Noch heute existiert das Neurologische Zentrum Rosenhügel als Teil des Krankenhauses Hietzing. Es wurde dank Rothschild-Stiftung gebaut und betrieben.

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Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild (1836–1905) war ebenso wohlhabend wie großzügig. 20 Millionen Kronen vermachte er der Rothschild-Stiftung zum Bau und Betrieb von Anstalten für Nervenkranke. Für das Geld interessierten sich auch die Nazis, die die Stiftung arisierten.

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Rothschild-Nachfahre Geoffrey R. Hoguet will jetzt die Stadt Wien klagen und Einfluss auf die Stiftung erreichen.

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Wien – Es sind heftige Geschütze, die ein Nachfahre der legendären Bankiersfamilie Rothschild gegen die Stadt Wien auffährt. Kernpunkt: Die Stadt habe sich das Vermögen der 1939 einst von den Nazis arisierten und aufgelösten und 1956 durch Wien wiederhergestellten Rothschild-Stiftung "treuwidrig zugeeignet". Die Stadt habe zudem den Stiftungszweck Rothschilds "gröblich missachtet". So steht es in der Antragsschrift des 69-jährigen Rothschild-Nachfahren Geoffrey R. Hoguet, die dem STANDARD vorliegt. Am Donnerstag ist der erste Termin im Gerichtsverfahren vor dem Bezirksgericht Hietzing anberaumt.

Hintergrund ist, dass Hoguets Urgroßvater Albert Freiherr von Rothschild 1907 in Erfüllung eines Testamentsnachtrags die Nathaniel Freiherr von Rothschild’sche Stiftung für Nervenkranke errichtet hat. In die Stiftung eingebracht wurden 20 Millionen Kronen – eine auch für damalige Verhältnisse riesige Summe. Hoguets Anwalt Wulf Gordian Hauser geht davon aus, dass es sich hier "umgerechnet um 250 bis 408 Millionen Euro handelt".

Zwei Einrichtungen errichtet

Die Summe wurde für die Errichtung von zwei Anstalten für Nervenkranke verwendet. Das Neurologische Zentrum am Wiener Rosenhügel existiert noch heute. Das Neurologische Krankenhaus Maria-Theresien-Schlössel wurde aufgelöst, der Spitalsbetrieb wurde 2002 auf die Baumgartner Höhe verlegt. Verwaltet wurde die Stiftung ab 1907 von einem zwölfköpfigen Gremium: Neun Mitglieder wurden von den Rothschilds bestellt, "sowie je einer durch den Statthalter für Niederösterreich, den Landmarschall für Niederösterreich und den Bürgermeister der Stadt Wien". Wien war damals noch ein Teil Niederösterreichs.

Nach der Arisierung und Auflösung durch die Nazis wurde das Vermögen der Rothschild-Stiftung 1939 der Stadt Wien übertragen. Erst im Jahr 1956 wurde die Stiftung wiederhergestellt. Als Verwaltungsorgan wurde aber nicht mehr das zwölfköpfige Kuratorium eingesetzt, sondern der Magistrat der Stadt Wien.

Das ist laut Hoguet aber nicht im Einvernehmen mit den Nachfahren der jüdischen Stifterfamilie passiert. Die "Erben des Stifters wären auszuforschen gewesen", heißt es im Antrag. Finanzinvestor Hoguet – der in New York lebt, aber bis 1997 auch im Vorstand der Creditanstalt Investmentbank tätig war – will erst kürzlich "durch einen Hinweis von Bekannten aus Österreich" von der Existenz der Stiftung erfahren haben. Er fordert die Wiedereinsetzung des unabhängigen Kuratoriums.

Streit zwischen ÖVP und SPÖ

Spannend ist, dass Hoguet im Antrag explizit auf das Nominierungsrecht seitens des Landes Niederösterreich verweist, das vor der Arisierung zwei Mitglieder entsenden konnte. Das könnte auch die massive Unterstützung der ÖVP in der Rothschild-Causa erklären. Was folgte, war ein heftiges parteipolitisches Geplänkel zwischen Türkis und Rot.

So forderte zunächst Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), die Stiftung wieder in ihrem ursprünglichen Sinn zu errichten. Das gebiete "der Respekt vor den Vertriebenen und Opfern des Nationalsozialismus". Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) reagierte und bezeichnete Sobotkas Wortmeldung als "ungeheuerlich. Wir brauchen keine Nachhilfe in Geschichte. Die Stadt Wien hat immer gezeigt, wie verantwortungsvoll sie mit der NS-Geschichte umgeht." Der ÖVP unterstellte er eigene Interessen: "Da schaut die Gier aus den Augen raus", sagte Hacker in einer umstrittenen Stellungnahme.

Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Martin Engelberg attackierte daraufhin Hacker und warf ihm vor, antisemitische Codes zu bedienen. Hier würden "in Wahrheit Assoziationen mit dem Namen der Familie Rothschild geweckt".

"Juristische Hülle"

Hoguet kritisiert jedenfalls, dass die Stiftung unter Verwaltung des Magistrats der Stadt Wien "nur noch eine juristische Hülle ist". Wien habe sich das Stiftungsvermögen treuwidrig zugeeignet. Auch der Verkauf des Maria-Theresien-Schlössels nach Abzug des Spitalsbetriebs an die Stadt sei ein "treu- und sittenwidriges Insichgeschäft" gewesen. Zudem sei der Verkauf 2001 weit unter Wert erfolgt. Hoguet fordert, den Verkauf für nichtig zu erklären. Er wird in der Kommunikation rund um das Gerichtsverfahren übrigens vom ÖVP-nahen PR-Experten Daniel Kapp unterstützt.

Stadt weist Vorwürfe zurück

Der Anwalt Hannes Jarolim, der die Stadt Wien im Verfahren vertritt, verweist darauf, dass es für den Verkauf des Maria-Theresien-Schlössels um knapp 6,7 Millionen Euro ein unabhängiges externes Gutachten gegeben hat. Den Vorwurf, dass die Stadt Vermögenswerte unterpreisig an sich selbst verkauft hat, weist Jarolim, ehemaliger SPÖ-Nationalratsabgeordneter, zurück.

Dass 1956 der Magistrat als Verwaltungsorgan eingesetzt wurde, sei darauf zurückzuführen, dass die Stiftung nicht mehr überlebensfähig gewesen wäre. Diese habe "nicht einmal annähernd über das erforderliche Kapital verfügt, um die Nervenheilanstalten Rosenhügel und Maria-Theresen-Schlössel gemeinnützig zu betreiben", heißt es in der Gegenäußerung der Stadt Wien im Verfahren. "Die Anstalten hätten zusperren müssen", sagt Jarolim.

Wien verweist auf Steuergeld

Selbst wenn die Stiftung Grundstücke veräußert hätte, sei der Betrieb mittel- und langfristig nicht aufrechtzuerhalten gewesen. Daraufhin habe die Stadt massiv Geldmittel zugeschossen und die Spitäler in die städtische Krankenhausorganisation eingegliedert. "Die Verwaltung der Steuergelder dann Privatpersonen zu überlassen war nicht möglich", sagt Jarolim. Auch zuletzt habe der Betrieb der Anstalten viel gekostet: Laut dem Anwalt der Stadt betrug die Abgangsdeckung allein im Zeitraum zwischen 1991 und 2005 119 Millionen Euro.

Vorwürfe, Wien habe sich Rothschild-Vermögen unrechtmäßig einverleibt, hat es bereits gegeben. Der mittlerweile verstorbene Anwalt und ÖVP-Spitzenpolitiker Michael Graff hatte diese ab 1981 erhoben. Laut Jarolim hat Graff, der zum Kurator der Stiftung bestellt wurde, in dieser Funktion 2002 auch dem Verkauf des Maria-Theresien-Schlössels zugestimmt. Das Vorgehen Hoguets könne er nicht verstehen. "Hoguet wird für eine primitive politische Aktion missbraucht." (David Krutzler, 19.2.2020)