Im Gastkommentar widmet sich der Historiker Berthold Molden Unterschieden und Kontinuitäten.

Der 25. Jahrestag des Terroranschlags von Oberwart hat ein breites Spektrum journalistischer und politischer Stellungnahmen hervorgebracht, aus dem sich ein generalisierender Schluss ableiten lässt: Der rassistische Mord vom Februar 1995 hat sich nicht allein in die politische Erinnerung der österreichischen Roma und Sinti, sondern in den Konsens des österreichischen Gedächtnisses insgesamt eingeschrieben.

Gedenken an die vier ermordeten Roma Anfang Februar in Oberwart.
Foto: APA/Christian Gmasz

Der gemeinsame Nenner lautet, dass keine nationale Identität rassistische Gewalt rechtfertigen darf und dass Zusammenhänge zwischen Rechtsextremismus, Autoritarismus und ebendieser Gewalt bestehen. Während die Mediendiskurse über diesen Themenkomplex sonst oft gegeneinanderprallen, stiftet der Erinnerungsort Oberwart scheinbar Eintracht: Nie wieder! Diese Beobachtung des Jahres 2020 lädt ein zu einem Rückblick, um Unterschiede, Kontinuitäten und Entwicklungen aufzuzeigen.

Überforderte Exekutive

1995 explodierte die Bombe von Oberwart auch in den österreichischen Medien. Hauptthema der Kommentare war der gewaltaffine Rechtsradikalismus. In der Presse stellten Anneliese Rohrer und Thomas Chorherr die Zusammenhänge zur Innenpolitik her und entließen dabei auch "linksradikale" Provokationen nicht aus der Verantwortung. Ernst Trost in der Kronen Zeitung war einer der ersten Spitzenjournalisten, die die "Eigenschuldthese", wonach sich die Opfer selbst in die Luft gejagt hätten, energisch zurückwiesen. Im Kurier klagte Hans Rauscher die Verbindung von Jörg Haiders Brandreden und dem Terror an, und im damals noch recht jungen STANDARD widmeten sich Katharina Krawagna-Pfeifer, Gudrun Harrer, Günter Traxler und der Zeichner Oliver Schopf dem Thema, auch sie mit Blick auf die Zündschnüre, die zwischen Haiders Wortbomben und der Rohrbombe von Oberwart verliefen.

Polemik über Rasterfahndung und Überwachungsstaat

Angesichts der teils überfordert wirkenden Ermittlungsbehörden und vor dem Hintergrund der deutschen Gesetzgebung in Zeiten der RAF entflammte auch rasch eine Polemik über Rasterfahndung und Überwachungsstaat, die heute angesichts der Vorratsdatenspeicherung wieder aktuell ist. Richard "Staberl" Nimmerrichter nahm freilich damals die "Linken" aufs Korn, die angesichts des rassistischen Verbrechens auf einmal jene Polizeimethoden fordern würden, die sie zuvor als autoritäre Bedrohung abgelehnt hatten. Eric Frey resümierte, die schwierige Situation ergebe sich aus der überforderten Exekutive und einem rechtsextremen Rand, der durch die erstarkende FPÖ parteipolitisch präsent sei.

Aus heutiger Sicht scheint nicht zuletzt die Verstrickung von nationalistischer, tendenziell rassistischer Rhetorik und restriktiver Asylpolitik augenfällig. Den unmittelbaren Kontext dafür gaben damals die Verschärfung des Fremden- und Asylrechts nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs durch Innenminister Franz Löschnak und Sektionschef Manfred Matzka sowie natürlich das "Österreich zuerst"-Volksbegehren der FPÖ. In der Presse beklagte der Schriftsteller Gerhard Ruiss eine "Mobilmachung alter und neuer nationaler Zugehörigkeitsgefühle", die Österreich "zu einem asylrechtlichen Komplizen militärischer und politischer Diktaturen" gemacht habe. Die Erfolglosigkeit der Polizei in der Verfolgung und Verhinderung rechten Terrors deutete Ruiss als politisches Versagen.

Auch Leserbriefe an den STANDARD stellten den Zusammenhang zwischen der "Anti-Ausländer-Politik" der Regierung – darunter auch die von Sozialminister Josef Hesoun vorgeschlagene Kürzung der Kinderbeihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder ausländischer Arbeitnehmer – und einer minderheitenfeindlichen Stimmung in der Bevölkerung her.

Rassistische Diktion

In der Berichterstattung zu Oberwart fanden sich zahlreiche Spuren rassistischer Diktion oder überkommener Begrifflichkeiten. Zahlreiche Autoren verschiedener Medien schrieben von "Zigeunern". In der Krone befand Richard Nimmerrichter, die Verbrechen könnten nicht als rassistisch bezeichnet werden, weil die "Zigeuner" ja nie politische Ambitionen hätten erkennen lassen, und überdies – warum dürfe man nicht mehr "Zigeuner" und "Neger" sagen? Christian Wallner entgegnete in den Salzburger Nachrichten, ob dieser denn meine, dass die Roma, würden sie politische Ambitionen zeigen, die Bombe wohl verdient hätten.

Die empörte Berichterstattung von 1995 zeigt Kontinuitäten ebenso wie Entwicklungen auf. Was den Rechtsradikalismus betrifft, so hielten damals, anders als in der Koalition von 2017 bis 2019, rechtsextreme und deutschnationale Politiker keine Regierungsämter. Heinz-Christian Strache übte in den frühen 1990er-Jahren den Wehrsport, während sich Franz Fuchs im Einfamilienhaus radikalisierte. 2017 wurde Strache Vizekanzler.

Starke Hand

Autoritäre Tendenzen hingegen zeigen eine gewisse Kontinuität. Von Karl Renner in der Nachkriegszeit über Kurt Waldheim bis hin zur Bundespräsidentschaftswahl 2016 und der Neuübernahme der ÖVP 2017 finden sich in Österreich immer wieder Kontroversen über eine entschlossene Politik der "starken Hand", die nicht nur Richtungen vorgibt, sondern auch gegebenenfalls auf parlamentarische Kompromissfindung verzichten kann. Ethnische Intoleranz ist oft eine zentrale Argumentationsformel solcher Autoritätsallüren.

Und welche Schlüsse lassen sich aus der Rolle der Medien ziehen? Deren Diskurse bildeten diese Tendenzen einerseits ab, andererseits stellten sie sich ihnen entgegen. So steht Oberwart gemeinsam mit der Waldheim-Affäre am Anfang einer kritischen Öffentlichkeit, welche die Verflechtungen demokratiegefährdender Phänomene aufzudecken versucht. Dabei stehen Journalisten oft neben zivilgesellschaftlichen Initiativen – in der Ära Oberwart das Lichtermeer, in der Gegenwart die Willkommenskultur. Auch wenn diese Öffentlichkeit seither den zunehmenden Erfolg zerstörerischer Rhetorik beobachten muss – sie darf nicht verschwinden, denn oft ist sie das einzige Korrektiv! (Berthold Molden, 16.2.2020)