Leuchtende Punkte, Linien und vibrierende Farbnachbarschaften machen Friedensreich Hundertwassers Werk aus. "Der Nasenbohrer und die Beweinung Egon Schieles" (1965) trägt das Vorbild im Titel.

Foto: 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz

"Der große Weg" von 1955 hing eine Zeit lang bei Bruno Kreisky im Kanzler-Büro.

Foto: 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz

In diesem Keller hat scheinbar eine alternative Wirklichkeit aufgeschlagen. Schaut man auf den an der Wand hängenden Nasenbohrer, ist es, als sähe man ein Schiele-Bild auf Ecstasy. Oder als hätte einer ein Malbuch mit Motiven Schieles mit Neonstiften ausgemalt. Tatsächlich handelt es sich bei dem Gemälde um einen Friedensreich Hundertwasser.

Viel verbindet den Schöpfer knallbunter Spiralen in der landläufigen Wahrnehmung nicht mit Egon Schiele, der als Ikone der Wiener Moderne den mensch lichen Körper mit zitternden Strichen schmerzhaft zerknetete. Doch hat das Leopold-Museum den Anlass für die Doppelschau Imagine Tomorrow nicht aus der Luft gegriffen. Hundertwasser war zeitlebens von Schiele beeinflusst. Wie sehr, das zeigt eine Fülle von rund 170 Exponaten.

Eines der frühesten ist ein Selbstporträt Hundertwassers von 1948. Als er damals an der Akademie der bildenden Künste sein Studium beginnt, ist Schiele seit 30 Jahren tot, und die Albertina richtet ihm eine Schau aus, die Hundertwasser so beeindruckt, dass er Schiele zu seinem Lehrer erklärt. Im selben Jahr porträtiert er sich mit Zeichenstift in seiner berühmten Pose mit intensivem Blick.

Gegenseitiger Nutzen

Die Behandlung von Linien und Flächen übernimmt Hundertwasser da noch nicht vom Vorbild, aber das kommt bald. Frappant findet sich später Schieles Häuseransammlung Inselstadt in Werken wie dem danebengehängten Häuser im Schnee (1962) wieder: die schief aneinander gedrückten Fassaden, die fleckig valeuristischen Farben. Bloß sorgen bei Hundertwasser wilde Muster für den aufgewühlten Eindruck.

Hundertwasser malte Schiele nicht ab, setzte sich aber mit dessen Formelementen auseinander. Je früher die Werke, desto offener zeigen sie naturgemäß ihre Inspiration. Das spielt der Ausstellung in die Karten, zeigt den jungen Maler aber eben als noch lange nicht fertig. Sie haben mehr als Dokumente eines Suchenden zu gelten. Briefe an die Mutter bezeugen das in der Schau für die Jahre in Paris ab 1949. Später zierten Hundertwassers Häuser in Venedig und Neuseeland Reproduktionen von Werken Schieles.

Die Entscheidung, die beiden Künstler zusammenzuspannen, trägt aber mehr als nur dem einseitigen Einfluss Rechnung. Als Hundertwasser nach Paris ging, trug er Schiele mit in die Welt hin aus. Bis in die 1970er rührte er vor Kollegen für ihn die Werbetrommel, war er doch international bekannter. Schwer begreiflich scheint das, schaut man heute auf die mit Fliesen beklebten Müllverbrennungsanlagen und Kirchen des farbenfrohen Meisters. Während er ein Star wurde, machte er aber auch Schiele zu einem.

Manche der Bilder hier wurden noch nie zuvor öffentlich gezeigt, sie stammen aus europäischen Museen und Privatsammlungen wie der von Peggy Guggenheim oder der Familie Dumage. Sie beherbergte den mittellosen Hundertwasser die ersten Jahre lang in Paris, bis er sich selbst erhalten konnte. Der Zeitpunkt trat Mitte der 1950er ein, und bis 1962 wurde er so wohlhabend wie kein anderer heimischer Künstler. Als er Österreich damals auf der Biennale in Venedig vertrat, versteigerte Hundertwasser seine Ausstellung dort flugs direkt an die Sammler.

Auch Kollegen rissen sich um Hundertwasser, der junge Franz West schob Zeichnungen unter seiner Tür durch, um hernach zu behaupten, er werde von ihm gesammelt. Valie Export schwänzte Schule, um für den Akt Waltraude Modell zu liegen. Die Anekdoten über Hundertwasser sind mindestens so bunt wie sein Werk.

Antiradikalisierungsspirale

Ein eigener Raum gehört den Spiralen, die Hundertwasser ab 1953 als Symbol des Werdens und Vergehens malte: Der Mensch verändert sich ja schon im Laufe eines Tages, da kann der Kreis nicht die richtige Form sein ...

Die Disziplin der geraden Linie war Hundertwasser ein Gräuel, nicht nur weil es in der Natur keine solchen gibt, sondern auch aus biografischen Gründen. Die Nazidiktatur hatte der als Friedrich Stowasser 1928 geborene Sohn einer Jüdin unter Schikanen und den Formationen der HJ miterlebt.

Die Spirale Der große Weg hing später übrigens bei Bruno Kreisky im Büro, dabei hatte Hundertwasser erst 1968 die Gemüter erregt, als seine Nacktrede von der Polizei aufgelöst wurde. Als Los von Loos wurde sie später publiziert, und als Architekt stapelte der Gegner der kühlen Moderne bald in Modellen Wohnungen und Wald. Hundertwassers sich darin zeigendes Wesen als Vorreiter der Umweltbewegung ist ja bekannt. Farben mischte er selbst, und weil Skizzen Müll bedeuten, entwickelte er Bilder vegetativ direkt auf der Leinwand und auf seine Umwelt reagierend: Alles sprießt!

Die Schau will den 2000 verstorbenen Hundertwasser aus der Kitschecke holen. Jedenfalls ist es ein spannender Blick auf einen oft Belächelten. Nützlich dabei ist der Fokus aufs Frühwerk, und weil er in Katalogen Farben gerne intensivierte – die Bilder sind live weitaus bekömmlicher.