Die Stadt als autofreie Vision. Ein Grazer Kultur- und Verkehrsprojekt verschreckt die Rathauspolitik.

Collage: Coline Robin

Was wird sein, wenn es plötzlich still ist in der Stadt? Wenn kein Auto, nur Radfahrer und Fußgänger auf den Straßen zu sehen und zu hören sind?

"Als die Autos die Stadt verließen. 168h Graz wie es sein könnte" nennt die Künstlerplattform des Forums Stadtpark ihren aufsehenerregenden Projektbeitrag zum Grazer Kulturjahr 2020. Die Grundidee: Teile der steirischen Landeshauptstadt sollen eine Woche lang von Autos freigehalten werden. Graz war knapp dran, diese Vision einer zumindest temporär autofreien Stadt in einem großen Feldversuch auszuprobieren. Bürgermeister Siegfried Nagl zog aber die Notbremse. Er befürchte, lässt er ausrichten, "Umsatzeinbußen der Innenstadtkaufleute". Kulturstadtrat Günter Riegler (beide ÖVP) hofft aber im STANDARD-Gespräch noch auf einen neuen Anlauf.

Straße wird zum Park

Der Grazer Stadtraum soll – nach den Plänen der Verkehrsexperten und Kunstschaffenden – in sechs innerstädtischen Bezirken für 168 Stunden, also genau eine Woche, von den Autos befreit und in eine Parklandschaft umgewandelt werden. Die Autos sollen auf Privatgrundstücken, in Tiefgaragen, in den Innenhöfen, den Garagen in den Wohnblöcken oder am Stadtrand abgestellt werden. Widerstand ist vorprogrammiert, deshalb soll auch eine monatelange Vorbereitungszeit vorgeschaltet werden. Im Kulturjahr-2020-Beirat, der die Projekte auswählte, stieß "#168 h Graz wie es sein könnte" auf ungeteilte Zustimmung. Auch Riegler war angetan: "Mir hat die Idee gefallen."

"Wann, wenn nicht im Lichte der CO2-Problematik, des Kimawandels, könnte Graz jetzt ein immens starkes internationales Zeichen setzen? Selbst die touristische Dimension wäre enorm", sagt Forum-Stadtpark-Chefin Heidrun Primas zum STANDARD. Es gehe um eine radikale Umkehr im Denken. Und darum, eine Möglichkeit zu schaffen zu erleben, "wie es anders sein könnte".

"Es ist machbar"

"Das Wichtigste für uns ist: Wir wollen die Menschen gewinnen, ihnen nichts wegnehmen, sondern sie von einem Mehrwert der Lebensqualität überzeugen", argumentiert die Forum-Leiterin. Technisch, organisatorisch und logistisch sei es machbar, sagt der Verkehrsexperte Kurt Fallast von der Technischen Universität Graz. Das Projekt sei bereits in Simulationen durchgerechnet und mit Verkehrsverantwortlichen der Stadt besprochen worden.

Es sei "mit relativ geringem Aufwand" umzusetzen. "Wir wollen ja kein anarchistisches Projekt. Der öffentliche Verkehr, die Einsatzfahrzeuge, Rettung, Feuerwehr Polizei und die Versorger fahren natürlich weiter. Ich war ja am Anfang auch skeptisch, aber je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr hat mich dieses Projekt begeistert", sagt Fallast. Während des einwöchigen Projektzeitraums wird sich das Forum Stadtpark mit einem Team aus Künstlerinnen, Künstlern und Wissenschaftern auf die Beobachtung und Dokumentation der autofreien Woche konzentrieren.

Diese Woche werde "sicher hochspannende Erkenntnisse" bringen, sagt Fallast. "Ich denke, das Projekt wird hunderte Themen für Diplomarbeiten hergeben – von Feinstaubmessungen über Gesundheitsuntersuchungen bis zu Fragen der Sozialpsychologie oder Kommunikationswissenschaften", sagt Fallast. "Wir wollen diese eine Woche aber nicht mit Events vollpacken, es soll vielmehr die Stille erlebt werden, aus der sich etwas entwickeln kann", ergänzt Primas.

Das jetzige Nein der Stadtspitze sei ein Ansporn, die Idee weiter zu verfeinern, sagen Primas und Fallast. "Sollte Graz endgültig absagen, werden wir eben das Projekt international ausschreiben und es an eine andere Stadt vergeben, die die Vision umsetzt." (Walter Müller, 19.2.2020)