Die Gerichtsakte Wiener Stadterweiterungsfonds wird höher sein als dieser Stapel – sechseinhalb Jahre wurde ermittelt.

Foto: Elmar Gubisch

Wien – Nun ist die Anklage in der politisch brisanten Causa Stadterweiterungsfonds rechtskräftig. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hat über Einsprüche der Beschuldigten entschieden und sie abgewiesen. Das hat DER STANDARD aus Juristenkreisen erfahren. Am Donnerstagvormittag bestätigte auch das OLG Wien die rechtswirksame Anklage.

Angeklagt sind der ÖVP-nahe Exchef des Fonds, der zum Innenministerium ressortierte und im März 2017 aufgelöst wurde, sowie drei Sektionschefs aus dem Innenministerium, von denen einer im Ruhestand ist. Sie gelten als ÖVP-nahe und bestens vernetzt.

Mit dieser politischen Implikation begründen Kritiker auch die beachtliche Dauer des am 3. Juni 2013 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens – genauer gesagt die lange Zeit, die der Akt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bei den Oberbehörden verbracht hat, also bei Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien und im Justizministerium. Von politisch bedingten Verzögerungen ist die Rede. Die Staatsanwaltschaft hat die Sache 25 Monate bis zum ersten Vorhabensbericht bearbeitet und dann – nach Erhalt der Weisung, die Beschuldigten noch einmal zu vernehmen – weitere 20 Monate, macht 45 Monate. Bei der Fachaufsicht der WKStA (Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium) lag der Akt in Summe rund 26,5 Monate.

Untreue und Amtsmissbrauch

Kurz die strafrechtlichen Vorwürfe, um die es nun geht: Fondschef und die Spitzenbeamten, die im Kuratorium saßen, sollen Spenden in der Höhe von rund einer Million Euro an ihnen Nahestehende verteilt haben – entgegen dem Fondszweck; einem Beamten wird Amtsmissbrauch vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Das ist der Rest, der vom ursprünglichen Vorhaben der WKStA übrig geblieben ist. Sie hat der OStA ihren ersten Vorhabensbericht im Juli 2015 vorgelegt. Anklagen wollte man den Exfondschef und die Spitzenbeamten wegen satzungswidriger Spenden in der Höhe von 3,2 Millionen Euro sowie einen Sektionschef wegen Amtsmissbrauchs. Er habe eine illegale Weisung an die Leiterin der Fondsaufsicht erteilt. Das Verfahren wegen Liegenschaftsverkäufen und jenes gegen vier andere Beamte wollte die WKStA einstellen.

Umstrittene Weisungen

Doch die Fachaufsicht sah die Dinge anders. Spenden von mehr als zwei Millionen Euro seien nicht illegal, zudem müssten die Beschuldigten eben erneut einvernommen werden, lautete die Weisung aus dem damals von Wolfgang Brandstetter (ÖVP) geführten Ministerium. Bis diese Entscheidung bei der WKStA eingelangt ist, waren freilich 22 Monate vergangen.

Denn die Causa hatte für viele Unstimmigkeiten gesorgt: Die zuständige Sachbearbeiterin bei der OStA wollte die geplante Anklage der WKStA genehmigen, die OStA nicht. Die in Justizkreisen kolportierte Darstellung, OStA-Leiterin Eva Marek sei gegen diese Genehmigung gewesen, weist Marek zurück. Sie habe den Akt nie in der Hand gehabt, eben um eine etwaige Befangenheit auszuschließen, lässt sie dem STANDARD ausrichten*.

Hintergrund: Marek, inzwischen Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs, gilt als ÖVP-nah; ihr Mann ist ein hoher Beamter im Innenministerium. Der Akt Stadterweiterungsfonds wanderte zum Ersten Oberstaatsanwalt, die Sachbearbeiterin quittierte wenig später ihren Job. Der Erste Oberstaatsanwalt wollte Anfang 2016 die Weisung erteilen, das Verfahren zur Gänze einzustellen – was allerdings das Ministerium nicht genehmigte. Man ging nicht davon aus, dass der Weisungsrat die Volleinstellung mitgetragen hätte.

Neuerliche Einvernahmen

In der Folge erteilte das Ministerium seinerseits die Weisung, die Beschuldigten nochmals einzuvernehmen, das segnete auch der Weisungsrat ab. Dass er die nochmalige Vernehmung intern als "politische Ehrenrunde" argumentiert habe, wie es heißt, wies Strafsektionschef Christian Pilnacek gegenüber dem STANDARD schon im Vorjahr zurück, die Beschuldigten hätten nur das ihnen zustehende Recht zur Stellungnahme bekommen. Wobei: Neue Vorwürfe waren ja nicht erhoben worden. Wie auch immer, die Beschuldigten wurden Ende 2017 erneut einvernommen – was weitere Ermittlungen nach sich zog.

Am 15. Jänner 2019 legte die WKStA dann ihren neuen Vorhabensbericht (samt den bereits 2015 geplanten Einstellungen) vor, das alles ging dann durch. Mitte 2019 wurde die Anklage genehmigt, jetzt ist sie also rechtskräftig. Mehr als sechseinhalb Jahre nach Ermittlungsbeginn.

Disziplinarkommission am Zug

Ob die beiden Sektionschefs nun suspendiert werden? Darüber entscheidet gemäß Beamtendienstrecht die Disziplinarkommission. Die ist, wie der Sprecher des Innenministeriums festhält, weisungsfrei und "hat alleine über die weitere Vorgangsweise zu entscheiden".

(Renate Graber, 20.2.2020)

*geändert am 20.2. um 15.45 Uhr