Wer nach Zwettl kommt, den erwartet zuallererst ein aus vielen anderen Bezirksstädten vertrautes Bild: eine Gewerbezone am Rand der Stadt. Schon aus der Ferne leuchtet der große, rote XXXLutz-Sessel, daneben prangen Schilder von Handelsketten. Die weißen "Schuhschachteln", in denen man einkaufen kann, stehen über die Landschaft verteilt.

In Zwettl sind die Geschäfte scheinbar willkürlich nebeneinander angeordnet. Gehsteige gibt es kaum; wer von einem Händler zum anderen will, muss sich ins Auto setzen und den Parkplatz wechseln – ein Gesamtkonzept fehlt seit jeher. Nun ist aber die Geschichte der 11.000 Hauptwohnsitzer zählenden Stadtgemeinde Zwettl und des Handels damit lange nicht zu Ende erzählt.

Eineinhalb Kilometer Luftlinie entfernt liegt neben der Altstadt ein über 10.000 Quadratmeter großes Areal seit Jahren brach. Es ist zugewachsen, hinter Büschen und Gestrüpp sind die Ruinen eines Hauses zu sehen, drumherum stehen Bauzäune. Seit 2008 sorgt ein geplantes Einkaufszentrum für Diskussionen, das hier gebaut werden soll.

Hier – auf einem Grundstück zwischen Stadtmauer und Kamp – soll das Einkaufszentrum entstehen.
Foto: Redl

Errichten will das sogenannte Kampcenter der in Niederösterreich bekannte Investor Reinhold Frasl, um 30 bis 35 Millionen Euro. Er hat das als Grünland gewidmete Areal in der Gartenstraße der ehemaligen Gärtnerei Hahn abgekauft. Sein Unternehmen Consio betreibt aktuell zehn Einkaufs- und Fachmarktzentren.

Auf der anderen Seite der Stadtmauer herrscht reges Treiben. Obwohl es regnet, sind an einem Montagvormittag kaum Parkplätze frei. Die Zwettler sind geschäftig unterwegs, auf dem Weg in die Bank oder Apotheke. Obwohl erst in den letzten Jahren sowohl eine Billa- als auch eine dm-Filiale im Zentrum geschlossen haben und in einen Neubau am Stadtrand gezogen sind, halten sich die Leerstände im Ortskern in Grenzen.

Der Hauptplatz von Zwettl mit dem Hundertwasserbrunnen.
Foto: Redl

Noch. Denn es gibt Zwettler, die durch den geplanten EKZ-Bau das Aussterben der Innenstadt befürchten. Sie haben die Bürgerinitiative "Zwettl 2020" gegründet, die sich gegen das Kampcenter wehrt. Christof Kastner, Chef des gleichnamigen Lebensmittelgroßhändlers aus Zwettl, ist ihr Sprecher und betreibt in der Innenstadt ein Lebensmittelgeschäft. Er glaubt – anders als die Projektbefürworter –, dass das Kampcenter nicht dazu führen wird, dass in Zwettl mehr eingekauft wird. "Die bestehenden Betriebe kommen unter die Räder oder übersiedeln dorthin", prognostiziert er. Das bringe weder vom Angebot noch städtebaulich einen Nutzen. Letztendlich sei es ein Match von Konzernen gegen Kleinunternehmen, sagt er.

Tatsache ist: Das Waldviertel ist eine Abwanderungsregion. Roland Murauer, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Cima, ist Experte für kommunale Entwicklungen und hat mit seinem Unternehmen auch die Zwettler Situation näher untersucht: "Die Kaufkraft wird auch in Zukunft weiter sinken, da können sie Einkaufszentren entwickeln, bis sie schwarz werden", sagt er.

Apropos: Größter Treiber des geplanten Projekts ist die in Zwettl regierende ÖVP, die seit der Gemeinderatswahl im Jänner 29 von 37 Mandaten hält – um vier mehr als vor der Wahl. Alle anderen politischen Fraktionen sind dagegen. Anfang 2018 hat die Gemeinde die Umwidmung des Areals unter heftigem Widerstand durchgeführt. Kastner spricht von einem Naheverhältnis des Investors zu höchsten ÖVP-Kreisen.

Die Hammerlingstraße ist das Sorgenkind bezüglich Leerstand, doch es könnte viel schlimmer sein.
Foto: Redl

Murauer ist überzeugt, dass es durch den Neubau zu einer "Kannibalisierung" der Betriebe und einem Abschmelzen des Angebots kommen wird – nicht nur in Zwettl, auch im Umland. Die geplante Größe des Kampcenters mit 8500 Quadratmetern Mietfläche und rund 580 Parkplätzen sei viel zu klein, um eine Wirkung als überregionales Einkaufszentrum zu erzielen. Damit locke man in Zeiten des Internets "keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor".

Und damit spricht Murauer einen kritischen Punkt an. Denn gerade in den letzten Jahren hat der Onlinehandel massiv zugenommen. Und in ländlichen Regionen ist er – wie einst auch der Versandhandel – stärker spürbar als in der Großstadt.

Zudem, so weiß der Experte, ist die Expansion großer Filialisten in Bezirksstädten aktuell massiv zum Stillstand gekommen. "Die Pläne widersprechen den Wünschen des Handels", so Murauer. Denn der gehe ungern in den ersten oder zweiten Stock. Auch im Kampcenter ist Einkaufen auf mehreren Etagen geplant. Schon jetzt liegt Österreich beim Anteil der Handelsflächen pro Kopf im europäischen Spitzenfeld.

So soll das Kampcenter einmal ausschauen.
Foto: Consio

Jedes Einkaufszentrum braucht einen großen Lebensmittelhändler, der Frequenz bringt. Welcher das im Zwettler Kampcenter sein könnte, diesbezüglich hält man sich bei Consio bedeckt. Man habe noch nicht mit der Vergabe von Geschäftsflächen gestartet, verfüge jedoch über etliche Interessenten, heißt es vom Entwickler.

Wann es mit der Entwicklung weitergeht, ist überhaupt unklar. Derzeit dreht sich alles um den Bau einer Kamp-Brücke, die die Voraussetzung für den Bau des Kampcenters ist, da anders das große Verkehrsaufkommen nicht bewältigt werden kann. Sie befinde sich in Planung, sagt Vizebürgermeister Johannes Prinz von der ÖVP. Wer sie aber plant und bis wann sie fertig sein wird, wollte er nicht mitteilen.

Geduld und Ausdauer

Der Investor hält am Projekt fest. Da viel Planung und Organisation notwendig sowie unterschiedliche Stakeholder zu bedienen sind, benötige die Umsetzung Geduld und Ausdauer, so Sarah Baatour von Consio. Die Kritik am Projekt versteht sie freilich nicht. Man ist der Überzeugung, mit dem Kampcenter ein neues Einkaufs- und Freizeiterlebnis schaffen zu können, und sieht einen Vorteil, gerade weil die Kaufkraft schwach sei. Mehr Auswahl sei gut. Da Junge abwandern, wolle man Infrastruktur schaffen. Die Region werde ausschließlich profitieren, so Baatour, da auch neue Arbeitsplätze geschaffen würden.

Die Initiative "Zwettl 2020" wehrt sich gegen das Projekt.
Foto: Redl

Auch in diesem Punkt gibt es Widerspruch. Kastner rechnet vor: Aus Studien wisse man, wenn 100 Arbeitsplätze in einem Einkaufszentrum geschaffen werden, gehen 200 bis 250 in der Region verloren, weil kleinere Geschäfte insgesamt mehr Personal brauchen und nicht mithalten können.

Gibt es denn auch positive Beispiele? Laut Consio gehört dazu das 30 Kilometer nördlich von Zwettl gelegene Waidhofen an der Thaya. Dort hat Investor Frasl am Stadtrand ein Fachmarktzentrum errichtet, das demnächst eine Erweiterung bekommt. Es läuft also gut, allerdings: Die Folgen für den Ortskern waren erschütternd. Der Leerstand im Zentrum ist groß.

Einst standen auf dem Areal die Glashäuser der ehemaligen Gärtnerei Hahn.
Foto: Redl

In Zwettl würde es anders laufen, glaubt Vizebürgermeister Prinz, weil das EKZ in Innenstadt-Nähe liege. Man ist überzeugt, das Schwinden der Kaufkraft aufhalten zu können. "Das kann eine Bereicherung für die Altstadt sein", sagt er und verweist auf City-Center, die Aufwind gebracht hätten, etwa in Tulln. Und Prinz gibt zu: "Die Sorge der Gegner möge begründet sein" – man nehme diese ernst. Für die Belebung der Innenstadt tue man viel, und das werde sich auch in Zukunft nicht ändern. Murauer entgegnet, dass ein EKZ im Ortskern nur in größeren Städten – wie etwa Tulln – funktioniere. In kleineren, wie Kapfenberg oder Rankweil, hätte es immer zu starken Verlagerungseffekten geführt.

Immerhin gibt es auch Experten, die Argumente für das Kampcenter sehen. Etwa Hannes Lindner vom Beratungsunternehmen Standort+Markt. Auch Leoben sei 2007 krisengebeutelt gewesen, erzählt er, als man überlegt hat, ein innerstädtisches EKZ zu bauen. "Das hat der Stadt ein Rückgrat gegeben", so Lindner. Er sei ein Freund davon, zu investieren, wenn man Mieter findet. Das bringe Aufbruchsstimmung und trage zur Lebensqualität bei. Die Lage des Einkaufszentrums in Zwettl sei wirklich zentral. "Ich kann dem schon einiges abgewinnen."

Veränderte Wege

Ähnlich sieht das Roland Gruber, Geschäftsführer des Architekturbüros Nonconform, mit Verweis auf Klagenfurt. Dort habe ein EKZ im Zentrum zwar die gesamte Innenstadt auf den Kopf gestellt und die Wege der Menschen verändert, dennoch könne so eine Entwicklung auch stimulierend wirken. "Man darf allerdings nicht davon ausgehen, dass sich alle Quartiere und Erdgeschoßzonen so gut entwickeln, wie es zuvor war", so Gruber. Im Idealfall werden die anderen Betriebe in der Innenstadt mitgedacht. Von Beginn an Nein zu sagen sei nicht die richtige Herangehensweise. "Man muss einen Prozess starten, sich anschauen, wer Gewinner und wer Verlierer wären."

Entscheidend sei, und das müsse erst in die Köpfe rein, nach so einer Entwicklung mit der Widmungspolitik extrem streng zu sein. "Ab dann heißt es: Konzentration aufs Zentrum. Es darf nicht noch draußen munter weitergewidmet werden", so Gruber. Das sei ansonsten der Todesstoß für die Innenstadt. Wer sehen will, wie man das verhindert, dem empfiehlt Gruber einen Besuch in Waidhofen an der Ybbs. Vor 20 Jahren war dort noch 30 Prozent Leerstand, aber man habe es geschafft, streng zu bleiben, und der Lohn ist eine vitale Innenstadt, durch die man gerne flaniert.

Die "Industriezone", wie sie von den Zwettlern genannt wird, besteht aus zusammengewürfelten Fachmarktzeilen und einzeln stehenden "Schuhschachteln" – mit jeweils einem Parkplatz davor.
Foto: Redl

Ist man heute in der Zwettler Gewerbezone am Stadtrand unterwegs, hat man das Gefühl, der Zug, der aus Zwettl ein Waidhofen an der Ybbs machen könnte, ist längst abgefahren. Doch Gruber entgegnet: "Wir bauen heute quasi Sondermüll auf die grüne Wiese, doch diese Schachteln werden schnell unbrauchbar." Sein Fazit: "Es steht uns in den nächsten Jahren bevor, dass wir diese Gewerbeflächen draußen vor den Städten wieder zusperren müssen." Und wer weiß, in diesem Szenario hat vielleicht auch ein innerstädtisches EKZ wie das Kampcenter eine Chance. (Bernadette Redl, 15.2.2020)