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Trauer in Hanau.

Foto: AP Photo/Martin Meissner

Die Schussattacke im hessischen Hanau folgt dem furchtbaren Skript unzähliger Terrorakte davor. Der Hass auf ein multikulturelles Zusammenleben in potenziell konfliktberuhigten Demokratien spielt darin die Hauptrolle. Die Verstörung sitzt tief. Doch scheut man davor zurück, die Verlaufsform, vor allem aber die Begründung für ein solches Massaker mit dem Hinweis auf seinen episodischen Charakter abzutun.

Die These von der psychischen Labilität einzelner Abgehängter und Gekränkter greift zu kurz. Für die meisten von ihnen liegt das Monopol legitimer Gewaltanwendung ohnehin bei Vater Staat, der sie mit Transferleistungen bedenkt. Doch ausgerechnet die Terroristen der äußersten Rechten misstrauen dem Popanz, den sie aufgrund ihres "autoritären Charakters" (Adorno) verabsolutieren. Der Staat soll ihnen helfen, die Augen weiter fest verschlossen zu halten: vor der Diversität unserer Gesellschaft, die ohnehin zur Realität geworden ist.

Das konfuse Geschäft der rechten Terroristen

Insofern betreiben rechte Terroristen ein äußerst konfuses Geschäft. Sie prahlen mit ihrer Befähigung zur Selbstermächtigung. Sie deklarieren sich als Bewahrer einer Ordnung, die sie daraufhin, in Unkenntnis ihrer elementarsten Formen, umso schändlicher mit Füßen treten.

Solche Gewalttäter spiegeln eine "politische" Agenda bloß vor. Sie pochen grob rassistisch auf die Verallgemeinerung von Gruppeninteressen. Partikularismus aber kennzeichnet moderne, entwickelte Gesellschaften. In diesen werden – der Idee nach – Argumente ausgetauscht, um für die Mehrheitsfähigkeit von Wertvorstellungen und Konzepten zu werben.

Ein solches Politikmodell vertraut auf die Konsensfähigkeit vernunftbegabter, ebenbürtiger Menschen. Doch die Rechtsradikalen plagt eine Heidenangst: Die "schlechte" Partikularität so vieler Meinungen und Praktiken, die allesamt in der gelebten Vielfalt wurzeln, zerstört ihr kümmerliches Ideal einer Allgemeinheit, die nicht vor Kraft, sondern vor Borniertheit strotzt.

Insofern vergießen rechte Terroristen eben doch nur wahllos Blut. Sie suchen Shisha-Bars auf, um nach Möglichkeit solche Mitbürger (im doppelten Wortsinn) zu treffen, denen ihr eigenes, schnödes Alteingesessen-Sein abgeht. Doch gerade die Diversität unserer liberal-demokratischen Gesellschaften lässt solche Unterscheidungen einigermaßen absurd erscheinen.

Das Ideal der unsichtbaren "Mitte"

Der Selbsthass derer, die sich völkisch oder männlich zurückgesetzt fühlen, lebt vom Phantom der Gefahrenabwehr. Man wird sehen, ob die Auswertung der Hanauer Bekennerprosa neue Einsichten zutage fördern wird. Doch ist es endlich an der Zeit, von der Chimäre der Äquidistanz Abschied zu nehmen. Denn noch immer wird der Extremismus in Mitteleuropa in linke und rechte Anteile aufgespalten. Unermüdlich wird das Ideal einer unsichtbaren "Mitte" gepredigt, von der aus beide Ränder wachsam im Auge zu behalten sind. Als ob die Roten Brigaden aller Länder nicht schon vor Jahrzehnten die verrosteten Terrorwaffen niedergelegt hätten.

Die Ergebnisse einer solchen Geografie der Indifferenz kann man zurzeit in Thüringen besichtigen. Mithilfe der Mitte-Parteien wird der Rechtsextremismus durch die Hintertür auf das Parkett der gesetzgebenden Kammern gebeten. Gleichmacherei ist diesfalls Ausdruck von Hilflosigkeit. Sie stärkt bloß den rechts vom rechten Rand befindlichen Narrensaum. (Ronald Pohl, 21.2.2020)