Im Gastkommentar zeigt der Politikwissenschafter Reinhard Steurer, warum ein Preis für CO2 eine unverzichtbare Maßnahme im Kampf gegen die Klimakrise ist.

Ab 2022 soll laut Koalitionspakt ein Preis für CO2 eingeführt werden. Warum erst so spät, fragen die einen. Völlig unnötig, sagen die anderen. Unbeliebt ist die Maßnahme allemal, denn wer zahlt schon gerne mehr für Sprit, Heizöl oder Gas. Umso wichtiger ist es zu verstehen, warum sich die meisten Experten – und neuerdings auch die Koalitionspartner – darin einig sind, dass wirksamer Klimaschutz ohne einen sozial ausgewogenen CO2-Preis nicht möglich ist.

Mehr zahlen für Benzin – eine unbeliebte Maßnahme.
Foto: APA / Hans Punz

Ein CO2-Preis ist eine sehr "voraussetzungsvolle Maßnahme". Um sie gut zu finden, muss man unter anderem folgende Punkte als zutreffend akzeptieren:

  • Die Klimakrise ist ein sehr ernsthaftes, vom Menschen verursachtes Problem.
  • Einige Jahre lang können wir noch verhindern, dass aus der Klimakrise eine sich selbst verstärkende Klimakatastrophe wird.
  • Das würde allerdings umgehend drastische Emissionsminderungen erfordern, diese sehen wir derzeit aber weder weltweit noch in Europa.
  • Die sich weiter verschärfende Klimakrise zu lösen erfordert vor allem eine wirksame Klimapolitik, denn individuell ist das nicht möglich.
  • Europa sollte mit einer ambitionierten Klimapolitik eine Vorreiterrolle einnehmen, auch wenn andere Staaten zu wenig tun.
  • Eine Klimapolitik, die Emissionen deutlich senkt, ist auch in kleinen Ländern wie Österreich notwendig, besonders wenn Europa Vorreiter sein soll.
  • Wirksame Klimapolitik besteht aus einem Bündel an Maßnahmen, das ohne Verbote und einen CO2-Preis nicht auskommt.

Naturwissenschaftliche Fakten

Stolpersteine gibt es auf dem Weg zum letzten Punkt auf dieser Liste viele. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ein CO2-Preis umstritten ist. Doch was sind diese Punkte? Fakten oder Meinungen? Schauen wir uns jeden einzelnen näher an. Die ersten drei Punkte sind Fakten, die unter Wissenschaftern unbestritten sind. Darüber mag da und dort hitzig diskutiert werden, dahinter sind allerdings nicht berechtigte Zweifel, sondern vielmehr interessenbasierte oder psychologische Abwehrmechanismen zu suchen. Skeptiker der Klimakrise stoßen sich weniger am Problem an sich, sondern an den dafür nötigen Lösungen. Wer an Fakten interessiert ist, sollte sich durch diese Diskussionen nicht mehr irritieren lassen.

In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist längst außer Zweifel gestellt, dass es sich bei der Klimakrise um ein Gemeingutproblem handelt, das nur politisch gelöst werden kann. Die weltweite Vorreiterrolle Europas ist mit Ankündigung des Green European Deal mittlerweile ebenfalls ein empirisches Faktum, und das ist gut so. Warum? Würde die EU nicht vorangehen, wer sonst? Weiterhin auf Länder wie die USA oder China zu warten würde schon in den nächsten zehn Jahren die Weichen in Richtung Klimakatastrophe stellen. In dem Fall wären die jüngsten Buschbrände in Australien nur ein erster Vorgeschmack darauf, was uns weltweit bevorstehen würde, auch in Österreich, sogar in den größten Regenwäldern der Welt.

Früher oder später würden wir diese Weichenstellung zutiefst bedauern, die weitere Erhitzung des Erdklimas wäre dann aufgrund von Verstärkungsmechanismen, zum Beispiel Waldbränden, die Unmengen an CO2 freisetzen, jedoch längst unumkehrbar und unkontrollierbar. Wer das als "alarmistisch" abtut, sollte bei der nächsten schweren Erkrankung auch ärztliche Diagnosen ignorieren. Im Fall der EU-Vorreiterrolle (die auch CO2-Zölle auf Importe erfordert) kann zwar niemand die Lösung des Problems versprechen. Immerhin besteht die begründete Hoffnung, dass klimafreundlichen Technologien so weltweit zum Durchbruch verholfen wird. Die EU-Vorreiterrolle ist zwar kein idealer Lösungsansatz, einen besseren haben wir derzeit aber nicht, und die Zeit läuft uns davon.

Verbote und CO2-Preis

Die EU kann diese Vorreiterrolle nur wahrnehmen, wenn alle, auch die 17 kleinen Mitgliedsstaaten, ihre Emissionen drastisch reduzieren. So gut wie alle Experten und die Koalitionsparteien sind sich darin einig, dass es dafür auch Verbote, etwa von Ölheizungen, und einen sozial ausgewogenen Preis für CO2 braucht. Erst wenn klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen wie E-Autos und Bahnreisen billiger sind als deren klimaschädliche Konkurrenz, wird Klimaschutz zum Selbstläufer. Erst dann werden Emissionen so rasch sinken, dass eine Klimakatastrophe noch verhindert werden kann. Weil sich Wähler und Politiker lange davor gedrückt haben, entscheidet sich das in den nächsten Jahren.

Obwohl wir die Klimakrise nicht durch individuelle Konsumänderungen lösen können, spielt jeder Einzelne eine wichtige Rolle dabei, politische Lösungen wie einen Preis für CO2 möglich zu machen. Wer diese unbequeme "Therapieempfehlung" als unnötig oder unwirksam ablehnt, der sollte beim nächsten Arztbesuch nicht nur die Diagnose ignorieren, sondern auch gleich die Behandlung verweigern. Wenn wir im reichen Europa einen lenkungswirksamen Preis für CO2 als unzumutbar ablehnen, werden uns die Folgen der Klimakrise in nicht allzu ferner Zukunft ein Vielfaches kosten, auch in Österreich. (Reinhard Steurer, 20.2.2020)