Ein Industriearbeiter musste 1980 noch 148 Stunden arbeiten, um sich eine Waschmaschine kaufen zu können. Heute reichen im Schnitt 36,5 Stunden.

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Die Österreicher halten sich für schlechter bezahlt, als sie sind. 70 Prozent der Bürger glauben, dass der Bruttolohn im Schnitt unter 2.500 Euro im Monat liegt. Tatsächlich beträgt das aktuelle Niveau auf zwölf Monatsgehälter heruntergebrochen aber 3.163 Euro. Auf 14 Monatsgehälter gerechnet liegt der Durchschnitt bei 2.711 Euro.

Dass Einschätzungen negativer ausfallen als die Realität, liege im Trend, sagt Andrea Fronaschütz. Die Leiterin des Meinungsforschungsinstituts Gallup sieht dahinter wachsendes Misstrauen gegenüber der Politik und den Systemen – und als Folge davon "einen Hang zu Heilsversprechen, Verschwörungstheorien und Rechtspopulismus".

Gemeinsam mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat Gallup deshalb ein Projekt gestartet, um emotionale Diskussionen zu versachlichen: Den Meinungen sollen Fakten gegenübergestellt werden. Zum Start begeben sich die Experten auf ein ideologisch besonders beladenes Feld, die Pensionsdebatte.

·Höhe der Einkommen Realistischer als die Löhne, von denen nur 19 Prozent in der richtigen Spannweite liegen, schätzt die Bevölkerung die Höhe der Alterspension ein. 45 Prozent tippen auf 1.000 bis 1.500 Euro, und tatsächlich liegt der Schnitt derzeit bei 1.324 Euro.

Allerdings unterschätzen viele Leute den Anstieg der Leistung: 42 Prozent glauben, dass es in den letzten 40 Jahren gar keinen gab, tatsächlich aber stiegen die Pensionen insgesamt real um 1,3 Prozent pro Jahr (Inflation herausgerechnet). Die Löhne legten mit 0,6 Prozent pro Jahr weniger stark zu.

·Lebensstandard Vielfach pessimistisch fällt die Einschätzung aus, wie sich der Lebensstandard entwickelt hat. 34 Prozent glauben, für die Pensionisten habe sich die Lage in den letzten vier Jahrzehnten verschlechtert, 21 gehen von einer Stagnation aus. Bei den Erwerbstätigen meinen in Summe 47 Prozent, dass es keine Steigerung oder eine Verschlechterung gegeben habe. Tatsächlich hat sich der Lebensstandard aber allgemein verbessert, und das markant. Pro Erwerbstätigem ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf seit 1978 um knapp 70 Prozent gestiegen, pro Einwohner insgesamt um 100 Prozent. Anzumerken ist: Über die Verteilung des Wohlstandes sagt diese Zahl nichts aus.

Eindrucksvolle Zahl zur Kaufkraft: Um sich eine Waschmaschine leisten zu können, musste ein Industriearbeiter 1980 rund 148 Stunden arbeiten, 2018 reichten dafür 36,5 Stunden. Der Arbeitsaufwand für einen Liter Vollmilch sank von 8,8 auf 3,7 Minuten, für ein Herrenhemd von gut fünf Stunden auf die Hälfte.

Die durchschnittliche Wohnungsgröße ist von 1983 bis 2013 von 82 auf 105 Quadratmeter angewachsen, die Fläche pro Person von 37 auf 55 Quadratmeter. Anderer Indikator, passend zur aktuellen Debatte über das Gesundheitssystems: 1985 kamen auf 100.000 Einwohner 90 Allgemeinmediziner, 2017 waren es bereits 156. Bei den Fachärzten stieg die Quote von 98 auf 275.

·Pensionsantrittsalter Interessant ist hier vor allem der Blick in die Zukunft. Die Menschen glauben, dass sie in 40 Jahren bis in ein viel höheres Alter arbeiten werden als heute: Die Männer rechnen mit einem tatsächlichen Pensionsantrittsalter von 67,3 statt derzeit 61,5 Jahren, die Frauen mit 64,3 statt 59,4 Jahren. Das Wifo geht auf Basis der Annahme, dass sich die Pensionsgesetze nicht ändern, aber davon aus, dass das Antrittsalter maximal auf 63,5 Jahre (Männer) und 63,2 Jahre (Frauen) steigt.

Die Menschen sind auch in dieser Frage pessimistisch, könnte man daraus schließen – oder den Spieß umdrehen, wie das Christoph Badelt tut. Offenbar hätten sich die Leute eh schon darauf eingestellt, später in den Ruhestand zu gehen, schließt der Wifo-Chef aus der Umfrage: Das sollte der Politik doch mehr Mut für Maßnahmen zur Anhebung des Antrittsalters geben.

·Stabilität des Pensionssystems Damit hängt die Frage zusammen, ob die Pensionen trotz Alterung der Gesellschaft finanzierbar bleiben: 28 Prozent sagen Ja, weil Menschen später in Pension gehen würden und geringere Leistungen erhielten, 26 Prozent schließen sich an, "falls weitere Reformen vorgenommen werden". Nur 18 Prozent urteilen: "Sind nicht langfristig finanzierbar."

Und die Fakten? Laut Wifo-Prognose wird der Anteil der Pensionsausgaben an den Staatseinnahmen in 40 Jahren von aktuell 28 Prozent auf – je nach Szenario – 30 bis 34 Prozent steigen, wobei ein Teil davon aber von Versicherungsbeiträgen gedeckt ist. Zum Vergleich: Die Ausgaben für Gesundheit betragen derzeit 15 Prozent, jene für Bildung zehn, jene für Pflege drei Prozent.

Andere Zahl: Laut "EU-Ageing Report" wird der staatliche Zuschuss ins von Beiträgen gespeiste Pensionssystem von 4,4 Prozent (2016) auf 5,1 Prozent des BIP (2060) ansteigen, während der Bevölkerungsanteil über 65 Jahren von 19 auf 29 Prozent wächst. Warum das Kostenplus da nicht krasser ausfällt? Die Erklärung sind eingeleitete Reformen: Die Demografie treibt den Zuschuss für die allgemeinen Pensionen in die Höhe, doch weil gleichzeitig die hochdotierten alten Beamtenpensionen auslaufen, erspart sich der Staat im Gegenzug auch viel Geld.

Ob der Anstieg, der übrig bleibt, leistbar ist, hänge von den Prioritäten der Politik ab, sagt Badelt. Eines sei jedenfalls unvereinbar: alle Versprechen in Sachen Pflege, Pensionen, Klimaschutz und dergleichen einzulösen und gleichzeitig die Steuern und Abgaben immer weiter zu senken. (Gerald John, 21.2.2020)

Anmerkung: Dieser Artikel wurde im ersten Absatz nachträglich ergänzt, indem nun auch der auf 14 Monatsgehälter gerechnete Durchschnittslohn von 2.711 Euro angeführt wird. In der Unterlage des Wifo sind nur die auf zwölf Monate gerechneten 3.163 Euro genannt. Das ist für manche Leser missverständlich, weil viele Menschen mit der Lohnhöhe nach 14 Gehältern rechnen – deshalb die Ergänzung. An der Aussage, dass 70 Prozent das Lohnniveau unterschätzen, weil sie von unter 2.500 Euro im Monat ausgehen, ändert sich dadurch aber nichts.