Feminismus ist, wie inzwischen wohl alle mitbekommen haben, im Mainstream angekommen. Manchmal wird das kritisiert, weil der Feminismus damit auch kapitalistisch, angepasst, machtförmig, brav oder was weiß ich geworden sei. Mich hingegen stört das wenig. Alles andere wäre ja auch ein Wunder gewesen, und ich finde, ein radikaler Feminismus, also einer, der Geschlechterverhältnisse von der Wurzel her neu und freiheitlich denken will, hat es leichter in einer Umgebung, in der Feminismus prinzipiell für etwas Gutes gehalten wird (zumindest von den Guten), als in einer, wo die Leute Feminismus für eine ganz skurrile Sache halten.

Außerdem hat dieses Vordringen feministischer Grundideen in den Mainstream auch bewirkt, dass tatsächlich die Geschlechterdifferenz mehr als früher im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Theater, Museen, Universitäten, Bibliotheken, Bildungsstätten, Volkshochschulen und so weiter nehmen Themen in ihr Programm, in denen es um Frauen, weibliche Perspektiven, das Verhältnis der Geschlechter geht. Und das ist super.

Vom Feminismus abgrenzen

Allerdings ist es mir nun schon mehrmals begegnet, dass ich bei solchen Veranstaltungen war und die Beteiligten großen Wert darauf legten, sich vom Feminismus, oder zumindest vom "ideologischen" Feminismus, abzugrenzen. Sie sagten dann so Dinge wie "Ich beschäftigte mich in meinem Vortrag zwar mit Frauen, aber ich bin keine ideologische Feministin". Oder "Wir haben zwar über dieses (feministische) Thema geforscht, aber ich vertrete keine ideologischen Positionen". So etwas in der Art.

Von Mal zu Mal regte sich in mir Widerstand. Ich wollte widersprechen und sagen: Der Feminismus ist doch gar nicht ideologisch. Oder Feminismus entspricht wissenschaftlichen Standards, wir betreiben keine Ideologie.

Feminismus entspricht selbstverständlich der Logik, der Vernunft und den Standards der Wissenschaft.
Foto: APA/dpa/Christian Charisius

Irgendwann fiel mir aber auf, dass das eigentlich Quatsch ist. Ja, Feminismus entspricht selbstverständlich der Logik, der Vernunft und den Standards der Wissenschaft. Häufig übrigens im Unterschied und Widerspruch zu einer vorfeministischen, androzentrischen Perspektive, die von männlichem Universalismus nur so strotzte. Vor dem Feminismus wurde die Überlegenheit des Männlichen als selbstverständliches Apriori gehandelt, auf das hin dann alles interpretiert wurde. Der Feminismus hat, zumindest im wissenschaftstheoretischen Bereich, die Unwissenschaftlichkeit vieler vorheriger Theorien überhaupt erst aufgedeckt.

Aber Feminismus ist nicht nur das, nicht nur das Ausbügeln früherer androzentrischer Verzerrungen. Feminismus ist auch eine Ideologie, eine Setzung. Ein Bekenntnis zur Freiheit der Frauen nämlich.

Zwei Bedingungen, um feministisch zu sein

Wenn mich jemand fragt, wie ich Feminismus definiere, dann antworte ich immer, dass man, um feministisch zu sein, zwei Bedingungen erfüllen muss (egal ob man ein Mensch, eine Theorie, ein Buch oder ein Projekt ist).

  • Erstens: Man muss die Geschlechterdifferenz für eine relevante Analysekategorie halten (also man darf nicht so tun, als wären wir alle schon postgender oder als würde Geschlecht keine oder nur eine nebensächliche Rolle spielen).
  • Zweitens: Man muss die weibliche Freiheit, die Freiheit der Frauen, für einen Zweck an sich halten, der unhintergehbar ist und der nicht zur Diskussion stehen kann.

Und diese zweite Definition ist es, die mich zu einer "ideologischen" Feministin macht. Zu einer, die nicht nur nach rationalen, vernünftigen Standards vorgeht, sondern auch eine inhaltliche Setzung vornimmt.

Ja, die Geschlechterdifferenz ist eine relevante Analysekategorie, denn sie spielt faktisch eine Rolle, bei praktisch jedem Thema, und das zu untersuchen und zu berücksichtigen ist eine Notwendigkeit für alle, die den Anspruch haben, die Gegenwart oder irgendetwas anderes angemessen zu beschreiben oder zu verstehen. Von den Genderstudies bis zum Journalismus.

Aber das allein ist noch nicht feministisch. Sondern es gehört, wie ich finde, dazu auch ein Bekenntnis, nämlich das Bekenntnis, dass Frauen frei sein sollen, und zwar ohne Wenn und Aber, ohne gesellschaftliche Nützlichkeitserwägungen oder sonst irgendeine Rechtfertigung. Einfach weil ich es will.

Die Freiheit der Frauen ist kein Mittel zum Zweck

Es gibt keine Notwendigkeit dafür, dass Frauen frei sind. Menschen können sehr wohl in Gesellschaften leben, in denen Frauen nicht frei sind, der Beweis ist leider schon vielfach erbracht worden. Es gibt kein Naturgesetz, das vorgibt, dass Frauen frei sein müssen. Vielleicht gibt es einen lieben Gott, der das tut, aber wer auch immer so etwas glaubt (ich zum Beispiel), kann das nicht beweisen, und von daher ist es kein Argument in der politischen Auseinandersetzung.

Wenn wir wollen, dass Frauen frei sind, dann liegt es allein an uns, das zu verwirklichen. Ohne Garantie, ohne Hilfe "von oben", ohne dass wir uns dabei auf das Gesetz oder die Wissenschaft berufen könnten. Der einzige Grund, den wir haben, ist der, dass wir es wollen. Es ist unser Begehren. Unsere Entscheidung. Wir sind es (und solche wie wir, unsere Vorgängerinnen), die diese Idee überhaupt erst in die Welt gebracht haben, die Idee von der Freiheit der Frauen, auch der Frauen.

Dass wir an dieser Idee um jeden Preis festhalten, dass wir uns mit weniger nicht zufriedengeben, dass wir diese Idee nicht eintauschen gegen noch so viel Geld und Essen und gute Luft. Weil die Freiheit der Frauen kein Mittel zum Zweck ist, sondern ein Zweck an sich. Das ist der ideologische Anteil am Feminismus. Und ich finde den gut. (Antje Schrupp, 18.2.2020)