Es hätte alles anders kommen können. Mehrmals. Aber so ist das im Sport eben. Vor allem im Fußball. Hätte Alexander Schur am 25. Mai 2003 in der 93. Minute den Kopfball zum 6:3 gegen Reutlingen nicht reingemacht, wäre Eintracht Frankfurt nicht aufgestiegen. Das Torverhältnis rettete die Eintracht, Jürgen Klopps Mainz musste zweitklassig bleiben. Oder hätte Schiedsrichter Alfons Berg in der 76. Minute am 16. Mai 1992 das Foul an Ralf Weber im Rostocker Strafraum geahndet, wäre die Eintracht wohl erstmals seit 1959 wieder deutscher Meister geworden. Oder wäre 2002 der Protest von Unterhaching bei der Liga gegen den Lizenzerhalt der Frankfurter durchgegangen, wäre die Eintracht drittklassig gewesen. Einen Spielplan gab es schon.

Die Frankfurter Fans sind einiges gewöhnt, die "launische Diva" Eintracht können sie sich aber nicht abgewöhnen.
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Eintracht Frankfurt erzählt Geschichten, ohne dabei groß Geschichte zu schreiben. Einmal Meister 1959, bis 1996 nicht abgestiegen, klingt schön, aber auch ein bisschen fad. Man gehörte zu den Konstanten des deutschen Fußballs: "Die Eintracht zählte gemeinsam mit Kaiserslautern, Köln und dem HSV lange zu den Dinos der Bundesliga", sagt Ulrich Matheja. Der Autor hat mit der "Eintracht-Chronik" einen Wälzer zum Verein aus Hessen verfasst. Just mit dem Abstieg kamen die Legenden. Und die Zuschauerbindung. "Wir haben damals um die Meisterschaft gespielt, da war die Hütte gegen die Bayern, Gladbach und den HSV voll, sonst kamen 10.000 Leute. Und in der zweiten Liga haben die da plötzlich 25.000 bei jedem Heimspiel", hat Vereinslegende Jürgen Grabowski einmal zu Matheja gesagt.

Die Eintracht etablierte sich als Fahrstuhlteam und verwurzelte sich gleichzeitig immer mehr in ihrem Anhang. 1997 gründete sich mit den Ultras Frankfurt eine der bedeutendsten Fangruppierungen Deutschlands. Aktuell hat die Eintracht im Schnitt 50.736 Zuschauer bei den Heimspielen in der Commerzbank-Arena. Im Sommer 2020 soll das Stadion ausgebaut werden.

Ulrich Matheja ist Chronist der Legenden um die Eintracht.
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Frankfurt also. Die fünftgrößte Stadt Deutschlands ist vieles, aber nicht fad. Vom ehemaligen Problemviertel Gallus hinter dem Bahnhof über das Bahnhofsviertel, das beschauliche Sachsenhausen, die Innenstadt mit den Finanzwolkenkratzern, die touristische Altstadt bis zu Plattenbauten in den Außenbezirken ist Frankfurt mehr Großstadt als größere Städte. Es ist ein Taumeln zwischen Verkehrsknotenpunkt, Finanzzentrum, Subkultur, Hochkultur, Drogenkultur, Migrationskultur und Deutschland. Frankfurt bündelt Vorurteile und ist in seinem gesellschaftlich diversen Charme eine kleine Breitseite auf die Bürgerlichkeit.

Als in den 1980er- und 1990er-Jahren eine Heroinepidemie in Frankfurt wütete, reagierte die Stadt ungewöhnlich: Statt mit mehr Repression versuchte man des Problems anders Herr zu werden. 1992 eröffnete das "Eastside", Deutschlands erster Drogenkonsumraum, wo Süchtige unter sicheren Bedingungen konsumieren konnten. Der "Frankfurter Weg" sorgte schnell für deutlich weniger Drogentote, wurde aber immer wieder kritisiert. Frankfurt ist anders.

Martin Hinteregger schlich nach dem verlorenen Europa-League-Halbfinale gegen Chelsea vom Platz.
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Auch die Eintracht ist anders. Es scheint wie das Amen im Gebet, dass Konstanz nicht die Stärke der Hessen ist. Matheja sagt: "Gegen starke Gegner spielt die Eintracht traditionell gut, um dann eine Woche später beim Tabellenletzten zu verlieren." Die "launische Diva" wird ihrem Spitznamen nur zu gern gerecht. In dieser Saison schoss man am elften Spieltag die Bayern mit 5:1 aus dem Stadion, um das darauffolgende Match in Freiburg 0:1 zu verlieren. Man kann neue Spieler nach Frankfurt holen, aber Frankfurt nicht aus den Spielern. Dabei hatten die Hessen immer schon ein Händchen für besondere Kicker, Ausnahmetalente, schwierige Charaktere. Andreas Möller, Jay-Jay Okocha, Jürgen Grabowski, Alfred Pfaff, Jan Age Fjörtoft und kürzlich Kevin-Prince Boateng. Matheja: "Als Boateng zur Eintracht kam, waren viele skeptisch. Und dann spielt der die Saison seines Lebens und holt den Pokal." Auch ein Österreicher spielte eine bedeutende Rolle: Der Steirer Willi Huberts absolvierte in den Sechzigern 227 Spiele für die Eintracht, er war der erste österreichische Legionär in der neugegründeten deutschen Bundesliga.

Eine Nacht in London

Seit 2018 trainiert der Vorarlberger Adi Hütter die Eintracht. Die Fußstapfen waren groß. Unter Coach Niko Kovac holten die "Schlappekicker" (in den 1920ern war ein jüdischer Hausschuhfabrikant Hauptsponsor) erstmals seit 30 Jahren den Pokal nach Hessen. Kovac wechselte daraufhin zu Bayern, Hütter, ein unbeschriebenes Blatt, trat auf den Plan. Und startete miserabel.

Die Eintracht verlor das Supercupfinale gegen die Bayern, schied in der ersten Runde des Pokals aus, auch in der Liga lief es nicht rund. Aber das Team fing sich und zog ins Halbfinale der Europa League ein, wo man bei Chelsea in London im Elferschießen scheiterte. Österreichs Teamverteidiger Martin Hinteregger vergab den entscheidenden Versuch und musste von den Fans getröstet werden. Lange nach dem Spiel wurden 4.000 Frankfurt-Fans nicht müde, ihre Mannschaft im sonst leeren Stadion zu feiern. Frankfurt ist anders. (Andreas Hagenauer aus Frankfurt, 19.2.2020)