Börsen-App statt Sparbuch – bisher fremdelten die Österreicher mit dem Kapitalmarkt, nun zwingt sie die andauernde Zinsdiät gewissermaßen zu einer Annäherung.
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Aufbruchstimmung in Österreichs Finanzbranche. Ausgelöst wurde diese durch kapitalmarktfreundliche Passagen im türkis-grünen Regierungsprogramm. "Ich fühle mich wie ein Marathonläufer kurz vor dem Ziel", sagte etwa Robert Ottel, Präsident des Aktienforums und Voestalpine-Finanzvorstand. Nach zehn Jahren, in denen er stets die gleichen Wünsche an die Politik herangetragen habe, fühlt er sich nun erhört. Diese habe die Regierung im Wesentlichen in ihr Programm übernommen.

Das deckt sich mit den Bedürfnissen der Bevölkerung: Unter jenen Österreichern, die noch keine Wertpapiere besitzen, ist das Interesse an einer Investition in solche sprunghaft angestiegen, wie eine vom Aktienforum beauftragte Umfrage ergibt, nämlich von elf Prozent im Jahr 2017 auf nunmehr 25 Prozent. Warum, ist dieser Erhebung ebenfalls zu entnehmen: Fast drei von vier Befragten sind sich darüber im Klaren, was es bedeutet, wenn die Inflation den Sparzins übersteigt – das Kapital also kontinuierlich an Kaufkraft verliert, wie es dank der Nullzinspolitik der EZB seit etlichen Jahren der Fall ist.

Zukunftsvorsorge für Junge

Was sie von Käufen bis dato abhält, ist vor allem fehlendes Wissen, das auf 60 Prozent voll oder teilweise zutrifft. Folglich versauert das Ersparte zumeist am Sparbuch, nur wenige besitzen bisher überhaupt Wertpapiere, wobei die prämiengeförderte Zukunftsvorsorge noch am weitesten verbreitet ist: 13 Prozent der Befragten haben in dieses Produkt investiert – und das, obwohl der Bestand an Verträgen seit Jahren rückläufig ist. Seit dem Höchstwert im Jahr 2012 bei mehr als 1,6 Millionen auf nunmehr 1,2 Millionen im Jahr 2018, wie aus einer Studie der FMA von September hervorgeht. Die gesamte Fondsbranche und etliche Versicherer haben sich sukzessive aus dem Neugeschäft zurückgezogen.

Allerdings leben Totgesagte bekanntlich länger, zuletzt nahm die Anzahl an neu abgeschlossen Verträgen wieder zu. Wobei ein hoher Anteil von jungen Leuten unter 30 Jahren bei der Zukunftsvorsorge zugegriffen hat, heißt es aus der Donau Versicherung. Dort ist im Vorjahr fast die Hälfte der 1049 Neuabschlüsse auf diese Personengruppe entfallen. Dementsprechend setzt Generaldirektor Ralph Müller weiter auf das Produkt und spricht sich für Verbesserungen bei der Veranlagung aus: Investitionen in den Wohnbau sollte seiner Ansicht nach ebenso möglich sein wie in Infrastruktur oder Veranlagungen in Projekte, die den Klimawandel begrenzen.

Katze beißt Schwanz

Eine Versicherung, die im Neugeschäft mit der Zukunftsvorsorge vor drei Jahren das Handtuch geworden hat, ist Uniqa Österreich. "Grund waren die die Rahmenbedingungen für dieses schwierige Produkt", sagt Vorstand Peter Eichler. Konkret stößt er sich am Spagat zwischen einer verpflichteten Aktienquote und einer Kapitalgarantie. "Da beißt sich die Katze in den Schwanz", sagt Eichler, "Garantie und Rendite sind konkurrierende Ziele." Sollten die Rahmenbedingungen geändert werden, hält er auch den Wiedereinstieg ins Neugeschäft für möglich.

Dabei gibt es gerade bei der Zukunftsvorsorge interessante Gedankenspiele. Wird das Geld nach Vertragsablauf nicht für die Pension verwendet, sondern bar ausgezahlt, musst die halbe staatliche Prämie zurückgezahlt werden und die bisher steuerfreien Kapitalerträge mit der 27,5-prozentigen Wertpapier-KESt nachversteuert werden.

Aber was passiert, wenn die Regierung wie angekündigt eine Mindestbehaltedauer einführt, ab der Kursgewinne nicht mehr versteuert werden müssen? Wird die Zukunftsvorsorge dann zum allgemeinen, staatlich geförderten Sprungbrett an den Kapitalmarkt? Bei Verwendung für die Pension mit voller Prämie, anderenfalls mit halber?

Einiges in Schwebe

Generell ist einiges noch in Schwebe, schließlich müssen die Regierungsvorhaben erst umgesetzt werden, wie auch Ottel vom Aktienforum einräumt. Dennoch hofft er neben der Wiedereinführung der 2012 abgeschafften Mindestbehaltedauer auf weitere Verbesserungen durch die Regierung. Etwa die Abschaffung der steuerlichen Diskriminierung von Wertpapieren durch die erhöhte Kapitalertragsteuer von 27,5 Prozent statt 25 Prozent am Sparbuch,

Dazu kommt eine bessere Finanzbildung der Österreicher, schließlich ist wenig Wissen die Hauptursache für Abstinenz vom Kapitalmarkt. Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, ist es entscheidend, für mehr Wissen über den Kapitalmarkt zu sorgen. Er denkt an Lehrplanänderungen, neue Schulbücher und eine bessere Ausbildung für Lehrer. Dazu fordert Neumayer Initiativen, um Menschen zu erreichen, die sich nicht mehr in Ausbildung befinden. Ottel hebt zudem hervor, dass Finanzbildung auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sei. Denn bisher werde Wissen über Wirtschaft und Finanzen oft innerhalb der Familie vermittelt, also gewissermaßen vererbt. (Alexander Hahn, 15.2.2020)