"Ich war in einem Geschäft und wollte etwas einkaufen. Ich habe nach dem Preis gefragt. Der Verkäufer hat gesagt 'sechzig' und weil ich handeln wollte, habe ich ihm geantwortet 'machen wir siebzig'. An seiner Reaktion habe ich gemerkt, dass ich gerade etwas Falsches gesagt habe. Sowas würde mir heute nicht mehr passieren", berichtet die 32 Jährige Teilenhmerin eines Basisbildungskurses.

Ein grundlegender Bereich der Basisbildung ist das Lesen und Schreiben. Wie im ersten Blog-Beitrag beschrieben, haben bis zu eine Million Menschen in Österreich Schwierigkeiten im Umgang mit der Schriftsprache. Womit das komplette Spektrum gemeint ist: von kleinen Unsicherheiten beim Lesen von Texten bis hin zum Erlernen der Buchstaben.
Um die unterschiedlichen Herausforderungen des alltäglichen Lebens in einer modernen Gesellschaft zu schaffen, wird mit verschiedenen Mitteln und angepasster Geschwindigkeit personenzentriert gelernt. Nur wenige Personen können gar nicht lesen. Einen Lehrplan im klassischen Sinne gibt es nicht. Die Lernerinnen und Lerner stecken sich selbst ihre Ziele. Das kann ganz Unterschiedliches umfassen: Zeitung lesen, Kalender beziehungsweise Termine verwalten, Behördenbriefe verstehen und gegebenenfalls darauf antworten, aus einem Kinderbuch vorlesen, Nachrichten tippen und verschicken und vieles mehr.

Den Alltag organisieren und Termine einhalten umfasst einige Kompetenzen.
Foto: Julia Rührlinger

Zahlen bitte

Ein weiterer Bereich umfasst mathematische Grundkenntnisse. Oft hört man die Frage "Wozu brauch' ich das denn?". Auch wenn Manches auf den ersten Blick lebensfremd und abstrakt erscheint, gibt es doch Vieles, was für den Alltag hilfreich sein kann. Daher ist es wichtig, die wichtigsten mathematischen Grundlagen zu beherrschen. Das beginnt bei plus, minus, multiplizieren und dividieren und geht weiter bei Dezimalzahlen, Brüchen und Prozent bis hin zu Schlussrechnungen und Gleichungen. Viel wichtiger als der abstrakte Umgang mit Zahlen ist jedoch der Transfer in den Alltag.
Das kann einerseits eine Überschlagskopfrechnung sein, oder die Deka an der Fleischtheke in Gramm umrechnen zu können. Aber auch die Quadratmeter der neuen Wohnung ausrechnen zu können oder die Prozente und den tatsächlichen Preis einer Ratenzahlung.
Da Basisbildung ein Angebot für Erwachsene darstellt, ist es wichtig an ihrer Lebenswelt anzudocken. Teils spielerisch, aber nie zu kindlich.

Mathematik umgibt uns überall, selbst in den eigenen vier Wänden.
Foto: Florian Pawlik

Digitalisierte Welt

Ein neueres Thema in der Erwachsenenbildung ist die fortschreitende Digitalisierung aller Bereiche des alltäglichen Lebens. Deshalb fokussiert Basisbildung sowohl auf die klassischen Unterrichtsgegenstände Deutsch und Mathematik als auch auf die digitalisierte Gesellschaft. Das beginnt bei der Bedienung von Fahrscheinautomaten oder Bankomaten und geht weiter mit der kompetenten Handhabung von Laptops oder Tablets und inkludiert den Umgang mit Apps und Computerprogrammen. Weiters ist der kritische Umgang mit Medien ein wichtiges Thema. Einerseits um Fakenews erkennen und benennen zu können, andererseits auch um finanzieller Übervorteilung zu entgehen, die im Netz lauern kann. Besonders in diesem Unterrichtsbereich wird sich auch in den kommenden Jahren noch vieles verändern und weiterentwickeln.

Orientierung im Alltag kann ziemlich verwirrend sein.
Foto: Florian Pawlik

Zurechtfinden im Alltag und Lust am Lernen bekommen

Letztlich braucht es für die Bewältigung des Alltags mehr als die bereits genannten Kompetenzen. Dabei ist Orientierung mitunter ganz wörtlich zu verstehen. Wo in der Stadt finde ich was? Wie komme ich dahin? Welchen Bus muss ich dafür nehmen? Und wann fährt er?
Das kann aber auch Orientierung im übertragenen Sinn bedeuten: An wen muss ich mich mit welchem Anliegen wenden? Welches Ziel möchte ich als nächstes in meinem Leben schaffen? Wie kann ich mir mein Leben für mich am besten organisieren?

Neben den Fertigkeiten, die in der Basisibildung vermittelt werden, steht auch das Entdecken beziehungsweise Wiederentdecken der Freude am Lernen im Mittelpunkt. Oftmals gab es in der Schulzeit oder auch in der innerfamiliären Kindheit schlechte Erfahrungen mit dem Lernen. "Das kann ich sowieso nicht" oder "ich bin eh zu dumm dafür" sind nicht selten internalisierte Glaubenssätze, die bewirken, dass man im Laufe des Lebens unvollständig erworbene Fertigkeiten wie Schreiben oder Rechnen meidet. Im sicheren Rahmen des Kurses, im Kreise von Gleichgesinnten und professionell ausgebildeten Erwachsenenbildnerinnen und -bildner, kann eine (erneute) Annäherung als lustvoll erlebt werden und mögliche vorhandene Traumata dürfen ohne Zeitdruck und Prüfungsstress heilen. Der Weg nach vorne wird (wieder) frei und es entstehen neue Perspektiven – nicht nur für den Beruf.

Die eingangs zitierte Teilnehmerin antwortete nach zwei Jahren Kurs auf die Frage nach ihrem Lieblingsfach freudestrahlend: "Mathematik! Jetzt weiß ich, dass ich das auch kann. Ich bin so stolz auf mich!"

In jeglicher Hinsicht gemischte Gruppen (Alter, Erstsprache(n), Ziele und Lebensumstände) wirken meistens inspirierend und horizonterweiternd. Daraus ergibt sich unweigerlich die Querschnittmaterie soziales Lernen, Vorurteile werden besprochen und abgebaut, Vielfalt wird gelebt und (u.a. privat) genützt.

Letztlich geht es in der Basisbildung darum, möglichst viele Bereiche des Lebens zu erfassen und (Handlungs-)Möglichkeiten im Rahmen der individuellen Lebenswelt zu erweitern. (Florian Pawlik & Julia Rührlinger, 21.2.2020)

Florian Pawlik und Julia Rührlinger arbeiten seit einigen Jahren in der Erwachsenenbildung mit Schwerpunkt Alphabetisierung und Basisbildung und sind seit 2019 im Projekt Campus Basisbildung aktiv.

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