orientalisten und vererbte ihm Schloss und Besitz Hainfeld. Ende 1835 wurde er als Joseph von Hammer-Purgstall in den Freiherrenstand erhoben.

Die Gräfin war im Frühjahr desselben Jahres verschieden. "Sie hat mir mit diesem Gut ein Sorgenfrei für die schönsten Monate des Jahres in einem der schönsten Täler der Steiermark bereitet", schrieb Hammer-Purgstall später.

Der Orientalist richtete sich im Schloss eine Bibliothek ein – bis heute die größte profane der Steiermark. Mit den "schönsten Monaten des Jahres" meinte er gewiss nicht den südoststeirischen Winter, der oft eine trübe Angelegenheit ist. Und doch war es diese Jahreszeit, die den abgelegenen Winkel Europas international bekannt machte.

Schloss Hainfeld or A Winter in Lower Styria: Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt mit seiner Familie in Hainfeld veröffentlichte der Schotte Basil Hall, britischer Marinekapitän, Wissenschafter und Forschungsreisender, 1836 seine Erfahrungen als Gast der Gräfin. Das Buch wurde noch im selben Jahr ins Deutsche übersetzt, im Jahr darauf folgte die französische Version.

Deutsche Version der Hainfelder Chronik

Hall war über Walter Scott mit Jane Anne Cranestone bekannt geworden, die zu dem schottischen Nationaldichter seit Jugendjahren freundschaftliche Bande pflegte. Während einer Italien-Reise erreichte Hall die Einladung der Gräfin nach Hainfeld. Aus dem geplanten kurzen Aufenthalt auf dem Weg zurück nach England wurde ein halbes Jahr, von Herbst 1834 bis Frühjahr 1835.

Hall bewohnte mit seiner Frau und den Kindern einen ganzen Trakt des Schlosses. Immer wieder flehte die Schlossherrin die Gäste an, die Abreise zu verschieben – in Vorahnung ihres Todes. Sie wollte nicht einsam sterben.

Als es geschah – am Tag der Tag-und-Nacht-Gleiche Ende März 1935, wie die Gräfin es vorausgesagt hatte –, machte Hall sich Vorwürfe, dass er sich ihren Tod insgeheim gewünscht hatte, um endlich abreisen zu können: "Ich war unzufrieden mit mir selbst, als ich fand, daß ich meine Hand nicht auf das Herz legen und versichern könne, daß ich erfreut sein würde, wenn die Gräfin wieder unter denselben Umständen lebe!"

Die deutsche Version von Halls Hainfelder Chronik wurde jüngst von dem Riegersburger Edelessig- und Schnapsmanufakteur Alois Gölles im Eigenverlag neu herausgegeben. Er wolle damit keinesfalls das Dracula-Genre bedienen, sondern ein kostbares historisches Dokument breiter publik machen, schreibt Gölles im Vorwort. Wie auch immer – der Titel der Neuausgabe lautet Graf Dracula zu Riegersburg: Vampiristische Inspirationen aus der Steiermark.

Geheime Kommandoaktion

Was aber hat der blutsaugende Untote mit der Riegersburg zu tun? Mit der Burg – nichts, außer dass sie im Besitz derer von Purgstall war. Die Wenzelskapelle befindet sich in der Pfarrkirche des Ortes. Es sind die Umstände der Grablegung, die die Fantasie der Literaten beflügelten.

Als Protestantin durfte Jane Anne eigentlich nicht in der Gruft unterkommen, die sie selbst hatte errichten lassen. Außerdem war in der Gruft kein Platz mehr, wegen eines laut Gölles "nicht ganz korrekt Beerdigten", der irgendwann heimlich unter die Särge von Vater und Sohn Purgstall gelegt worden war.

Unter aktiver Beteiligung Halls, den auch das schlechte Gewissen plagte, fand man eine Lösung.

Der Pfarrer erwies sich auf Betreiben eines prominenten Freundes der Gräfin gnädig und erlaubte die Beisetzung. Das Raumproblem löste man pragmatisch. In einer Art geheimer Kommandoaktion wurden nachts die drei Särge herausgeholt, und "ein paar tüchtige Todtengräber" (Hall) machten die Gruft um eine Elle tiefer.

"Der eingeschwärzte Sarg ward unten, die der beiden Grafen oben hingestellt, und es blieb noch grade Raum genug, um der Gräfin Sarg in die Lage zu bringen, nach der, wie sie sagte, ihr verwittertes und gebrochenes Herz sich lange gesehnt."

Vernichtung des Vampirs

Ist es allein diese Szene, die das Dracula-Genre begründete? Oder spielt dabei auch das Verhältnis Halls zu seiner schottischen Landsmännin eine Rolle, seine Gewissensbisse, dass er ihren Tod herbeigesehnt habe und wünschte, sie lebte noch? Dass es sich also um eine Untote handelte, die den Lebenden keine Ruhe lässt – wie die Vampire in der späteren Literatur?

Fest steht, dass Halls Hainfeld-Chronik als Grundlage des ersten Vampirromans diente: Carmilla, verfasst von dem irischen Autor Joseph Sheridan Le Fanu, erschienen 1872. Darin begegnet die junge Laura auf einem Schloss Karnstein in der Steiermark einem Mädchen namens Carmilla. Es entwickelt sich eine Freundschaft, ja eine Liebesbeziehung.

Carmilla entpuppt sich schließlich als Vampir-Wiedergängerin der verstorbenen Gräfin Mircalla (ein Anagramm von Carmilla) Karnstein. Die Geschichte endet mit der Öffnung des Grabes der Gräfin und der Vernichtung des Vampirs – was bei Laura ein Trauma hinterlässt. Karnstein ist unschwer als Cranestone zu decodieren.

Inspiration für Bram Stoker

Carmilla wurde zum Prototyp weiblicher, auch lesbischer Vampire in der Literatur. Zunächst inspirierte die Novelle den irischen Autor Bram Stoker zu seinem Roman Dracula (1897). Dessen Urfassung spielt ebenfalls in der Steiermark.

Im ersten Kapitel entdeckt der Protagonist das Grab der Vampirin. Offenkundige Parallelen bestehen auch zwischen Carmilla und der jungen, verführerischen Lucy Westenra. Stoker stieß dann aber auf den transsilvanischen Fürsten Vlad, und die vom Karpatenbogen umschlossene düstere Gegend schien ihm der bessere Hintergrund als die vergleichsweise beschaulich-sanfte Südoststeiermark. Das Einleitungskapitel erschien jedoch später gesondert unter dem Titel Draculas Gast.

Auch auf Elfriede Jelinek übte der Stoff seinen Reiz aus. 1987 veröffentlichte die spätere Literaturnobelpreisträgerin (2004) das Stück Krankheit oder Moderne Frauen. In dieser "Vampirfarce" verliebt sich die Krankenschwester und Vampirin Emily in die brave Mutter und Hausfrau Carmilla (!).

Als diese bei der Geburt ihres sechsten Kindes stirbt, beißt Emily zu, womit auch Carmilla zur Blutsaugerin wird. Aber selbst als Untote entkommen die beiden Frauen nicht dem gängigen Rollenbild. Die renommierte deutsche Regisseurin Claudia Bauer inszeniert im Nationaltheater Mannheim im kommenden Frühjahr "Jelineks Sprachkunstwerk im Spannungsbogen zwischen Schauergeschichte und aktuellen Weiblichkeitsdiskursen", wie es in der Vorschau heißt.

Vorstellen kann man sich vieles

Und wie steht es um das 1275 erstmals urkundlich erwähnte Schloss Hainfeld? Seine literarische Karriere setzte sich in dem Orientalistik-Roman Kompass (Boussole) fort, für den Mathias Enard 2015 Frankreichs angesehenen Prix Goncourt erhielt.

Vor wenigen Jahren ging das Schloss in den Besitz des Immobilienunternehmers Oliver Jungnickel über, der inzwischen viel Geld für die Renovierung in die Hand genommen hat. Noch unter der Vorbesitzerin Annabella Dietz hatte es in der Schlosskapelle im Rahmen einer Fernsehdokumentation eine blutige Carmilla-Performance der Feldbacher Künstlerin Roswitha Dautermann gegeben.

Zur Zukunft des Schlosses hält sich Jungnickel bedeckt. Vorstellen kann man sich vieles. Wie die Geschichte zeigt, ist die mythische Ausstrahlung des Ortes immer für eine Überraschung gut. (Josef Kirchengast, 16.2.2020)