Machen als Jonah Heidelbaum und Meyer Offerman im New York der 1970er-Jahre Jagd auf Nazis: Logan Lerman (links) und Al Pacino in der Amazon-Serie "Hunters".

Foto: Christopher Saunders/Amazon

Bevor sich Jonah Heidelberg in der luxuriösen Villa eines Millionärs wiederfindet, hat er einiges durchgemacht. Seine Großmutter und einzige Verwandte, eine Holocaust-Überlebende, wurde gerade ermordet, er selbst beim Dealen verhaftet. Der 19-Jährige, der sich im Brooklyn des Jahres 1977 als Verkäufer eines Comic-Ladens durchschlägt, hat für den Reichtum seines Gönners Meyer Offerman als Vergleich sofort Bruce Wayne, den Superreichen hinter Batman, parat. Offerman wiederum empfiehlt seinem Schützling die Lektüre des ersten Buchs der hebräischen Bibel mit den Worten: "Du solltest öfter die Tora lesen, sie ist das ursprüngliche Comic-Buch."

Bunte Truppe

Der von Al Pacino gespielte ältere Herr entpuppt sich noch im eineinhalbstündigen Pilotfilm der Serie Hunters, zu sehen ab heute, Freitag, auf Amazon Prime, als Nazijäger. Mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe heftet er sich auf die Spuren von hochrangigen Nationalsozialisten, die die US-amerikanische Gesellschaft infiltrieren und die Errichtung eines Vierten Reichs planen. Zu ihnen gesellt sich schließlich auch Jonah (Logan Lerman), der sich zunächst wie Batmans Sidekick Robin ausnimmt und erst langsam zu ahnen beginnt, dass er selbst längst in der Heldenrolle steckt.

Dass die zehnteilige Serie Comic-Referenzen offen zur Schau trägt, hat mit ihrem Schöpfer zu tun. Zwar fungiert Oscar-Preisträger Jordan Peele (Get Out) als Produzent, kreiert wurde Hunters aber von einem Newcomer. Die Serie sei von seiner Großmutter, einer Überlebenden der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen, inspiriert, so David Weil in einem Statement. Ihre Erzählungen seien ihm als Kind wie der Stoff von Comic-Büchern und Superhelden erschienen, als große Schlachten zwischen Gut und Böse.

Trailer zu "Hunters".
Amazon Prime Video

Hunters versucht sich diese Geschichten – letztlich nur wenig erfolgreich – wie eine unermüdliche Pop-Mythen-Schleuder anzueignen. Dass hier vor allem das Grindhouse-Kino-Modell eines Quentin Tarantino Pate gestanden hat, wird nicht versteckt. Schon die PR-Materialien lassen in schönstem Kill Bill-Gelb-Rot grüßen, im Soundtrack finden sich nebst Seventies-Soul auch Surf-Rock-Instrumentals. Nazijägerin Roxy Jones (Tiffany Boone) ist nicht nur Teil einer Gang, die bereits auf den ersten Blick Diversität versprüht, sie würde locker als Schwester von "Foxy Brown" Pam Grier durchgehen.

Dirty Old New York

Das "dirty old New York" der Seventies liefert den idealtypischen Hintergrund für eine Parade der Coolness. An ihr partizipieren mit Lena Olin als forscher The Colonel und Greg Austin als skrupellosem Feschak auch erklärte Bösewichte.

Der Holocaust taucht in Hunters inmitten des dominanten Retro-Chics in Form verstörender Rückblenden auf die Großmutter im KZ auf. In gedämpften Farben, wie man sie aus Dokudramen kennt, werden den bekannten Gräueln weitere hinzugefügt. Ein sadistisches Schachspiel ist ebenso darunter wie ein tödliches Vorsingen bei einem Nazi, der später als Musikproduzent in den USA auftaucht. Dass seine Ohren dann von den Nazijägern mit der Musik von Little Richard sprichwörtlich zum Bluten gebracht werden, gehorcht der Logik, die früh als Losung ausgegeben wird: "Die beste Rache ist Rache."

Als Erzählung hat Hunters diesem Prinzip wenig hinzuzufügen. Jonah wird entsprechend der Comic-Folie immer wieder als eine nachdenkliche Version von Peter Parker, dem Jugendlichen mit besonderen Fähigkeiten hinter Spider-Man, in Szene gesetzt. Als hochbegabter "Codebreaker" versteht er sich nicht nur auf das blitzschnelle Auflösen von Rätseln, er fragt sich wiederholt, wie weit man bei der Rache gehen kann, ohne sich mit dem Feind gleichzumachen. Zumindest in den ersten fünf Folgen wird dann doch am liebsten Sadismus mit Sadismus aufgewogen.

Hunters bedient sich dabei aus einem üppigen Arsenal popkultureller Versatzstücke. Mit Farrah Fawcett auf dem Cover des TV Guide und einem Poster von Patti Smith an der Wand wird der Zeitgeist beschworen. Neben unzähligen Comic- und Musikreferenzen finden sich Anklänge an die Bowling-Szenen der Coen Brothers, an Robert Aldrichs Das dreckige Dutzend und natürlich an John Schlesingers Der Marathon-Mann in der Mischung. Nirgends wirkt diese unausgegorener und schwerer erträglich als in jenen Szenen, in denen zu Stayin’ Alive von den Bee Gees auf dem Pier von Coney Island getanzt wird, bevor dem bekifften Jonah die Großmutter ebendort im KZ-Gewand erscheint.

Keine Katharsis

Anders als bei Tarantino, der es in seinem Kriegsfilm Inglorious Basterds verstanden hat, seine Exploitation-artige Erzählung auf kathartische Momente hin zu führen, passt in Hunters kaum etwas zusammen. Die Serie will vom Teenager-Drama bis zum Heist-Movie vieles sein, der Holocaust bleibt dabei letztlich nur eine Bilderfundgrube. Ein formidabler Cast gibt eingespannt in diesen Rahmen sein Bestes. Gegen die emotionale Hohlheit, die zurückbleibt, hat niemand eine Chance. Nicht einmal ein Al Pacino, der seinen Nazijäger mit viel Wärme ausstattet. (Karl Gedlicka, 21.2.2020)