Foto: APA/zb/Sebastian Kahnert

Den Fasching will man den Betroffenen nicht vermiesen, doch danach werden die Warnstreiks ausgeweitet. Die Rede ist von den Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft. In der Branche geht es seit Jahren recht turbulent zu. Auf der einen Seite stehen 125.000 Mitarbeiter mit extrem belastender Tätigkeit – von Pflege junger Unfallopfer oder alter Kranker über Drogenberatung bis hin zu Freizeitbetreuung an Schulen. Was sie allesamt auszeichnet: hohes Engagement, karger Lohn. Auf der anderen Seite stehen meist karitative Einrichtungen wie Caritas, Diakonie oder Hilfswerk. Ihr Merkmal: hohes Engagement, karge Ausstattung.

Jetzt wird heftig gestritten. Nicht nur über Bezahlung, sondern auch über Arbeitsbedingungen. Das ist gut so, denn die Anspannung vieler Bediensteter in der Branche kann gar nicht genug öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Es geht aber auch um eine Art Präzedenzfall: Längst steht die 35-Stunden-Woche im Zentrum des Konflikts, auf die die Gewerkschaften pochen. Aus gutem Grund: Hohe physische wie psychische Belastung sollten durch mehr Freizeit ausgeglichen werden. Dafür von niedrigem Niveau ausgehend auch noch Einkommenseinbußen zu diskutieren wäre das völlig falsche Signal.

Nicht nur Symptome bekämpfen

Die Sozialwirtschaft leidet unter Personalmangel, der wiederum Folge der schlechten Arbeitsbedingungen ist. Stress, kurzfristiger Arbeitsanfall und mangelnde Anerkennung sind kein Anreiz, sich im Pflegebereich oder Drogenmilieu aufzuopfern. Und führen noch dazu zu hoher Fluktuation.

Da wirkt es fast schon grotesk, wenn die Arbeitgeber die 35-Stunden-Woche mit dem Argument ablehnen, dass bei Arbeitszeitverkürzung nicht mehr ausreichend Bedienstete zur Verfügung stünden. Die Leute werfen ja genau deshalb den Job hin (oder fangen gar nicht erst an), weil die Sozialwirtschaft so unattraktiv ist. Wer nicht nur Symptome, sondern Ursachen bekämpfen will, muss an der Schraube beziehungsweise an der Arbeitsuhr drehen.

Öffentliche Hand in der Pflicht

Dass die Arbeitgeber nicht weitsichtiger agieren, hängt freilich auch mit ihrer Finanzierungslage zusammen. Geldgeber ist größtenteils die öffentliche Hand, die nichts zu verschenken hat. Doch in dem Fall trifft der Sparzwang die Falschen. Immerhin ist es der Staat, der die großen gesellschaftspolitischen Probleme unserer Zeit an soziale Organisationen outsourct. Das kann auch dank der hohen Kompetenz und Zuverlässigkeit der karitativen und anderen Einrichtungen gut funktionieren.

Doch die Republik stiehlt sich aus der Verantwortung, wenn sie für den Sozial- und Pflegebereich nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stellt. Fürsorge für benachteiligte Gruppen heißt auch, sich um deren Betreuer zu kümmern. Alles andere wäre die Vernachlässigung einer angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Kluft immer wichtiger werdenden Kernaufgabe. Ein Wohlfahrtsstaat mit 190 Milliarden Euro an Ausgaben im Jahr sollte in der Lage sein, für angemessene Arbeitsbedingungen einer Berufsgruppe zu sorgen, die sich in den Dienst der sozial, psychisch und physisch Schwächsten der Gesellschaft stellt. (Andreas Schnauder, 18.2.2020)