Im Gastkommentar sieht Stefan Brocza, Experte für Europarecht und internationale Beziehungen, reinen Zahlenfetischismus, Österreich werde am Ende tiefer in die Tasche greifen.

Die Diskussion um den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen, das EU-Rahmenbudget für die Jahre 2021–2027, nimmt Fahrt auf. Für den 20. Februar hat EU-Ratspräsident Charles Michel zu einem Haushaltssondergipfel geladen. Gerüchteweise sollen die Räumlichkeiten sicherheitshalber schon einmal bis zum 24. reserviert sein. Die Zeit drängt, es muss schleunigst eine Einigung zwischen den EU-Mitgliedstaaten erreicht werden. Der derzeitige langfristige Haushalt endet bekanntlich im Dezember. Jede weitere Verschiebung hätte gravierende praktische und politische Probleme zur Folge und würde eine fristgerechte Fortsetzung laufender Programme und Politiken massiv gefährden.

Sebastian Kurz fordert in einem Gastkommentar mit den Premiers der Niederlande, Dänemarks und Schwedens einen Nettozahlerrabatt.
Foto: euters / Andreas Gebert

Einer der hartnäckigsten Bremser bei den seit 2018 laufenden Gesprächen ist bekannterweise Sebastian Kurz. Er beharrt seit Anbeginn auf seiner eisernen Regel, "nicht mehr als ein Prozent" des BIPs ins künftige EU-Budget überweisen sie wollen. Dass es sich dabei um reinen Zahlenfetischismus handelt und der Streit zwischenzeitlich nur noch um Stellen hinter dem Komma ausgefochten wird, ist eine traurige Tatsache. Eine politische Diskussion, was mit dem Geld sinnvollerweise angestellt werden soll, erfolgt schon lange nicht mehr. Stattdessen beharrt Österreich auf seinem "Ein-Prozent-Dogma". Komme, was wolle. Selbst Vizekanzler Werner Kogler musste gleich zu Beginn der türkis-grünen Zusammenarbeit medienwirksam seinen Schwur leisten: "Nicht mehr als ein Prozent."

Plötzlicher Sinneswandel

Noch im Jänner vertraten Europaministerin Karoline Edtstadler oder auch Finanzminister Gernot Blümel in Brüssel das unerschütterliche Budgetdogma, ohne Chance auf einen Kompromiss. Durch urplötzlich, aus heiterem Himmel gilt das alles offensichtlich nicht mehr. Kurz selbst begann mit einzelnen Wortmeldungen, seine eigene Position zu relativieren. Auf einmal heißt es nur noch: "Wir wollen natürlich, dass unsere Beiträge nicht ins Unermessliche steigen", ansonsten wird aber Flexibilität signalisiert. Was führte zu diesem plötzlichen Sinneswandel?

Zwischenzeitlich nennt Kurz sogar schon einmal 1,11 Prozent als Maximalhöhe für künftige Zuwendungen ins EU-Budget. Dass er damit auch gleich noch den bereits im Dezember vom damaligen EU-Vorsitzland Finnland vorgeschlagenen Kompromiss von 1,07 Prozent torpediert, scheint ihm bewusst zu sein. Aber warum lehnte Österreich im Dezember 1,07 Prozent vehement ab, ist jedoch Mitte Februar plötzlich für "bis 1,11 Prozent"?

Differenz mit Ungarn

Kurz nahm am Visegrád-Gipfel Mitte Jänner in Prag teil. Bereits dort wurde ihm wohl klar, dass er mit seiner Ein-Prozent-Forderung auf verlorenem Posten steht. Ausgerecht jene Staaten, die ihm politisch so wichtig sind, lehnten seine Position kategorisch ab. Die endgültige Wende brachte aber wohl der Besuch von Europaministerin Edtstadler in Ungarn am 9. Februar.

Viktor Orbán ist unter keinen Umständen gewillt, künftig auch nur auf einen Cent aus dem EU-Budget zu verzichten. Das ist verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Ungarn der größte Nettoempfänger aus dem EU-Budget ist. 4,11 Prozent des ungarischen BIPs stammen aus Brüssel. In absoluten Zahlen sind das immerhin 5,2 Milliarden Euro jährlich.

Offensichtlich will (oder kann) sich Kurz dem Ansinnen seines Freundes Orbán einfach nicht verschließen. Für Ungarn – und die anderen Visegrád-Staaten – verzichtet er sogar auf sein persönliches Ein-Prozent-Steckenpferd. Daran ändert auch seine jüngste PR-Nebelgranate in der "Financial Times" nichts mehr, wo er in Flip-Flopper-Manier nochmals über die Vorzüge eines Ein-Prozent-Budgets referiert. Am Ende wird Österreich schließlich doch tiefer in die Tasche greifen. Orbán und Co wird’s freuen. (Stefan Brocza, 18.2.2020)