Mithilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas soll die Welt eine bessere werden: Die Landwirtschaft soll nachhaltiger, Nutzpflanzen sollen gesünder und robuster werden, und das alles soll zügiger und ohne die Monopolstellung großer Agrarkonzerne vonstattengehen.
Illustration: Kathrin Gusenbauer, irrlicht-impressions.com

An Lobeshymnen mangelt es nicht, wenn es um den Einsatz des Genome-Editing-Verfahrens CRISPR/ Cas bei Pflanzen geht. Revolutionär, gezielt, präzis, günstig, einfach – das sind die Adjektive, mit denen die Methode beschrieben wird.

Mithilfe der Gen-Schere wollen Wissenschafter Pflanzen züchten, die Trockenheit und salzhaltige Böden tolerieren, Schädlingen trotzen, weniger Pestizide brauchen und dabei mehr Ertrag liefern.

Kritiker merken an, dass solche Versprechen schon einmal gemacht wurden: als die Vorzüge der klassischen Gentechnik beworben wurden. Tatsächlich sind heute viele transgene Pflanzen durchaus resistent gegen Unkrautvernichtungsmittel oder Insekten – doch der große Wurf blieb aus. Kann CRISPR mehr?

Das molekularbiologische Werkzeug CRISPR/Cas9 kann in vielen Bereichen eingesetzt werden – auch in der Pflanzenzucht. Dieses Erklärvideo zeigt, wie die Gen-Schere funktioniert.
DER STANDARD

CRISPR/Cas ist inzwischen das klar dominierende Genom-Editierungs-Verfahren in der Pflanzenforschung. Bis Mai 2018 wurden laut einer aktuellen Übersichtsarbeit von Forschern des Julius-Kühn-Instituts in Quedlinburg 1328 Genom-Editierungs-Studien an insgesamt 68 Pflanzenarten durchgeführt.

1032 Studien entfielen auf CRISPR. Drei Viertel der Studien wurden in China (599) publiziert, gefolgt von den USA (487), Japan (94) und Deutschland (88). Noch handelt es sich um Grundlagenforschung, immerhin werden 99 Studien an 28 Nutzpflanzen in der Übersichtsstudie aber als marktorientiert identifiziert.

Gesündere Kartoffeln

Klar die Nase vorn hat bei den untersuchten Nutzpflanzen Reis, gefolgt von Tomaten, Mais, Weizen und Sojabohnen. Geforscht wird auch an Kartoffeln, Gurken, Grapefruits, Erdnüssen, Blattsalat und der Banane. Immer geht es darum, Nutzpflanzen an die Bedürfnisse des Menschen anzupassen.

Neben den Klassikern Ertrag und Resistenzen versuchen Forscher auch die Qualität zu verbessern: Sie entwickeln Kartoffeln, die länger frisch bleiben und beim Erhitzen weniger Acrylamid produzieren, oder Weizen mit reduziertem Glutengehalt sowie Blattsalat mit erhöhtem Vitamingehalt.

Für Reis konnte das internationale Forschungskonsortium Healthy Crops jüngst einen Durchbruch verkünden: Die Forscher unter der Leitung von Wolf Frommer von der Uni Düsseldorf entwickelten mit CRISPR/Cas Reispflanzen, die resistent sind gegen mehrere Xoo-Bakterienarten, Erreger der "Weißblättrigkeit", einer verheerenden Reiskrankheit, die Ernteausfälle von bis zu 75 Prozent verursachen kann.

Mit keiner anderen Pflanze werden weltweit so viele CRISPR-Experimente durchgeführt wie mit Reis.
Foto: EPA

Viele Jahre eingespart

"Genome Editing bietet eine Menge Möglichkeiten, die Züchtung zu beschleunigen und zu präzisieren. Es wird aber in der Öffentlichkeit gern so dargestellt, als ob man einfach bestimmte Gene ausschaltet oder verändert, so eine neue Eigenschaft erhält und dann die Pflanze auf den Markt bringt. Dies ist falsch", betont der Mitautor der Übersichtsarbeit Frank Hartung vom Institut für Sicherheit biotechnologischer Verfahren bei Pflanzen am Julius-Kühn-Institut.

Hat man das Editier-Ziel erreicht, dann "geht die eigentliche Züchtungsarbeit los. Das heißt, die Pflanze muss auf ihre veränderten Eigenschaften überprüft werden. Das dauert genauso lange wie bei konventionell gezüchteten Pflanzen, also mehrere Jahre Anbau und Testung."

Dennoch schätzen Experten, dass mithilfe molekularer Züchtungsverfahren im Vergleich zu konventionellen viele Jahre eingespart werden können – je nach Kulturart schätzt man zwischen sechs bis zu 50 Jahren.

CRISPR und Co eröffnet Pflanzenzüchtern außerdem ganz neue Wege der Pflanzenzucht: "Dank der enormen Fortschritte in der Genomsequenzierung kennen wir immer mehr Pflanzengenome und können diese vergleichen", sagt Holger Puchta, Leiter des botanischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie. "Dabei fällt auf, dass bei der Entwicklung von Wild- zu Kulturpflanzen relativ wenige Gen-Gruppen beteiligt sind." Verändert man nun gezielt nur diese Gene in Wildpflanzen, ermöglicht das eine "beschleunigte Domestizierung".

Vorteile der Wildpflanzen

Im Idealfall erhielte man Nutzpflanzen mit den Vorteilen der Wildpflanzen, die in der Regel robuster sind und oft auch besser schmecken, und mit jenen der Kulturpflanzen, die ertragreicher sind. "Und das in fünf, zehn Jahren, und nicht erst nach Jahrhunderten", sagt Puchta.

Die Basis aller Zuchterfolge (und die Grundlage der Evolution) ist die sogenannte genetische Variabilität: Vergleicht man mehrere Pflanzen einer Art, wird man feststellen, dass ihre Genome nicht identisch sind. Sie weisen also kleine und größere DNA-Veränderungen auf.

Indem der Mensch jahrtausendelang jene Pflanzen mit besonders ertragreichen Fruchtständen favorisierte, traf er eine Auswahl an für ihn vorteilhaften Mutationen. "Durch den Ausleseprozess, der vorrangig auf Ertrag zielte, hat die Vielfältigkeit des Erbguts im Laufe der Jahrhunderte deutlich abgenommen. Unsere heutigen Kulturpflanzen sind genetisch verarmt", sagt Jörg Kudla vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Universität Münster.

Während man aus einer genetisch verarmten Kulturpflanze keine Wildpflanze mehr machen kann, funktioniert das andersherum mit CRISPR/Cas sehr schnell, wie Kudla an einer Wildtomate zeigte: Mithilfe von CRISPR schalteten die Forscher sechs Gene der Tomatenart Solanum pimpinellifolium aus. Diese produziert nur erbsengroße Früchte, die aber sehr aromatisch sind und einen hohen Lycopingehalt aufweisen, ein Antioxidans.

"Unsere Zuchttomate hatte kirschgroße, wohlschmeckende Früchte und einen erheblich höheren Lycopingehalt als die Wildtomate", sagt Kudla, "Mit CRISPR können wir einen Domestikationsprozess noch einmal ganz neu starten und die wertvollen Eigenschaften der Wildpflanzen bewahren."

Die Gen-Schere CRISPR/Cas könnte dafür eingesetzt werden, die Vorteile von Wildpflanzen in die Zucht von Kulturpflanzen aufzunehmen.
Foto: imago / Andreas Vitting

Trockenresistenz

Ist CRISPR also ein Alleskönner in Sachen Pflanzenzucht? Jein. Komplexe Eigenschaften wie Salz- oder Trockenresistenz ließen sich auch mit CRISPR nicht ohne weiteres in Nutzpflanzen zaubern.

"Die Hürden in der Erzeugung einer erhöhten Trockenresistenz etwa liegen darin, dass meist nicht nur ein Gen beteiligt ist, sondern mehrere. Schaltet man ein solches Gen aus oder an, dann sind aufwendige Versuche nötig, um die veränderten Eigenschaften der Pflanze hinterher zu prüfen. Dabei zeigt sich dann leider manchmal, dass die Resistenz mit Nachteilen in anderen Bereichen einhergeht", erklärt Hartung.

Die klassische Gentechnik, bei der Genetiker artfremde Gene mit vorteilhaften Eigenschaften in das Erbgut einer Pflanze einführen – allerdings ungezielt – scheiterte an solchen komplexen Merkmalen. CRISPR könnte indirekt zum Ziel führen und helfen, die Grundlagen komplex regulierter Eigenschaften zu verstehen. Ineffizient ist momentan auch das Einführen von größeren DNA-Veränderungen mit CRISPR.

Dabei muss man wissen, dass CRISPR vor allem eines kann: DNA an einer vorgegebenen Stelle schneiden. Die Reparatur wird der zelleigenen Maschinerie überlassen. Doch gerade in Pflanzen funktioniert der Reparaturprozess, der zum Einfügen größerer DNA-Abschnitte benötigt wird, nicht zuverlässig.

Entstehung und Endprodukt

So verwundert es nicht, dass sich 92 Prozent der Studien, die Hartung und seine Kollegen auswerteten, auf Punktmutationen und kleinere Insertionen von wenigen Basen konzentrierten.

Neben den technischen Schwierigkeiten könnten dahinter auch wirtschaftliche Gründe stecken: In einigen Ländern wie den USA, Kanada, Brasilien, Australien, Argentinien, Japan und Israel gelten CRISPR-Pflanzen, deren Erbgut nur minimal durch Punktmutationen verändert wurde und die also keine fremde Erbinformation in sich tragen, nicht als gentechnisch verändert.

Sie fallen daher nicht unter das Gentechnikgesetz und sind konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgesetzt. Dadurch entfallen die sehr hohe Kosten verursachenden Sicherheitsprüfungen für transgene Pflanzen mit fremder Erbinformation.

Diese Länder bewerten die Risiken des Endprodukts. In Europa steht hingegen das Verfahren, also der Entstehungsprozess einer Pflanze im Vordergrund (siehe Wissen). Genforscher wie Kudla kritisieren die europäische Rechtsauffassung: "Die Rechtsprechung ist realitätsfremd und basiert auf dem wissenschaftlichen Stand der 1990er-Jahre." Europa müsse ebenfalls die Bewertung des Produkts in den Vordergrund stellen, "wie es in der Medizin in Europa üblich ist".

Bizarre Situation

Tatsächlich habe das EuGH-Urteil Europa in eine bizarre Situation gebracht, da das Recht nicht implementierbar ist, meint Kudla: "Wenn wir israelische Tomaten importieren, könnten es CRISPR-Tomaten sein. Der Import wäre zwar illegal, aber niemand kann die Illegalität beweisen", so der CRISPR-Forscher.

Schließlich würden sich CRISPR-Veränderungen am Ende nicht von Veränderungen durch natürliche Mutationen unterscheiden. "Wir nutzen Chemie und radioaktive Strahlen, um massenhaft Mutationen in Pflanzensamen auszulösen, ohne zu wissen, wie viele entstehen und wo. Solche Pflanzen gelten als sicher. Mit CRISPR rufen wir einzelne Punktmutationen an definierten Stellen hervor. Aber solche Pflanzen gelten als potenziell gefährlich. Es ist absurd", kritisiert Puchta.

In China, wo die meisten CRISPR-Versuche stattfinden, wurde bis dato noch keine Regulierung verabschiedet. "Man kann nur spekulieren, warum das so ist. Wahrscheinlich wurden die großen Potenziale erkannt, und diese sollten nicht wie in der EU durch zu hohen Regulierungsaufwand verhindert werden", so Hartung.

Den größten Vorteil von CRISPR sehen viele in einer Demokratisierung der Pflanzenzucht: "Wer eine klassische transgene Pflanze züchten will, muss mit enormen Kosten rechnen. Das können sich nur Agrarkonzerne leisten", sagt Kudla, "Mit CRISPR könnte eine größere Vielfalt entwickelt werden. Die Technik setzt schöpferisches Potenzial frei." (Juliette Irmer, 22.2.2020)