Hajo Funke (75) forscht seit Jahrzehnten zum politischen Extremismus. Bis zu seiner Emeritierung 2010 lehrte er am Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. Im den U-Ausschüssen der Landtage in Bayern, Thüringen und Hessen zu den NSU-Morden war er Sachverständiger.

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In Hanau wurde nach dem Terroranschlag von Mittwochnacht am Donnerstag gegen rechten Hass demonstriert und der Opfer gedacht.

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Extremismusforscher Hajo Funke hat sich bis zu seiner Emeritierung jahrzehntelang mit der gewaltbereiten Auslegung von Ideologien beschäftigt, im NSU-Prozess war er Sachverständiger. Er zeigte sich im STANDARD-Gespräch über den Terror von Hanau nicht überrascht – und die Hemmschwelle durch AfD, Pegida und Politiker wie den Chef der AfD Thüringen, Björn Höcke, massiv gesenkt. Die Menschen sollten wachsam sein.


STANDARD: Binnen von neun Monaten wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet, passierten der Anschlag auf die Synagoge in Halle und nun die Bluttat von Hanau. Warum tritt der gewaltbereite Rechtsextremismus in Deutschland so erschreckend stark zutage?

Funke: Mich haben die Ereignisse von Hanau nicht wirklich überrascht. In Deutschland ist die Stimmung durch Pegida und AfD sehr aufgeheizt. Die haben es geschafft, den Resonanzraum so zum Schwingen zu bringen, und sich dadurch selbst auch noch einmal verändert. Ich sehe eine indirekte Mitschuld der AfD – und da besonders bei Björn Höcke. Aggressiv gegen Minderheiten zu hetzen ist die Kernidee des Rechtsextremismus.

STANDARD: Die Hemmschwelle sinkt also?

Funke: Ja, und das eröffnet, ermöglicht und erleichtert, dass rassistische Gesinnung in Gewalt umschlägt. Man fühlt sich in diesem Klima ermutigt, zuzuschlagen. Solche Taten passieren nicht einfach im luftleeren Raum. In Deutschland gibt es, im Osten wie im Westen, eine recht gewaltbereite Szene, die sich immer wieder zeigt, und das seit 30 Jahren.

STANDARD: Wie stark ist diese vernetzt?

Funke: Das ist unterschiedlich. In Chemnitz und Dortmund gibt es Hotspots, auch in Hessen, dort gehörte der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke zur Szene. Tobias R. aus Hanau scheint vergleichsweise isoliert gewesen zu sein. Es ist jetzt von seinen wirren Thesen die Rede. Das Problem aber ist, diese sind nicht wirr, sondern eine typische Kombination aus Rechtsextremismus und Verfolgungswahn. "Mein Kampf" hat nicht anders funktioniert: Paranoia und Rassismus.

STANDARD: Wenn jemand den Sicherheitsbehörden nicht bekannt ist, was sollen sie dann machen?

Funke: Das ist in der Tat sehr schwierig und eine Herausforderung. Man kann nicht alles an die Sicherheitsbehörden delegieren, auch Bürgerinnen und Bürger müssen erhöhte Wachsamkeit haben. Aber die Behörden haben ihr Vorgehen geändert, es gibt jetzt mehr präventive Maßnahmen. Jahrelang musste man hier ja – man erinnere sich an den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) – eine Schwäche und ein Versäumnis der Vergangenheit feststellen. Weitere Taten kann man aber leider heute nicht ausschließen.

STANDARD: Und was muss Aufgabe der Politik sein?

Funke: Sie muss Klartext reden, sich abgrenzen und aufzeigen, was hinter den Worten der AfD steckt. Vor 14 Tagen hat FDP-Parteichef Christian Lindner noch Thomas Kemmerich, der in Thüringen mit Stimmen der CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, gratuliert. Nach Hanau meint er, der Zusammenhang zwischen Rhetorik und Gewalt sei enger geworden. Da hat er recht.

STANDARD: Können Sie nachvollziehen, dass die CDU mit ihrem Kooperationsverbot Linke und AfD auf eine Stufe stellt?

Funke: Nein. Das ist eine dogmatische Starre, die ihr jetzt auch auf die Füße fällt. Und es wird auch nicht besser, wenn in Thüringen die AfD mit Björn Höcke und ihrem rechtsextremen Kern über die Wahl Kemmerichs feixt. (Birgit Baumann aus Berlin, 21.2.2020)