Für den Unterricht über Sigmund Freud und Hannah Arendt besteht bei den Studierenden mehr Interesse, als es Stellen an den Schulen gibt.

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Wer in Wien ein Studium zum Psychologie- und Philosophielehrer beginnen möchte, hat jetzt die vorerst letzte Chance. Wie vor kurzem bekannt wurde, wird die Uni Wien ab dem kommenden Wintersemester das Bachelorstudium für das Lehramt Psychologie und Philosophie (PP) nicht mehr anbieten. Für all jene, die schon begonnen haben, hat dieser Beschluss des Rektorats keine direkten Konsequenzen, sie dürfen ihr Studium fertigmachen.

Dennoch sorgt die einschneidende Maßnahme für Verunsicherung – die Studienvertretung kritisiert, dass die Studierenden über die Besprechungen nicht informiert, geschweige denn angehört wurden. Im Vergleich zu den Zugangsbeschränkungen, die in den vergangenen Jahren in mehr und mehr Fächern eingeführt wurden, ist die Stilllegung eines beliebten Studiums – jährlich beginnen in Wien rund 400 Personen PP – ein keineswegs alltäglicher Schritt.

Bedarfsprognose wenig transparent

Dabei ist es gerade der permanent große Andrang, mit dem das Rektorat nun den Einschnitt begründet. Es herrsche eine eklatante Kluft zwischen den Studierendenzahlen und dem Bedarf an Lehrern, es sei daher in den nächsten zehn Jahren für Absolventen praktisch unmöglich, Stellen für den PP-Unterricht zu finden. "Es wäre unverantwortlich, den Eindruck zu erwecken, im Fach PP Stunden an einer Schule zu bekommen", sagt Vizerektorin Christa Schnabl, die federführend am Stopp des Studiums beteiligt war. Sie stützt sich auf eine Bedarfsprognose des Wissenschaftsministeriums. Dort bestätigt man eine Erhebung von 2018, die einen geringen Bedarf an neuen PP-Lehrern in den kommenden Jahren nachweise. Details zur Berechnung und zu den in die Prognose einbezogenen Variablen wollte das Ministerium dem STANDARD jedoch nicht verraten, das Rektorat verwies wiederum auf das Ministerium.

Zu wenig Praktikumsplätze für angehende Lehrer

An einem Missverhältnis zwischen Angebot an und Nachfrage nach PP-Lehrern besteht bei Kennern der Situation allerdings wenig Zweifel, zumal das Fach nur in den letzten beiden Jahrgängen der Oberstufe unterrichtet wird. Manch angehender Lehrer kann derzeit keinen Praktikumsplatz finden, obwohl das im Lehrplan der neuen Pädagogenausbildung für den erfolgreichen Studienabschluss erforderlich ist. Es kommt zu Verzögerungen, teils müssen komplizierte Ausweichlösungen her, um die Bescheinigung für das Praktikum zu bekommen. Beschwerdemails an die Uni häufen sich. Dass es so nicht weitergehen konnte, war allen Involvierten klar. War die Auflassung des Studiums daher unausweichlich?

"Unis sind keine Produktionshallen"

Aus Sicht der ÖH hat die Uni zu spät auf die Missstände reagiert, mit besserer Beratung zu Studienbeginn hätte man den überbordenden Andrang mildern können, vermutet sie. Man habe die Interessenten sehr wohl über die Jobchancen informiert, doch diese Maßnahme habe zu wenig bewirkt, entgegnet Vizerektorin Schnabl.

Die Entscheidung berührt allerdings auch die grundsätzlicheren Fragen nach dem Verhältnis von Studienwahl und Berufsaussichten, von Universität und Arbeitsmarkt: "Unis sind keine Produktionshallen, die bloß ‚auf Bestellung’ liefern", sagen Studierendenvertreter zum STANDARD. Selbst in einem Lehramtsstudium gehe es vordergründig um Bildung, nicht nur um Ausbildung für den Lehrerjob. Das Rektorat wird sich hingegen weiterhin an den Bedarfshypothesen orientieren. Ob und wann das PP-Studium in Zukunft wieder in Wien angeboten wird, steht nicht fest. In Graz und Salzburg will man sich der Entscheidung in der Bundeshauptstadt übrigens nicht anschließen: Eine Auflassung des PP-Studiums stehe dort nicht zur Diskussion, teilen die Rektorate mit.

Philosophen hoffen auf Ethik-Studium

Für das Philosophie-Institut in Wien, an dem das PP-Studium bisher angeboten wurde, würde ein ersatzloser Wegfall mittelfristig beträchtliche finanzielle Einbußen nach sich ziehen, weil das Budget von Faktoren wie Absolventenzahlen und Prüfungsaktivität abhängt. Während das reguläre Philosophie-Studium für seine äußerst geringe Prüfungsaktivität bekannt ist, sind die Lehramtsstudierenden hier gut unterwegs – und spülen so Geld in die Kassen. Man hoffe, dass die "Zukunft der Lehramtsstudien mit Philosophie-Komponente demnächst klarer wird", rechne aber nicht mit einem "ersatzlosen Wegfall", sagt dazu der Institutsvorstand.

Das heißt im Klartext: Die Hoffnungen richten sich auf Ethik. Die türkis-grüne Koalition hat ja im Regierungsprogramm – wie schon Türkis-Blau – die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für Religionsabmelder angekündigt. Durch die Turbulenzen nach Ibiza hat sich der Beschluss im Nationalrat verzögert, mittlerweile ist von einem Start des Ethikunterrichts im Herbst 2021 die Rede. Das wird für einen massiven Bedarf an Ethiklehrern in den kommenden Jahren sorgen. Die Uni Wien arbeitet, wie andere Hochschulen auch, intensiv an der zügigen Entwicklung eines Ethik-Lehramtsstudiums, um die künftige Nachfrage zu bedienen.

Zu viel Theologie?

Über die konkrete Ausgestaltung herrscht aber nach wie vor Rätselraten. Das Philosophie-Institut würde am liebsten selbst dafür zuständig sein, da es gerade im Bereich Ethik über eine hohe Kompetenz verfüge. Manche Philosophen, die mit dem aktuellen Diskussionsstand vertraut sind, befürchten allerdings hinter vorgehaltener Hand einen zu starken Einfluss der Theologie auf das neue Studium, obwohl doch Ethik eine ureigene Disziplin der Philosophie sei. Das müsse man in den Verhandlungen der Unis deutlicher hervorheben.

Auf höherer Ebene sieht man diese Zuordnung aber offenbar nicht so eindeutig: "Ethik ist ein interdisziplinäres Thema, es wird daher Lehre aus der Philosophie und der Theologie, aber beispielsweise auch der Biologie einfließen", sagt Vizerektorin Christa Schnabl, selbst Professorin für Theologie mit Schwerpunkt Sozialethik. Fraglich ist zudem, ob ein unkomplizierter Umstieg von PP-Absolventen auf das Ethik-Lehramt möglich wird. Das könnte den unterschiedlichen Stellenbedarf leichter ausgleichen. (Theo Anders, 16.2.2020)