Wenig Bewegung, viel Fleisch: Knebl und Pires Mata engagieren für Performances Bodybuilder.

Foto: Julia Fuchs

Krater sind etwas Verbindendes. Meteoriteneinschläge erinnern an den Zusammenhang zwischen Erde und Kosmos, und über Vulkankrater zeigt unser Planet, wie heiß er innerlich ist. Das Wort selbst verlinkt die Gegenwart mit der Vergangenheit: Krater ist die altgriechische Bezeichnung für ein Keramikgefäß, aus dem die seinerzeitigen Erfinder des europäischen Theaters ihren Wein schöpften.

Aktuell verbindet der oft mit mythologischen Figuren bemalte Keramikkrater zwei ganz unterschiedliche Performances in Wien: Nikolaus Adlers Tanzstück Sing no more this bitter tale, zu sehen noch bis Samstag im Wuk, und Wir sind Henkel von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata, vergangenen Samstag präsentiert vom Tanzquartier.

An Adlers Arbeit erinnert unter anderem ein im Louvre aufbewahrtes Kratergefäß mit der Darstellung der Skylla, eines Ungeheuers in Homers Odyssee. Der Titel Sing no more this bitter tale ist ein Homer-Zitat: Odysseus’ Ehefrau Penelope sagt, während sie auf den Mann ihres Lebens wartet, zu dem Sänger Phemios: "Mit jenem Gesang / Quäle mich nicht". Adler lässt Odysseus als "ersten selbstbestimmten Menschen der Weltliteratur" tanzen.

Knebl und Pires Mata finden über Keramiken aus den 1970ern zur Selbstbestimmtheit – durch die Brille des deutschen Philosophen Georg Simmel, der die Henkel an Keramiken als Symbole für die "Vielheit des Lebens und Mitlebens" beschrieben hat. Die Performance-Installation Wir sind Henkel reichert diesen intellektuellen Reiz mit Sinnlichkeit an.

Muskeln und Vasen

Vasen, Krüge, Lampen werden von weiblichen und männlichen Bodybuildern in intensivem Licht und mit Pires Matas Musik präsentiert. So demonstrieren sich die Muskelwunder selbst als Produkte harter Arbeit an den Formen ihrer Körper. Deren Wesen ist ausschließlich performativ: Sie leben auf, wenn sie sich zeigen, und bilden so eine Allegorie des Willens, selbstbestimmt und besonders zu werden.

Ähnlich wie Nikolaus Adlers vier Tänzer. Deren Irrfahrt beginnt bereits bei der Kastration des Himmels, des Uranos, im Auftrag von Gäa, der Erde, die so zur selbstbestimmten Macht wird. Adler findet passende Bilder, die von den je zwei Tänzerinnen und Tänzern autark umgesetzt werden: Sie agieren zugleich als Darsteller, Musiker und Bühnentechniker.

Im Gegensatz zu dem komplexen choreografischen Duktus des Tanzstücks ist das Bewegungsrepertoire der Bodybuilder bei Wir sind Henkel sehr schlicht. Dafür demonstrieren die fünf Performer mit Knebl’schem Witz im angeblichen Anspruch auf Vielfalt einen Trend zur Homogenität: Ihren Tanz der Steroide choreografiert eine ausufernde Maskulinität mit. Hier zwängt sich das Spiel der Geschlechter gerade zwischen Skylla und Charybdis durch. (Helmut Ploebst, 19.2.2020)