Andy Marek sitzt in seinem Büro im Allianz-Stadion. Am Sonntag steigt um 17 Uhr das Bundesligaspiel zwischen Rapid und WSG Tirol. Der 57-Jährige wird zum letzten Mal der Stadionsprecher sein. Nach fast 28 Jahren hört er aus gesundheitlichen Gründen auf. Es ist das 599. Pflichtspiel des Niederösterreichers für Rapid, gut 20.000 Zuschauer werden erwartet. "Es ist unglaublich viel Wehmut in mir."

STANDARD: Wie geht’s?

Marek: Ich habe am 10. Oktober eine Diagnose bekommen, die heftig war. Am 4. November wurde ich operiert, zwei Tage davor habe ich noch mit letzter Kraft Rapid gegen St. Pölten moderiert, wir haben 0:1 verloren. Nach gut einer Woche bin ich aus dem Spital heimgekommen, da habe ich mir gedacht, bist du deppert, wie schaust du aus, jetzt bist du nur mehr eine Fliege. Zur Frage: Es geht mir recht gut, es wird von Tag zu Tag besser. Die Ärzte sagen, dass der Krebs besiegt ist.

Andy Marek möchte am Sonntag sehr oft "Danke" sagen.
Foto: GEPA / Walter Luger

STANDARD: Am Sonntag ist nach fast 28 Jahren Schluss. Wie ist die Gefühlslage, bereiten Sie sich speziell vor?

Marek: Ich habe das zweieinhalb Monate verdrängt. In den letzten Tagen wurde es sehr, sehr intensiv. Ich bin gestern durch den Tunnel raus aufs Spielfeld gegangen, da habe ich mir gedacht, am Sonntag ist es das letzte Mal. Es ist unglaublich viel Wehmut in mir. Wahnsinnig schön empfinde ich, wie sich Mitarbeiter um mich bemühen, ich erfahre unheimliche Wertschätzung von den Fans. Wie es sein wird, weiß ich nicht, da habe ich keinen Plan. Ich möchte möglichst oft nach einem Tor "Danke" ins Mikrofon sagen. Und von der Tribüne käme dann ein lautes Bitte zurück. Das wäre mein sehnlichster Wunsch.

STANDARD: Sie hätten ja Stadionsprecher bleiben und die Leitung des Klubservice abgeben können. Warum der radikale Schritt? Weil das Erlebnis so radikal war?

Marek: Nein. In meiner Position, in meiner Funktion wäre es nicht möglich, nur einen Teil zu machen. Die Sachen greifen ineinander. Während des Spiels bin ich ja nur am Herumfunken, dort ist ein Problem, da passt etwas nicht, der VIP hat seine Karte vergessen. Ich kann nicht sagen, ich bin nur mehr fürs Reden zuständig. Ich habe mir die Verantwortung erarbeitet. Rapid war mein Leben. Anzukündigen, ich lasse es bleiben, und mir dann das schönste Zuckerl rauszupicken, das passt nicht zu mir. Am Montag räume ich mein Büro.

STANDARD: Sie waren ja auch Sänger. Mit Verlaub, die Stadthalle haben Sie nicht gefüllt. Haben Sie rasch erkannt, als Stadionsprecher besser zu sein?

Marek: Ja. Im Singen reichte mein Perfektionismus nicht zum Erfolg. Obwohl ich eine Langspielplatte und fünf Singles aufgenommen habe. In die Charts schafften es andere.

STANDARD: Sie benötigen nun Ersatz.

Marek: Natürlich, ich muss von etwas leben. Mein Standbein ist die Moderation, sind Firmengalas und Shows. Die Sehnsucht nach Bühne bleibt. Bei Rapid war das Sprechen nur ein kleines Segment. Das Klubservice war das Aufwendige, das Zermürbende. Ich hatte überhaupt keine Privatsphäre. Wollte ich mit meiner Frau ein paar Tage wegfahren, hat sie gesagt: "Lassen wir es lieber." Hunderte Anrufe und Mails. Rapid ist nicht irgendetwas, Rapid ist etwas Besonderes. Meine Frau übrigens auch.

STANDARD: Sie gelten als Workaholic. Ihnen wird nachgesagt, nicht delegieren zu können.

Marek: Ich bin jeden Tag 296 Kilometer mit dem Auto gefahren. Vom Waldviertel nach Wien und zurück. Ich habe gespürt, dass mir mein Körper sagt, es ist genug. Ich bin bekannt als Workaholic und als Perfektionist. Ich habe in meinem Leben alles erreichen dürfen, was ich mir vorgenommen habe. Ja, vielleicht war ich zu schwach beim Delegieren.

STANDARD: Brauchen Sie den Applaus?

Marek: Ja. In mir steckt die Sehnsucht nach Applaus, die Sehnsucht nach der Bühne, die Sehnsucht nach Entertainment. Und die Sehnsucht, Dinge zu lösen, die unlösbar erscheinen. Das ist mit dem Klubservice gelungen. Wir schauten, dass wir den Fans möglichst alle Wünsche erfüllen. Auch auf die Gefahr hin, dass der Schuss nach hinten losgehen kann.

STANDARD: Sie waren immer wieder Kritik ausgesetzt. Ihnen wurde vorgeworfen, im Umgang mit verhaltensauffälligen Fans zu lasch, zu blau- oder auch grünäugig gewesen zu sein.

Marek: Ich stelle mich nicht ins Winkerl und sage, alle anderen sind böse. Ist man so omnipräsent bei einem Verein, der die meisten Menschen bewegt und polarisiert, dann ist es so, dass Dinge passieren, die Kritik rechtfertigen. Ich will keine Grundsatzdiskussion führen. Natürlich sind mir Fehler passiert.

STANDARD: Hatten Sie manchmal Angst? Etwa vor einem Derby?

Marek: Ich habe in den letzten 20 Jahren kein einziges Spiel genossen. Das sage ich offen und ehrlich. Angst wäre übertrieben.

STANDARD: Rapid betont das Besondere, das Familiäre, das fast Religiöse. Es ist alles extrem, in sämtlichen Richtungen. Es wird das Image vom Arbeiterverein, der den Fans gehört, gepflegt. In Wahrheit ist der Fußball kommerzialisiert. Wie passt das zusammen?

Marek: Man muss zwischen den Zeilen lesen. Wir versuchen, Traditionen zu bewahren. Bei uns wird keine Bierfirma ein Tor oder einen Corner präsentieren. Natürlich kann man nicht auf Dauer gegen den Strom schwimmen. Aber man kann sich bei gewissen Entwicklungen abgrenzen.

STANDARD: Es gab in Ihrer Ära 15 Trainer. Waren Sie die einzige Konstante im Verein?

Marek: Vielleicht, aber ich war kein Sesselkleber. Ich habe versucht, die Arbeit gut zu machen.

Am Sonntag wird wohl die Choreografie im Allianz-Stadion Andy Marek gewidmet.
Foto: APA/EXPA/THOMAS HAUMER

STANDARD: Wie haben Sie die Entwicklung auf der Tribüne in den knapp 28 Jahren erlebt?

Marek: 1992, Spiel gegen Innsbruck. Ich habe für die Presse 1317 Zuschauer durchgesagt. Der Schnitt lag damals bei 4000 bis 5000. Ich habe dann versucht, mit den Fans in Kontakt zu treten, ihre Sorgen, Nöte und Wünsche zu inhalieren. Zum damaligen Manager Kuhn und zum Präsidenten Kaltenbrunner habe ich gesagt, wir sollten da etwas tun. 1995/96 ist der Erfolg wie eine Lawine vom Berg runtergerollt, Meistertitel, Europacupfinale. Wir hatten keine Strukturen, haben aber sogar das Happel-Stadion gefüllt. Die Fans begannen ein Spektakel zu machen, es gab Choreografien. 1998 wurde ich gefragt, ob ich nicht das grün-weiße Haus bauen will. Ich wollte. Es gab die Aktion 18 Spiele für 1000 Schilling, die ist durch die Decke geschossen. Jetzt haben wir einen Schnitt von rund 20.000. Und es ist mehr möglich.

STANDARD: Bei so einer Masse tut man sich mit Benimmregeln schwer, oder?

Marek: Man sollte ein wenig über den Tellerrand schauen. Was passiert in anderen Ländern? Wo es viele Menschen auf einem Fleck gibt und mitunter Alkohol im Spiel ist, entstehen Probleme. Bei jedem Kirtag ist das so. Wir schafften es, die Häufigkeit an Verfehlungen zu reduzieren. Es gibt Charity-Aktionen, Tage der offenen Türe, wir sammeln Geld für Kinder und Obdachlose. Das machen Schalke oder Dortmund nicht anders. Die Ultras regeln vieles selbst.

STANDARD: In Ihrer Amtszeit gab es wenige Titel, der sportliche Erfolg war nicht gerade berauschend. Hat das die Arbeit erschwert?

Marek: Ja, ein Cupsieg und drei Meistertitel sind eindeutig zu wenig gewesen. Es würde das Dach wegfliegen, sollten wir Meister werden. 2008, beim letzten Titel, war Rapid eine Wunderwelt.

STANDARD: Werden wir nostalgisch. Wie sind Sie zu Rapid gekommen?

Marek: Juli 1992. Ich war in Wien, um für meine Modegeschäfte Ware einzukaufen. Ich saß zu Mittag im Wirtshaus, blätterte in der Zeitung täglich alles. Da war ein kleines Inserat. Rapid sucht Stadionsprecher. Ich ruf an, der damalige Sektionschef Franz Binder, der Sohn vom Bimbo, hebt ab. Ich erstarre, stelle mich vor. Binder sagt: "Reden Sie nicht weiter, kommen Sie sofort her, wir haben Tag der offenen Tür." Er drückte mir ein Mikrofon in die Hand. "Gengan S’ raus auf die Bühne, stellen Sie sich vor, sie haben ein halbe Stunde Zeit." Ich sagte, ich bin der Andy Marek aus dem Waldviertel. Gelächter. Dann habe ich Trainer Gustl Starek und den neuen Spieler Didi Kühbauer interviewt. Es lief gut, ich hatte den Job. Am 24 Juli war mein erster Einsatz gegen den Sportklub. Ich war nicht schlecht, Rapid hat 1:2 verloren.

STANDARD: Der Tiefpunkt?

Marek: Das Allerwichtigste in der Fanarbeit war für mich der Dialog. Kannst du ihn nicht führen, hast du verloren. Platzsturm 2011 gegen die Austria, Abbruch. Die Bundesliga sprach 102 Stadionverbote aus. Es gab keine Basis mehr, ein Dreivierteljahr herrschte Stimmungsboykott. Leidtragender war unser Trainer Peter Schöttel.

STANDARD: Das Klubservice wird neu geregelt. Nachfolger als Stadionsprecher ist Ihr 22-jähriger Sohn Lukas. Das ist wie bei den Habsburgern.

Marek: Mir war wichtig, dass nicht ich gedrängt habe. Der Lukas hat zu mir gesagt, "Papa, wenn sie mich fragen, was soll ich antworten?". "Wenn du es willst, dann sage ja", habe ich ihm geraten. Ich werde es nicht forcieren. Auch die Fanvertreter müssen involviert sein. Lukas hat Rapid inhaliert, er weiß alles, ich bin stolz auf ihn. Er ist kein Selbstdarsteller, er wird es gut machen.

STANDARD: Am Sonntag werden gegen WSG Tirol mehr als 20.000 Zuschauer erwartet. Es wird eine Choreografie für Sie geben, vermutlich werden Sie mit Applaus und Geschenken überhäuft. Glauben Sie, dass einige nur wegen Ihnen kommen?

Marek: Ich wünsche es mir.

STANDARD: Wie werden Sie die Rapid-Spiele künftig verfolgen?

Marek: Ich werde oft kommen. Ohne Verbissenheit. Ich schaue mir die Matches dann in Ruhe an, sehe endlich, ob sie gut oder schlecht spielen.

STANDARD: Es heißt, eine Krankheit hat auch etwas Gutes, sie öffnet die Augen. Stimmt das?

Marek: Ich weiß es nicht. Es wird keinen Pensionsschock geben. Weil ich die Entscheidung selbst getroffen habe. Ich wurde nicht auf die Straße gesetzt. Ich hätte Rapid ohne die Diagnose nie verlassen. Ich gehe runter vom Gas. Vor zwei Jahren habe ich zu meinem Bruder gesagt, von Rapid trennt man sich nur, wenn man krank ist. Jetzt hat er mich daran erinnert.

STANDARD: Danke.

Marek: Bitte.
(Christian Hackl, 15.2.2020)