Diese Pluto-Aufnahme entstand 16 Stunden vor dem Flyby von New Horizons am 14. Juli 2015. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Nasa-Sonde rund 766.000 Kilometer von Pluto entfernt
Foto: Nasa

Selten werden Debatten in der Astronomie so emotional geführt, wie die Klassifizierung des einst sonnenfernsten Planeten: Seit 2006 die Internationale Astronomische Union (IAU) eine neue Definition für Planeten eingeführt hat, gilt der Pluto "nur mehr" als Zwergplanet. Als ausschlaggebend für die "Degradierung" galt vor allem der damals festgelegte Umstand, dass Planeten nur dann als solche gelten, wenn sie ihre Umlaufbahnen von anderen Objekten freigeräumt haben, was bei Pluto nach Ansicht vieler Astronomen nicht der Fall ist.

Seither sind die Verantwortlichen für diese Entscheidung insbesondere in den USA regelrechten Anfeindungen ausgesetzt. Der Wissenschafter Mike Brown vom California Institute of Technology beispielsweise war einer der Betreiber der Herabstufung und twittert ironischerweise unter dem Namen "Plutokiller". Bis heute muss er sich online von Plutoanhängern rüde Beschimpfungen gefallen lassen. Zum 90. Jahrestag der Pluto-Entdeckung hat das Hamburger Planetarium nun eine Gegen-Initiative gestartet, "Pluto for Planet".

Pluto-Festival in Flagstaff

Die ferne Eiswelt war am 18. Februar 1930 von Clyde Tombaugh am Lowell-Observatorium in Flagstaff (US-Staat Arizona) aufgespürt worden, das zum Jahrestag der Entdeckung ein eigenes Pluto-Festival veranstaltet. "Die Entdeckung Plutos war von großer Bedeutung, da es der erste Vorstoß in den Kuipergürtel in den Außenregionen des Sonnensystems gewesen ist", betont IAU-Sprecher Lars Lindberg Christensen. Der Kuipergürtel jenseits des Planeten Neptun ist eine Art eisiges Archiv. In ihm tummeln sich Millionen urtümliche Brocken aus der Frühzeit des Sonnensystems – einige darunter von ähnlicher Größe und Masse wie Pluto, wie wir heute wissen.

"Pluto war unser erster Hinweis darauf, dass das Sonnensystem einen enormen Fundus gefrorener Himmelskörper besitzt, die bei der Entstehung der Planeten übrig geblieben sind", meint auch US-Astronom Mike Brown, dessen Entdeckung des Zwergplaneten Eris den letzten Anstoß zur Herabstufung Plutos gegeben hatte. "Auch wenn es mehr als 60 Jahre gedauert hat, die Bedeutung zu verstehen, wissen wir heute, dass diese Sammlung an Himmelskörpern wichtige Hinweise auf unsere früheste Geschichte und die Ereignisse seitdem enthält."

Bei der Größe verschätzt

Nach der Entdeckung war Pluto als neunter Planet unseres Systems eingestuft worden. Damals hielten ihn die Astronomen allerdings auch noch für deutlich größer, mindestens so groß und schwer wie die Erde. Der Marsforscher Percival Lowell (1855–1916) hatte bereits 1905 postuliert, dass es jenseits des Neptun einen Planeten geben müsse, dessen Schwerkraft für leichte Unregelmäßigkeiten in der Neptunbahn verantwortlich sein sollte.

Auf diesen Fotos wurde Pluto vor 90 Jahren entdeckt.
Foto: Archiv

Diesen "Transneptun" suchte Lowell an seinem eigenen Observatorium zeitlebens vergeblich. Sein Nachfolger Vesto Slipher stellte 1929 schließlich den jungen Amateurastronomen Tombaugh ein, um die Suche fortzusetzen. Tatsächlich stieß der damals 24-Jährige bereits nach wenigen Monaten auf den bis dahin unbekannten Himmelskörper – ein Zufall, wie sich später herausstellte. Denn Pluto ist entgegen der ursprünglichen Annahmen winzig, nur etwa ein Drittel so groß und ein Fünftel so schwer wie unser Mond und kann damit Neptuns Umlaufbahn nicht beeinflussen. Seine Position ließ sich daher auch nicht aus der Beobachtung von Neptun berechnen.

Die Nachricht von der Entdeckung, die am 13. März 1930 zu Lowells 75. Geburtstag bekannt gemacht wurde, stieß weltweit auf großes Interesse. Immerhin war es der erste Neuzugang im Planetensystem, seit 84 Jahre zuvor der Neptun erspäht worden war. Pluto erlangte eine Art Popstar-Status: Walt Disney benannte den Comic-Hund seiner Figur Micky Maus nach dem neuen Planeten, das Element Plutonium verdankt ihm seinen Namen und selbst ein Antarktis-Gletscher heißt nach ihm.

Von einem elfjährigen Mädchen getauft

Der Name Pluto stammte dabei weder von Tombaugh, der nach der Entdeckung als Astronom und Universitätsprofessor Karriere machte, noch von sonst einem Wissenschafter, sondern von einem elfjährigen Mädchen aus England: Venetia Phair aus Oxford hatte die Entdeckung 1930 von ihrem Großvater beim Frühstück aus der Zeitung vorgelesen bekommen. "Ich hatte von den griechischen und römischen Legenden in Kinderbüchern gelesen und kannte das Sonnensystem und die Namen der anderen Planeten", erzählte die 87-jährige Phair 2006 der US-Raumfahrtbehörde Nasa. "Also dachte ich, diesen Namen gibt es noch nicht." Phairs Großvater berichtete einem befreundeten Astronomen von der Idee, der sie an die Entdecker vom Lowell-Observatorium übermittelte.

76 Jahre lang galt Pluto als neunter Planet unseres Sonnensystems. Während dieser Zeit stießen Astronomen jedoch auf immer mehr ähnlich große Objekte in den eisigen Gefilden des Kuipergürtels. Die Entdeckung von Eris, ebenso groß wie Pluto und sogar etwas schwerer, erforderte schließlich eine Entscheidung: entweder war Eris der zehnte Planet, oder Pluto musste seinen Planetenstatus verlieren. Die Vollversammlung der IAU entschloss sich 2006 in Prag zur Degradierung und führte die neue Gruppe der Zwergplaneten ein. Das sind Himmelskörper, die im Gegensatz zu vollwertigen Planeten ihre Umlaufbahn nicht von anderen großen Objekten freigeräumt haben.

Der Ausschnitt aus der Region Sputnik Planitia zeigt weitläufige Eisebenen und Gebirge; die Distanz zwischen linkem und rechtem Bildrand beträgt etwa 400 Kilometer.
Foto: Nasa

"Pluto for Planet"

Bis heute hadern vor allem Teile der Öffentlichkeit, aber auch manche Forscher mit dieser Herabstufung. "Die aktuelle Definition der IAU basiert auf einer Momentaufnahme des Planetensystems, die weder sinnvoll noch wissenschaftlich weiterführend ist", argumentiert der Hamburger Planetariumsdirektor Thomas Kraupe auf der Internetseite seiner Initiative, plutoforplanet.de. "Wir setzen uns dafür ein, dem Forschergeist junger Menschen keinen doch recht willkürlichen Riegel vorzuschieben. Unzählige weitere Planeten jenseits von Pluto warten auf ihre Entdeckung und Erforschung." Kraupe plädiert dafür, innerhalb der Planeten eine Unterklasse der Zwergplaneten zu schaffen, so wie es bereits Gasriesen und Gesteinsplaneten sind.

Auch der Chefwissenschaftler der Pluto-Sonde New Horizons, Alan Stern von der US-Raumfahrtbehörde Nasa, sähe Pluto gern weiter in der offiziellen Gruppe der Planeten. Und Nasa-Chef Jim Bridenstine bekannte unlängst auf dem 70. Internationalen Astronautik-Kongress in Washington: "Ich bin hier als Nasa-Chef um euch zu sagen, dass ich glaube, dass Pluto ein Planet ist, und ich werde auch weiterhin allen sagen, dass Pluto ein Planet ist." Die Erkenntnisse von New Horizons, die 2015 Pluto besucht hatte, erforderten eine Neubewertung der Einstufung, argumentierte er.

Diese Aufnahme der Raumsonde New Horizons aus dem Jahr 2015 zeigt Dünen (rechts) am Rand des Al-Idrisi Montes (links) auf dem Pluto.
Foto: NASA/JHUAPL/Southwest Research Institute

Abwechslungsreiche Landschaften

Tatsächlich hatte sich der Nasa-Sonde eine erstaunlich abwechslungsreiche Landschaft auf Pluto offenbart, die sich in ihrer Vielfalt mit Teilen der Erde durchaus messen kann: Auf Pluto gibt es Tiefebenen, Gletscher und kilometerhohen Gebirge aus Wassereis, rötlich schimmernde organische Verbindungen, vermutlich eine aktive Geologie, Nebel in einer extrem dünnen Atmosphäre und möglicherweise sogar einen unterirdischen Ozean. Die kleine Welt ist damit vielfältiger und aktiver als erwartet. Ob das jedoch ein Kriterium für eine wissenschaftliche Neubewertung ist, bleibt offen. "Die IAU hat keine formalen Anfragen bekommen, Plutos Status oder die Planetendefinition zu ändern", berichtet Sprecher Lindberg Christensen.

"Die korrekte Kategorie für Pluto ist nicht einfach ein Problem der Sprache, sondern eine wirklich tiefgreifende Frage der Klassifizierung", betont Eris-Entdecker Brown. "Die Klassifizierung ist wichtig. Es ist das erste, was Wissenschafter machen, wenn sie versuchen, etwas zu verstehen. Eine gute Klassifizierung führt zu guten Fragen, zum Beispiel warum das Sonnensystem gerade acht dominante Planeten und dazu eine große Ansammlung kleinerer Objekte besitzt, während eine schlechte Klassifizierung das Verständnis vernebelt." (red, Till Mundzeck, APA, 18.2.2020)