Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb soll sich in Bayern um die Bekämpfung von Hass im Netz kümmern.

Foto: imago

Das Problem hasserfüllten Sprechens im Netz und in den Medien lässt die Behörden neuerdings geharnischt auftreten. Soeben hat die Landesregierung in Bayern die Einsetzung eines Hate-Speech-Beauftragten beschlossen. Der frisch Gekürte, ein Oberstaatsanwalt, soll nicht nur über das Anlegen "einheitlicher Maßstäbe bei der Rechtsanwendung" wachen. Klaus-Dieter Hartleb – so heißt der Anti-Hass-Wart – ließ die Öffentlichkeit des Freistaates unverzüglich wissen: Er wolle im Zusammenwirken mit zahllosen Sonderdezernaten auf "angemessen hohe Strafen hinwirken". Der Hass muss abebben. Ende der Durchsage.

Niedertracht

Das Unbehagen an der ungezügelten Verbreitung hasserfüllter Reden nimmt rapide zu. Äußerungen, die dazu geeignet sind, andere Menschen herabzuwürdigen oder in ihrer Integrität zu verletzen, sollen als Gewaltdelikte geahndet werden. Immer schmaler erscheint dabei der Grat, der den bloßen Sprechakt von der manifesten Ausübung physischer Gewalt trennt.

Nicht nur in den Augen staatlicher Aufsichtsbehörden sind es soziale Medien, die als Überträger von Sprachentgleisungen das Virus der Verächtlichkeit verbreiten. Das bewusste Ausreizen von verbalen Gewaltpotenzialen lässt eine Niedertracht spüren, die den physischen Übergriff vorwegnimmt. Man denke zurück an die Ermordung des Kasseler CDU-Politikers Walter Lübcke.

Umso dringlicher geboten scheint der Hinweis: Wer Wort und Tat gleichsetzt, der verlernt zu unterscheiden. Die US-Kulturphilosophin Judith Butler hat auf die schwindelerregende Dimension des Sprechaktes hingewiesen. Sprechen kann unmittelbar verletzen; es kann aber genauso gut zu Wirkungen und Effekten führen, ohne selbst schon dieser Effekt zu sein.

Wer einen anderen sprachlich verletzt, spricht ihn zunächst konkret an. Der Adressat fühlt sich auch prompt angesprochen – und verletzt. Jeder Eigenname verbürgt diesen Sachverhalt, der, seinem Ursprung nach, auf den biblischen Schöpfungsakt zurückgeht: "Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott ...".

Die "Anrufung" durch übergeordnete Instanzen erzeugt nicht nur im Polizeistaat das Ideal des willfährigen Bürgers. Es reicht die Stimme der Staatsmacht. Sie verkörpert sich in jedem Polizeibeamten, der dem eigenwilligen Fußgänger sein "Hallo, Sie da!" hinterherruft.

Indem Sprache das plumpe, physische Handeln bei weitem übersteigt, liegt die Kraft des Sprechaktes nicht allein in der Souveränität des jeweiligen Hasspredigers. Sind Äußerungen auch "Akte", so sind diese nicht unbedingt effektiv. Sprachliche Handlungen können scheitern.

Raus aus der Erstarrung

Ein Schlag in die Magengrube wird von mir unter allen Umständen als schmerzlich empfunden werden. Über die Aussage "Der Autor dieser Zeilen ist minderbemittelt!" könnte ich hingegen den Kopf schütteln – oder auch in bitterer Selbsterkenntnis zu weinen beginnen. Keinesfalls aber besäße der Absender der Hassbotschaft die Kontrolle über meine Reaktion.

Nur darum kann es gehen: Alle durch Hate-Speech Diffamierten gehören aus der Erstarrung der Opferrolle erlöst. Das wirkungsvollste Druckmittel gegenüber Ressentiment ist die Widerrede: Aufmüpfigkeit, die sich ihre gedankliche Eigenständigkeit bewahrt. Als Allheilmittel gegen Hass tönt der Ruf nach behördlicher Kontrolle hingegen viel zu schwach. (Ronald Pohl, 16.2.2020)