Nach der Erstaufnahme stellt sich die Frage, wo Flüchtlinge bleiben.

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Wenige politische Themen sorgen in Österreich laufend für so emotionale Debatten wie die Frage, was Flüchtlinge anzieht und was sie abschreckt. Experten sprechen von Pull- oder Push-Faktoren. Zu Letzteren zählen all jene Gründe, die Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen, wie Kriege oder staatliche Verfolgung.

Zu den Pull-Faktoren gehört alles, was Menschen dazu antreibt, in einem bestimmten Land um Asyl anzusuchen und einen großen Bogen um andere Staaten zu machen. Wo ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert ist, kommen Asylwerber eher hin. Das ist durch Studien belegt. Ebenso, dass strenge Grenzkontrollen abschreckend wirken.

Was bewirken Sozialleistungen?

Aktuell tobt eine Debatte unter Wissenschaftern darüber, welche Wirkung Sozialsysteme haben. Strömen also mehr Menschen in ein Land, weil dort die sozialen Zuwendungen höher sind? In den meisten Forschungsarbeiten wird das verneint. Im vergangenen Jahr kamen aber drei Ökonomen der Princeton University anhand einer Untersuchung in Dänemark zu dem Ergebnis, dass höhere Leistungen sehr wohl dafür sorgen, dass mehr Flüchtlinge in ein Land kommen.

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Jugendliche Flüchtlinge in Traiskirchen.
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Zwei österreichische Ökonomen leisten einen interessanten neuen Beitrag zu dieser Debatte. Fanny Dellinger von der Universität Innsbruck und der Wifo-Migrationsexperte Peter Huber haben sich angesehen, welche Rolle Sozialleistungen bei der Auswahl des Wohnortes, die Geflüchtete treffen, in Österreich spielen. Die beiden haben Daten über rund 21.200 Menschen ausgewertet, die zwischen 2010 und 2018 nach Österreich gekommen sind und bleiben durften, entweder als anerkannte Flüchtlinge oder als subsidiär Schutzberechtigte.

Ein natürliches Experiment

Die Forschungsfrage lautete, ob höhere Sozialhilfe die Wohnortentscheidung im Inland beeinflusst – konkret, ob Flüchtlinge eher nach Wien gehen. Um diese Frage zu beantworten, bietet Österreich ein perfektes Umfeld. Asylwerber werden nach ihrer Ankunft im Land relativ gleichmäßig auf alle Bundesländer aufgeteilt. Wird ihnen Asyl zuerkannt, können sie ihren Wohnort frei wählen. Im Regelfall müssen die Menschen nach Zuerkennung ihres Schutzstatus die Asylheime innerhalb von vier Monaten verlassen. Als natürliches Experiment diente den Forschern die Kürzung der Mindestsicherung in Niederösterreich, die 2017 in Kraft getreten ist: Die Sozialhilfe wurde dort von 837 Euro für Flüchtlinge auf 522 Euro gekürzt.

Dellinger und Huber zeigen, dass daraufhin um fast ein Fünftel mehr Flüchtlinge nach Wien umgezogen sind, wo sie die Mindestsicherung in voller Höhe beziehen können, als davor. Insgesamt sind im Jahr 2017 von 100 Flüchtlingen in Niederösterreich 42 innerhalb der ersten Monate nach Asylzuerkennung in die Bundeshauptstadt übersiedelt.

Unterschied bei Grundsicherung

Als zweiter Beleg für die Auswirkungen der Sozialleistungen auf die Wohnortwahl dient ein Vergleich zwischen Flüchtlingsgruppen. In mehreren Bundesländern, darunter Oberösterreich und Niederösterreich, bekommen subsidiär Schutzberechtigte keine Mindestsicherung, sondern nur eine deutlich niedrigere Grundsicherung. In anderen Bundesländern, darunter Wien, gibt es dagegen die volle Sozialhilfe. Die Folge: Unter den subsidiär Schutzberechtigten zieht es etwas mehr als zehn Prozent zusätzlich in die Hauptstadt.

Flüchtlinge kommen wenige, kontrolliert wird aber weiter.
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Diese alles spricht also für die Sogwirkung durch höhere Sozialtransfers im Inland, wobei nur das Verhalten von Menschen untersucht wurde, die soeben Asyl bekommen haben, also bald umziehen mussten.

Rolle der Integrationsangebote

Das Thema ist aktuell von Bedeutung: Die Mindestsicherung oder Sozialhilfe ist auch heute von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt, wobei Wien mit höheren Beihilfen für Kinder und der günstigeren Regelung für subsidiär Schutzberechtigte tendenziell etwas mehr zahlt als manch andere Länder. Wer also geringere Leistungen vergibt, kann Asylberechtigte nach Wien drängen.

Dabei spielen nicht nur Sozialleistungen eine Rolle. Bekannt ist, dass es viele Flüchtlinge nach Wien zieht, weil sie dort eine größere Community aus dem eigenen Land vorfinden.

Tirol und Vorarlberg integrieren

Die erwähnte Studie, eigentlich ein Working Paper, weil es noch nicht ganz finalisiert ist, zeigt noch einen interessanten Aspekt auf. Aus zwei Bundesländern, Tirol und Vorarlberg, gehen generell kaum Flüchtlinge weg. Niederösterreich verlassen zum Beispiel fünfmal mehr Flüchtlinge nach Zuerkennung von Asyl als Tirol in Richtung Hauptstadt. Das dürfte laut den Studienautoren daran liegen, dass es für Asylberechtigte in den beiden westlichsten Bundesländern mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche gibt, also ein besseres Integrationsangebot. Die Interpretation der Studie würde dann lauten: Nur dort, wo es wenig Integrationsangebote gibt, ist die Sozialhilfe ein entscheidender Faktor bei der Wohnortwahl.

Dazu würden auch die Ergebnisse der Wifo-Studie aus dem Burgenland passen: Dort sind nach einer Kürzung der Mindestsicherung weniger Flüchtlinge nach Wien gegangen als davor. Diesen Effekt können Huber und Dellinger nicht erklären. Laut Dellinger deutet die anekdotische Evidenz auch hier darauf hin, dass parallel zur Kürzung der Mindestsicherung mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten wurde. (András Szigetvari, 20.2.2020)