Für Finanzpolizei und Krankenkassen sind die Konstruktionen, in deren Rahmen vor allem ausländische Arbeitnehmer in Österreich arbeiten, oft kaum durchschaubar.

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Wien – Die von Unternehmen in EU-Mitgliedsstaaten entsandten ausländischen Dienstnehmer tragen maßgeblich zu Sozialmissbrauch n Österreich bei. Diesen Schluss legen die von Finanzminister Gernot Blümel und Arbeitsministerin Christine Aschbacher (beide ÖVP) am Donnerstag vorgelegten Zahlen nahe.

Demnach ist die Zahl der Entsendungen ausländischer Arbeitnehmer auf heimische Baustellen, als Lkw-Fahrer oder Paketzusteller und andere Dienstleister in den vergangenen neun Jahren massiv gestiegen: Wurden 2011 noch rund 10.000 Arbeitnehmer nach Österreich entsandt, waren es 2019 bereits 238.850 Personen – dreimal mehr als 2013. Bei weitem nicht alle von ihnen werden ordnungsgemäß entlohnt, und auch die Abführung von Lohn- und Sozialabgaben lässt zu wünschen übrig.

Promi-Beispiel Amazon

Prominentes jüngstes Beispiel: die im Zuge der Großrazzia der Finanzpolizei bei 36 Amazon-Zustellfirmen (mit 174 Dienstnehmern) am Dienstag aufgespürten 79 arbeitsrechtlichen Verstöße, die ein Drittel der Arbeitnehmer betrafen. Auch eine Scheinfirma wurde identifiziert, sagte Blümel in einer Pressekonferenz, sowie andere Unregelmäßigkeiten, die Forderungspfändungen nach sich zögen.

Auf Baustellen sind besonders häufig ausländische Arbeitskräfte im Einsatz, die dann oft nicht sozialversichert sind.
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Um wie viele Personen es sich bei den 238.850 Entsende-Überlassungsmeldungen (Formular) des Vorjahrs tatsächlich handelte – sie zogen laut Blümel Strafforderungen in Höhe von mehr als 13,8 Millionen Euro nach sich –, war am Donnerstag nicht in Erfahrung zu bringen. Die Frage ist deshalb relevant, weil die Zahl Mehrfachnennungen enthalten kann. Dieselben Personen aus Ungarn, Rumänien oder Slowenien können ja mehrfach nach Österreich zum Arbeiten gekommen sein. Das könne man nicht auswerten, es gebe schlicht kein Identifikationsmerkmal, heißt es im Finanzministerium.

"Akutes Problem"

Das Problem sei akut, betonte Arbeitsministerin Aschbacher, sechzig Prozent der Anzeigen auf Unterentlohnung beträfen inzwischen ausländische Betriebe. Man müsse daher "die fair agierenden österreichischen Unternehmen" und ihre Arbeitnehmer vor Lohn- und Sozialdumping schützen. "Sie dürfen nicht die Dummen sein". Schließlich gebe es 30.000 Arbeitssuchende am Bau in Österreich. Es herrsche also unlauterer Wettbewerb.

Bei der Eröffnung des Amazon-Verteilzentrums in Großebersdorf im Vorjahr war mit Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) die hohe Politik anwesend. Heuer wurden die Subunternehmer des Onlineriesen gefilzt
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Für die von der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida geforderten hundert zusätzlichen Planposten für die Finanzpolizei scheint das Problem allerdings nicht akut genug. Denn wohl kündigte Blümel an, "den großen Fischen" mit "Quasi-Planquadraten" in den Grenzregionen in Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und in Kärnten zu Leibe rücken zu wollen. Bereitgestellt werden dafür allerdings nur "flexibel agierende zusätzliche 50-Mann-Tage für anlass-, branchen- und saisonbezogene Schwerpunktkontrollen" von Grenzgängern und deren Transportfahrzeugen. Im ersten Halbjahr sind dafür nur 50 Mann für einen Tag zusätzlich vorgesehen, wird auf Nachfrage eingeräumt.

Scheinfirmen und Strohmänner

Einfach nachzuweisen ist Sozialbetrug, wie DER STANDARD mehrfach berichtete, keineswegs. Denn operiert wird oft über Scheinfirmen, die von Strohmännern (auch in Österreich gegründet) werden und hier aufhältige ausländische Arbeiter als Dienstnehmer anheuern und bei der Sozialversicherung anmelden. Operativ tätig werden diese Firmen allerdings nie, sie liefern auch keine Lohn- und Sozialversicherungsabgaben ab, arbeiten aber auch im Auftrag österreichischer Konzerne, ehe sie mangels Vermögen in Konkurs gehen. Österreichische Konzerne seien aber die Minderheit, betont man bei der Finanz. Nachweisen muss der ausländische Arbeitnehmer laut EU-Entsenderichtlinie lediglich, dass er in seinem Heimatland bei der Sozialversicherung angemeldet ist, was Kontrollen zusätzlich erschwert.

Profiteure von Steueroptimierungen

Neben Schwerpunktkontrollen bei Großfirmen, die – wie Amazon – ohnehin von Steueroptimierungen profitierten, kündigten die ÖVP-Minister an, auch "zahnlose Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes schärfen". Welche das sind, verrieten sie nicht, verwiesen auf Experten, die an einer großen Reform arbeiteten. Die von Arbeiterkammer und Gewerkschaft geforderte Auftraggeber- oder Versenderhaftung nach Vorbild der Baubranche will Blümel definitiv nicht: "Wir wollen explizit nicht Maßnahmen setzen, die die Falschen treffen, sondern jene, die sich nicht an die Gesetze halten."

Ob die vom Europäischen Gerichtshof gekippte Kumulierung von Einzelstrafen bei massenhaftem Missbrauch wieder kommt, diesfalls abgemildert durch eine Minderungsklausel für minder schwere Verstöße, ließ auch die Arbeitsministerin offen. (ung, 21.2.2020)