Mediziner, Gynäkologen und Geburtshelfer verweisen auf 80 randomisiert-kontrollierte Studien, die es zum Einsatz von oralem Misoprostol zur Geburtseinleitung gibt.

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Berlin/Wien – In Deutschland und Österreich nutzen Geburtsmediziner zur Einleitung der Wehen das Medikament Cytotec, das in der Geburtshilfe nicht zugelassen ist. Das könne in Einzelfällen zu schweren Komplikationen bei Mutter und Kind führen, bis hin zum Tod von Babys, berichteten die "Süddeutsche Zeitung" und der Bayerische Rundfunk vergangene Woche.

Die Berichterstattung führte zu kontroversen Reaktionen. Mehrere deutsche Fachverbände und Geburtshelfer haben nun in einer Erklärung betont, dass die wehenauslösende Tablette nicht umstritten, sondern sehr effektiv sei. "Es gibt kein besseres Mittel in der Geburtshilfe", sagt der Gynäkologe und Leiter des Gynmed-Ambulatoriums, Christian Fiala.

Cytotec ist weder in Deutschland noch in Österreich in der Geburtshilfe zugelassen. In Österreich sind bisher keine Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Weheneinleitungen gemeldet worden.

Wahrscheinlich überdosiert

Bereits vergangenen Donnerstag erfolgte die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin, der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. "Die Evidenz ist unstrittig: Der Wirkstoff Misoprostol ist das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung und führt vor allem bei der oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen Medikamenten", heißt es darin.

Zugelassen ist der Wirkstoff Misoprostol in Österreich in den Indikationen "Magenschutz" (für Prophylaxe und Therapie von Geschwüren des Magens und des Zwölffingerdarms) sowie zum Schwangerschaftsabbruch in Kombination mit der "Abtreibungspille" Mifegyne (Wirkstoff Mifepriston). Zum Einsatz in der Geburtshilfe kann das Medikament via "Off-label"-Anwendung, also im Rahmen der Therapiefreiheit durch den Arzt, kommen, den damit auch erhöhte Aufklärungspflichten vor einer Anwendung gegenüber der Patientin treffen. Da Zulassungsstudien fast aller Medikamente Kinder und Schwangere ausschließen, werden in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde überwiegend Antibiotika, Bluthochdruckmittel und Medikamente zur kindlichen Lungenreifung "off-label" angewendet, betonten die Fachverbände in ihrer Stellungnahme.

Cytotec sei bei der dokumentierten Patientin aus der Berichterstattung der beiden deutschen Medien offensichtlich überdosiert worden, sagt Fiala. "Sie erhielt weiter Cytotec, obwohl sie bereits Wehen hatte. Dieser Behandlungsfehler hat aber nichts mit Cytotec zu tun, sondern wäre so mit jedem anderen Medikament auch passiert, wenn es die Kontraktionen anregt", erklärt der Gynäkologe. Laut Fiala wird hier "ein sehr gutes Medikament fälschlicherweise an den Pranger gestellt, weil es in sehr wenigen Einzelfällen – gemessen an der sehr häufigen Anwendung – falsch dosiert bzw. zu einem falschen Zeitpunkt gegeben worden ist".

Gut erforscht

Laut Stellungnahme der deutschen Experten ist kein Wirkstoff zur Geburtseinleitung ähnlich gut in Studien untersucht worden wie Misoprostol. So gebe es "mittlerweile mehr als 80 randomisiert-kontrollierte Studien zur Verwendung von oralem Misoprostol zur Geburtseinleitung und dutzende randomisiert-kontrollierte Studien zur vaginalen Applikation".

Schwere Nebenwirkungen und Todesfälle betreffen laut der Stellungnahme "vor allem Geburten, bei denen im Vorfeld eine Operation der Gebärmutter (etwa Kaiserschnitt, Entfernung von Myomen oder Endometriose) erfolgte", betonten die Experten. Hier gebe es "unabhängig von einer Geburtseinleitung immer das Risiko, dass es zu einer Uterusruptur mit entsprechendem erhöhtem Risiko für Mutter und Kind kommen kann. In dieser Situation darf Misoprostol nicht zur Geburtseinleitung verwendet werden, was seit vielen Jahren bekannt ist und im klinischen Alltag beachtet werden muss", heißt es vonseiten der Fachverbände und Geburtshelfer. (APA, 18.2.2020)