Wien – Die sechste Runde der KV-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft ist am Montag nach acht Stunden ergebnislos beendet worden. Die Verhandler konnten sich nicht auf eine Lösung für die Forderung der Gewerkschaften nach einer 35-Stunden-Woche für 125.000 Beschäftigte im privaten Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich einigen.

Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nannten die Vorschläge des Gegenübers am Verhandlungstisch am Montag "inakzeptabel". Gewerkschaftsvertreterinnen beklagten, dass es bei den Arbeitgebern keine Bereitschaft gebe, über eine Arbeitszeitverkürzung zu sprechen. Auf der anderen Seite beschwerte man sich, dass ein Angebot zu einer Lohnerhöhung um 2,7 Prozent für 2020 und 2021 nicht angenommen wurde.

Für 26. und 27. Februar haben die Gewerkschaften weitere Warnstreiks angekündigt, die im Vergleich zur Vorwoche zeitlich und regional ausgedehnt werden sollen. Die nächste Verhandlungsrunde wurde für 2. März vereinbart.

Die Pflege- und Sozialarbeiter streikten in den letzten Wochen für kürzere Arbeitszeiten.
Foto: APA/Helmut Fohringer

Frage: Warum sind die Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft besonders schwierig?

Antwort: Die langwierigen Verhandlungen sind keine Ausnahme. Bereits vergangenes Jahr benötigte man in der Branche sechs Runden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Der größte Zankapfel ist die 35-Stunden-Woche, deren Einführung die Gewerkschaften GPA und Vida seit fünf Jahren fordern. Die Arbeitgeberseite – der Verband der Sozial- und Gesundheitsunternehmen (SWÖ) – lehnt das seit jeher kategorisch ab.

Frage: Wer ist vom Kollektivvertrag betroffen?

Antwort: Rund 125.000 Beschäftigte der privaten Pflege- und Sozialbranche, die in Organisationen wie der Volkshilfe angestellt sind. Diese arbeiten nicht nur in der Altenpflege, sondern auch in der Drogensuchtberatung und der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern.

Frage: Was will die Gewerkschaft?

Antwort: Die Gewerkschaften beklagen die schlechten Arbeitsbedingungen. Emotionale Schwerstarbeit, psychische Gesundheit, familiäre Pflichten – das sei mit einem schlecht bezahlten Vollzeitjob nicht vereinbar.

Frage: Mit welchen Argumenten halten die Arbeitgeber dagegen?

Antwort: Die SWÖ verweist vor allem auf den Fachkräftemangel, der durch die Arbeitszeitverkürzung noch verschärft würde. Mit Gewinnmargen, die gegen null gehen, sei die Umsetzung einer 35-Stunden-Woche auch finanziell ein schwieriges Unterfangen.

ORF

Frage: Ist die 35-Stunden-Woche ökonomisch sinnvoll?

Antwort: Darüber scheiden sich die Geister. Studien bestätigen zwar, dass durch Arbeitszeitverkürzungen Produktivitätszuwächse entstehen, diese den Lohnkostenanstieg aber nicht ausgleichen können. Frankreich liefert einen Präzedenzfall: Dort belaufen sich die Kosten seit der schrittweisen Einführung der 35-Stunden-Woche laut Analyse des Pariser OFCE-Instituts auf 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Arbeitszeitverkürzung hatte aber auch positive Effekte auf das Steueraufkommen und die Beschäftigungszahlen.

Frage: Geht es nur um die 35-Stunden-Woche?

Antwort: Nur indirekt. 70 Prozent der Beschäftigten in der Pflege- und Sozialbranche sind Teilzeitangestellte. Sie würden von der Arbeitszeitverkürzung vor allem durch höhere Löhne profitieren. Das Mehr an Freizeit wird zudem als Ausgleich für die psychischen Belastungen im Berufsalltag gesehen. Die Forderungen der Arbeitnehmer hängen aber nicht zwingend nur an der 35-Stunden-Woche: Generell gesagt, geht es ihnen um ein attraktiveres Arbeitsumfeld, Respekt und Anerkennung.

Frage: Mit welchem Ergebnis kann die Arbeitgeberseite zufrieden sein?

Antwort: Wenn das "Schreckensgespenst" der 35-Stunden-Woche verhindert wird. Die SWÖ will nicht zum Türöffner für Arbeitszeitverkürzungen in anderen österreichischen Branchen werden. Die Befürchtung, dass dies passieren könnte, kommt vor allem vonseiten der Wirtschaftskammer.

Frage: Mit welchem Ergebnis können die Arbeitnehmer zufrieden sein?

Antwort: Jeder Schritt in Richtung Arbeitszeitverkürzung kann von GPA und Vida als Verhandlungserfolg verkauft werden. Die Gewerkschaften spielen letztendlich ein Geduldsspiel, in dem sie den Druck auf die Arbeitgeber jedes Jahr erhöhen. Jedes Zugeständnis der Arbeitgeber ist ein Meilenstein auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche, so die Hoffnung.

Frage: Wäre das Thema mit einer Einigung gegessen?

Antwort: Nein. Das Thema wird Politik, Unternehmen, Arbeitnehmer und die gesamte Gesellschaft wohl noch Jahrzehnte begleiten. Der Rechnungshof verweist darauf, dass Österreich auf die wachsenden Probleme in der Pflege schlecht vorbereitet ist.

Frage: Wo liegt das Problem?

Antwort: Beim Thema "Arbeitsbedingungen in der Pflege" hängt vieles am vielzitierten Fachkräftemangel: Der Personalbedarf ist durch Absolventen etwa nur bis 2024 gedeckt. In gewisser Weise ergibt sich ein Henne-Ei-Problem: Die Gewerkschaften argumentieren, dass man den Fachkräftemangel nur durch eine Attraktivierung des Arbeitsumfelds beheben kann. Die Arbeitgeber sind der Meinung, man könne nicht dafür sorgen, solange der Fachkräftemangel besteht. Finanziert werden Volkshilfe und Co letztendlich vom Bund und den Gemeinden. Der Staat will der Bevölkerung nicht mehr Steuern aufbürden. Ohne zusätzliches Geld wird es für die Arbeitgeber aber schwierig, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und das befeuert wiederum den Fachkräftemangel. (APA, tk, 18.02.2020)