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Harvey Weinsteins Verteidigerin Donna Rotunno während der Befragung im Gerichtssaal.

Foto: REUTERS/Jane Rosenberg/File Photo

"Der Angeklagte", sagt Joan Illuzzi-Orbon, "war der Herr des Universums, und die Zeuginnen waren nur Ameisen, auf die er treten konnte, ohne dass es Folgen hatte." Das Universum, so habe er es gesehen, werde von ihm gelenkt, daher hätten sie nicht das Recht, sich zu beschweren. Mit dem Abschlussplädoyer der federführenden Staatsanwältin hat am Freitag die vorletzte Phase des Prozesses gegen Harvey Weinstein begonnen. In der letzten, womöglich schon nächste Woche, hat die Geschworenen-Jury ihr Urteil zu fällen. Spricht sie den ehemaligen Filmproduzenten schuldig, droht ihm lebenslange Haft.

Weinstein, so die Chefklägerin des Verfahrens, habe sich wie ein Raubtier verhalten. Er habe seine Macht missbraucht, um Frauen im Filmgeschäft zu manipulieren und sexuell zu nötigen. Danach habe er Kontakt zu ihnen gehalten, um sich ihr Schweigen, ihr Wohlverhalten zu sichern. "Und er hatte eine todsichere Versicherungspolice", sagt Illuzzi-Orbon. "Die Zeuginnen haben sich angestellt, um eingelassen zu werden in sein Universum." Tags zuvor, nach fünfstündiger Verhandlung, war der 67-Jährige noch bestens gelaunt aus dem Saal Nr. 99 gekommen, jedenfalls hatte er gute Laune zur Schau gestellt.

Mediengerechte Inszenierung

"Wir haben soeben die Rede der Königin gehört", hatte er den Journalisten, die auf dem engen, eher schäbigen Flur im fünfzehnten Stock des New York State Supreme Court auf ihn warteten, im Überschwang zugerufen, zumindest in gut gespieltem Überschwang. "The Queen’s Speech": Es war klar, worauf er anspielte, nämlich auf "The King’s Speech", die von Hollywood glänzend verfilmte, von ihm produzierte Geschichte jenes britischen Monarchen, der mithilfe eines klugen Sprachtherapeuten sein Stottern in den Griff bekommt, um, als es drauf ankommt, eine fehlerfreie Rede zu halten.

Weinstein, auf einen Rollator gestützt, weiß nur zu gut, dass ein Prozess dieses Kalibers in Amerika immer auch eine dramatische Inszenierung ist. Dazu gehört es, draußen, vor laufenden Kameras, in mediengerechten Worthäppchen den eigenen Standpunkt zu unterstreichen. Als ihn eine Reporterin auf dem schlecht beleuchteten Korridor fragt, was er denn davon halte, mit Tiger Woods verglichen zu werden, ruft er lächelnd zurück: "I like 'Donna rocks' better". Tiger Woods? Donna rocks! Woods ist der Golfprofi, der sich einer Therapie gegen Sexsucht unterzog. Donna Rotunno ist Weinsteins Chefanwältin, eine Juristin, die der abgestürzte Filmmogul nun mit einer Königin vergleicht, die auch noch rockt. The Show must go on!

Plädoyer gegen MeToo

Die Frage, die allein dieser eine Tag im Saal Nr. 99 mit seinem hier und da schon arg abgenutzten Linoleumfußboden aufwirft, ist folgende: Sind die Erkenntnisse der MeToo-Bewegung auch justiziabel? Kann man einem Kinokönig, der sinnbildlich für die Macht steht, die manche Männer in Führungspositionen missbrauchen, um sich sexuell an Frauen zu vergehen, seine – im Sinne der Unschuldsvermutung vermeintlichen – Straftaten tatsächlich nachweisen?

Rotunno, 44 Jahre alt, Trägerin einer auffallend großen Brille mit markantem, dunklem Gestell, erklärt MeToo in ihrem Schlussplädoyer zu einer Welt, in der es keiner Beweise bedarf, um einen Menschen zu verurteilen: "Ich sage MeToo, okay, und ihr habt mir zu glauben." Ein Gericht, fasst sie zusammen, dürfe aber nicht irgendeiner Stimmung folgen, so populär die auch gerade sein möge. Vor Gericht gehe es allein um Fakten. "Sie müssen Herrn Weinstein nicht mögen, das ist kein Beliebtheitswettbewerb", sagt Rotunno an die zwölf Geschworenen gewandt, sieben Männer und fünf Frauen, die über Schuld oder Unschuld entscheiden. "Aber Sie sollten sich daran erinnern, dass wir nicht hier sind, um Moral zu kriminalisieren."

Harte Fragen

Rotunno stammt aus Chicago, sie inszeniert sich gleichsam als Sprecherin des bodenständigen Mittleren Westens, wo man schnörkellos redet und auf Höflichkeitsfloskeln weitgehend verzichtet. Ihre Spezialität ist das Kreuzverhör, vor wenigen Tagen hat sie Jessica Mann, die zentrale Belastungszeugin, mit schnellen, harten Fragen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. Weinstein wird vorgeworfen, die junge Schauspielerin 2013 in einem Hotel in Manhattan vergewaltigt zu haben. Seine Produktionsassistentin Mimi Haleyi soll er 2006 zum Oralsex gezwungen haben. Das sind die beiden Fälle, um die es seit Anfang Jänner in New York geht, während dutzende weitere entweder verjährt oder Gegenstand zivilrechtlicher Vergleiche sind.

Neue Nummern geschickt

Versiert im Säen von Zweifeln, konzentriert sich Rotunno ganz auf das, was man in Amerika "Victim Blaming" nennt. Sie macht die Opfer verantwortlich für das, was ihnen – angeblich – widerfuhr. Im Universum der Kläger, wiederholt sie in ihrem Plädoyer, seien Frauen nicht verantwortlich für die Partys, die sie besuchten, für die Männer, mit denen sie flirteten, für Einladungen in Hotelzimmer, die sie annähmen, für Jobs, die sie mithilfe bestimmter Männer zu ergattern versuchten.

Jessica Mann, aufgewachsen auf einer Farm im Pazifikstaat Washington, habe genau gewusst, was sie von Weinstein wollte, nämlich Hilfestellung für einen Karrieresprung. "Ich weiß zu schätzen, was du alles für mich tust", schrieb sie ihm im April 2013, einen Monat nach der (vermeintlichen) Vergewaltigung. Die brasilianische Schauspielerin Talita Maia, einst ihre enge Freundin, sprach im Zeugenstand von einer anhaltenden Beziehung, bei der Mann nie den Eindruck erweckte, als werde sie von ihm missbraucht. Einen "Seelenverwandten", so habe sie Weinstein sogar genannt. Sobald sie ihre Handynummer änderte, was häufig passierte, teilte sie ihm per Mail die neue Nummer mit, um sich, laut ihren Worten, "sicher zu fühlen".

Normale Kontakte zum Täter

Mann hat dies nicht bestritten und zugleich von einer Wahrheit gesprochen, die nun mal vielschichtiger sei, als man aus dürren Zeilen herauslesen zu können glaube. "Ich kenne diese E-Mails, ich schäme mich nicht für sie", gab sie zu Protokoll. "Ich weiß, es ist kompliziert. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er mich vergewaltigt hat."

Im Laufe des Prozesses hatte eine forensische Psychiaterin erklärt, dass es für Opfer von Sexualdelikten durchaus normal sei, den Kontakt zum Täter zu halten. Auf diese Weise versuchten sie, die Kontrolle über das Verhältnis wiederzuerlangen. "Fakten sind Fakten", sagt Gloria Allred, eine der Staranwältinnen der MeToo-Bewegung, als sie am Ende des Verhandlungstages auf dem regennassen Bürgersteig vor dem Gerichtsgebäude in ein Bündel von Mikrofonen spricht. "Und Fakt ist, er hat es getan." (Frank Herrmann aus New York, 14.2.2020)