Fasching, damals: Ball der Vorarlberger Landesbediensteten im Haus des Bregenzer Segel-Clubs, anno 1979.

Foto: Vorarlberger Landesbibliothek / Helmut Klapper

Fasching ist’s, reden wir über Humor, reden wir über Satire. Wann wenn nicht jetzt wäre die rechte Zeit dafür? Mit diesen Themen ließen sich Bücher und Bibliotheken füllen, aber vielleicht hat auch ein pointillistisch-begrenzter Zugang seine Meriten.

Ein Anlass könnte der sein, dass viele Beobachter der Ansicht sind, diese althergebrachten menschlichen Umgangsweisen mit der Realität hätten im Medienumfeld des 21. Jahrhundert einen tiefgreifenden Wandel erfahren, und nicht zum Besseren.

Wenn das Internet alles verändert, das Kaufverhalten, das Konsumverhalten, das Paarungsverhalten, das Reiseverhalten und so fort – wie sollte es da den Humor, die Satire nicht verändern?

Gibt es womöglich sogar geschichtsvergessene Millennials mit digitalem Tunnelblick, die glauben, dass Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung überhaupt erst eine Erfindung des World Wide Web sind? Was sagen Leute, die professionell von Humor und Satire leben, zu den Entwicklungen auf ihrem Arbeitsgebiet?

Ehe wir diese Fragestellungen angehen, ein persönlicher Rückblick auf den Fasching. Zur Einstimmung, gewissermaßen. Als Vorarlberger entstamme ich einem Epizentrum des Karnevalistischen, nämlich dem der "schwäbisch-alemannischen Fastnacht", wie das zugehörige Stichwort in der Wikipedia lautet. Den Fasching habe ich in meiner Jugend als spektakulär kontrastreiche Phase im Vergleich zu den anderen Segmenten des Jahreskreises erlebt.

Blase am Stecken

Dem Alemannen wird Sparsamkeit und ein nüchternes Verhältnis zur Welt, zum Leben, zum Geschäftlichen nachgesagt (Motto: "Katz verkoufa, selba muusa", die Katze verkaufen, selber Mäuse fangen). Daher ist es kein Wunder, dass er zum Ausgleich im Fasching die Sau besonders gern und gekonnt herauslässt.

Ein faschingstypisches Accessoire meiner Jugend war denn auch tatsächlich die "Sublotara", die Harnblase einer Sau, die die Metzger luftballongleich aufbliesen, zubanden, an einem langen, dünnen Stecken befestigten und zum Kauf feilboten.

Man konnte mit diesem grotesken Objekt (Grimms Wörterbuch zufolge dienten Saublasen einst auch als Tabaksbeutel) friedlich durch die Straßen ziehen, es aber auch zu dem Zweck verwenden, seine Animositäten auszuagieren, indem man anderen Faschingsteilnehmern gedämpfte Hiebe mit der Sublotara verpasste. Aggression light, sozusagen. Man muss sich eh das ganze Jahr zusammenreißen, dass einem die Hand nicht auskommt!

Faschingszeitung

Zum Bregenzer Fasching gehörte und gehört der Faschingsruf ("Ore Ore") und der Schnorrapfohl, die Faschingszeitung. Der Ruf will nichts bedeuten, die "Schnorra" ist, ähnlich der ostösterreichischen "Goschen", ein derber Ausdruck für das Mundwerk, das zugehörige Verbum "schnorra" heißt so viel wie maulen, stänkern, schimpfen.

Der Schnorrapfohl ist somit ein Pfahl mit einem großen Maul, der es den anderen einmal ordentlich hineinsagt. Contenance und gesellschaftliches Wohlverhalten sind, der Saison entsprechend, auf Urlaub geschickt worden.

Ich erinnere mich, dass der Schnorrapfohl auch meinen Vater zu Faschingszeiten einmal aufs Korn nahm. Der war ein freundlicher und kluger Mann, aber in einem Moment der geistigen Wirrsal hatte er an Weihnachten einen zu großen Christbaum nicht am unteren Teil des Stammes, sondern an der Spitze abgesägt, was dem Baum zwangsläufig einen bizarren Anschein verlieh.

Die Schnorrapfohl hatte, auf einem mir bis heute unbekannten Weg (Maulwurf in der Familie?), von dieser Fehlleistung erfahren, griff sie auf und teilte sie der Bregenzer Bürgerschaft mit. Die amüsierte sich, und auch mein Vater "nahm es", wie die einschlägige Phrase lautet, "mit Humor".

Lokal verankert

Kann man solchen Faschingszauber als "satirisches Treiben" bezeichnen? Wenn man darunter versteht, dass Spott und Kritik eine wichtige Rolle spielen, wird sich das wohl mit Recht behaupten lassen. Im Vergleich zu dem, was die renommierten Satireprofis des Landes machen, sind aber Einschränkungen angebracht.

Denn anders als bei ihnen ist der Fasching zeitlich limitiert, und selten reicht der Ehrgeiz seiner Betreiber über den lokalen Rahmen hinaus. Häufig muss man mit örtlichen Gegebenheiten vertraut sein, um überhaupt zu verstehen, worum es geht.

Für einen Wiener wäre der Schnorrapfohl unverständlich und unlesbar. Veranstaltungen wie der Villacher Fasching, bei dem die nationale Ebene mitgedacht wird, weil sie über das Fernsehen landesweit ausgestrahlt, sind Sonderfälle.

Satire heute: "Gute Nacht Österreich" mit Peter Klien.
Foto: ORF / Roman Zach-Kiesling

Lokal verankert war der Fasching von alters her: "Aristophanes war der Fasching für Athen", sagt mir Peter Klien, Altphilologe, begnadeter Politinterviewer und Talkshow-Host, der kürzlich in Gute Nacht Österreich mit einem Erklärstück über die prekäre Lage der Medien in Ungarn sogar die dortige Politik auf den Plan gerufen hat. Diese witterte in Kliens Intervention, wenig überraschend, sofort eine Kabale mit Soros-Hintergrund.

In der Amateurliga

Klien bringt dem lokalen österreichischen Brauchtum prinzipiell Wertschätzung entgegen. Allerdings fügt er hinzu, dass die Hervorbringungen des Aristophanes denn doch "feingliedriger" sind als das, was die Proponenten des Villacher Faschings hervorbringen. Es kann nicht jeder ein großer komischer Dichter sein.

Bei allem Engagement und Geschick der diversen Faschingsvereine spielen die meisten von ihnen auch in der humoristischen Amateurliga. Am Aschermittwoch legen die Apotheker, Immobilienmakler und sonstigen Lokalhonoratioren Spott und Hohn zuverlässig wieder ad acta und wechseln pflichtgetreu von ihrer Narren- in die angestammte Berufsrolle, als wäre nichts gewesen.

Der professionelle Satiriker hingegen bleibt das ganze Jahr über am Ball, muss am Ball bleiben. Übrigens ist das Verhältnis zwischen Amateur und Profi nicht immer ungetrübt. Von Karl Kraus etwa gibt es massenhaft gallige Anmerkungen zu fürwitzigen Laien und Teilzeithumoristen, die sich anmaßend auf das Gebiet dessen vorgewagt haben, was sie für Satire hielten.

Fasching und Satire, vor allem professionelle: Das sind, bei allen Berührungspunkten, die es geben mag, doch verschiedene Baustellen. Das Faschingstreiben bestätigt die bestehenden Verhältnisse und schafft allenfalls einen Teilzeitausstieg aus den Unbehaglichkeiten einer Zivilisation, deren Fortschritte oft psychologisch teuer erkauft werden müssen.

Das tut die Satire zwar auch, doch enthält sie vielfach auch ein auf Veränderung hin gerichtetes, utopisches Moment: Muss die Welt denn wirklich so sein, wie sie ist? Ginge es nicht ein bisschen besser?

Verschmutzte Kommunikation

Im April des vergangenen Jahres teilte ein Gastkommentator namens Justin E. H. Smith der Leserschaft der New York Times unverblümt mit, dass "The End of Satire", das Ende der Satire, gekommen sei.

Smith ist ein in Frankreich lebender amerikanischer Philosoph und Autor, der 2015 die medialen Reaktionen auf den Massenmord in der Charlie Hebdo-Redaktion aus der Nähe mitbekommen hatte und sich dadurch zu einem intensiven Nachdenken über Satire angeregt fühlte.

Anders, als man vermuten könnte, sieht Smith die tödliche Bedrohung von Satire und Satirikern weniger bei religiösen Fanatikern, sondern vielmehr in der kommunikativen "Verschmutzung" im Internet. Die "toxische Desinformation in den sozialen Medien", behauptet er, habe traditionelle Formen des Humors hinfällig gemacht.

Smith begreift Satire als eine Verfahrensweise, bei der sich der Satiriker seinem Objekt anverwandelt und "mit dessen Stimme, aber nicht im eigenen Namen spricht". Was aber, wenn die Stimmen wüst durcheinandergehen und wenn nicht mehr zu unterscheiden ist, wer spricht?

Smith trifft hier in der Tat einen neuralgischen Punkt. In einem Universum mit unablässig durcheinanderkrakeelenden, meist anonymen Partizipanten: Wie will man hier noch unterscheiden, was ernst ist und was nicht? Erkennen, wer was mit seiner Wortmeldung bezweckt? Kein Wunder, dass sich Poster wieder und wieder bemüßigt fühlen, durch Zusätze zu ihrem "eigentlichen" Text klarzustellen, wie dieser gemeint sei: "Achtung SATIRE" oder "Ironie\OFF" usw.

Das österreichische TV-Satire-Flaggschiff "Willkommen Österreich" mit Stermann und Grissemann.
Foto: ORF / Hansl Leitner

Smiths Analyse hat einiges für sich, aber sein Schluss vom Ableben der Satire wirkt überzogen. Mathias Zsutty sieht die Lage seiner Zunft wesentlich entspannter. Zsutty hat seit beinahe einem Jahrzehnt die redaktionelle Oberhoheit über das österreichische TV-Satire-Flaggschiff Willkommen Österreich inne.

Unter diesem Aspekt ist ihm nichts Satirisches und nichts Menschliches fremd. Davon, dass das Internet die Satire um die Ecke gebracht habe, meint er, könne keine Rede sein. Sehr wohl aber habe es Auswirkungen auf die satirische Arbeit. "Es gibt viele Themen, bei denen sich Witze, oft auch sehr gute, aufdrängen, und die stehen dann natürlich in den Social Media".

Wie geht man mit dieser Herausforderung um, wenn man nicht den Eindruck erwecken will, dass man auf abgegrasten Feldern erntet? "Die hohe Schule ist die, dass man jenen besonderen Twist findet, den noch niemand gefunden hat", meint Zsutty. "Manchmal geht das, manchmal nicht. Es gibt auch Situationen, da muss einem die Ähnlichkeit mit einem Witz, der schon im Umlauf ist, einfach wurscht sein."

Originalität und Umwege um Naheliegendes

Auch bei der Tagespresse kennt man das Problem. Redakteur Jürgen Marschal, einer der hervorragenden satirischen Schreiber des Landes, der auch für Willkommen Österreich und Gute Nacht Österreich gearbeitet hat, erzählt, dass bei der Tagespresse erst Google und die sozialen Medien abgeklappert werden, ehe ein Artikel online geht: Man legt Wert auf seine Originalität und macht einen Umweg um das, was allzu naheliegt.

Zu der oft von Rechtsauslegern geübten Praxis, rassistische Aussagen und "Witze" als "Satire" zu deklarieren, meint Marschal: Das sei in der Tat ein Problem. Die Grenzziehung zu dem, was noch vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei, sei hier besonders schwierig.

"Die Tagespresse" macht Umwege um das, was allzu naheliegt.
Foto: Tagespresse

Peter Klien ist der Ansicht, dass die Masse und schnelle Verbreitung dessen, was der "Reinigung durch Satire" bedürfte, durch das Internet enorm angestiegen sei und ein einziger jährlicher Reinigungsakt wie im Athener "Fasching" den Bedarf nicht deckt.

"Es gibt einen großen Hunger auf Satire", meint Klien und zeigt sich zugleich erfreut über die großen Zugriffszahlen auf den Facebook-Kanal seiner Sendung: "Ich finde es interessant, dass gerade bei einer satirischen Sendung eine Ausnahme von der ORF-Politik gemacht wird, sich aus Facebook zurückzuziehen."

Viel zu absurd

Es gibt weitere angebliche Gefahren für den professionellen Satiriker, von denen häufig die Rede ist. Erste Gefahr: Die (politische) Wirklichkeit sei so absurd geworden, dass sie die Arbeit des Satirikers obsolet macht. In den Online-Communitys betonen Poster halb bedauernd, halb schadenfroh, sie möchten keine Satiriker sein, weil der Wahnwitz und die Absurdität nicht zu toppen seien – "da kann die Tagespresse einpacken".

Jürgen Marschal: "Absurd waren die Zustände schon immer. Wenn das ein Argument wäre, hätte man seit 3000 Jahren keine Satire schreiben können."

Angebliche Gefahr Nummer zwei, speziell für alle Berufssatiriker: Das Internet bietet ausreichend Amateursatire, Profis braucht es nicht. Zsutty: "Es ist ein Unterschied, ob jemand etwas anonym und spontan ins Internet hineinrotzt oder ob es zuvor eine inhaltliche redaktionelle Auseinandersetzung gibt. Bei uns sind schon etliche Sachen rausgefallen, weil wir nicht den Eindruck machen wollen, wir seien nur zynische Schweine."

Gab es je politische Interventionen, um die Redaktion zu gängeln? "Nein, die hat es nicht gegeben. Einzig ein Maschek-Beitrag über Strache wurde vom ORF in veränderter Form online gestellt, aber deshalb, weil es gegen die Formulierung ‚Vom Neonazi zum Sportminister‘ rechtliche Bedenken gab."

Vulgärer Polit-Clown

Angebliche Gefahr Nummer drei: Es braucht keine Berufssatiriker mehr, weil an ihrer statt Politiker die Rolle des "Satirikers" übernommen haben. Ihnen allen voran geht Donald Trump, König des Twitter-tauglichen Oneliners und vulgärer Polit-Clown. Aber man erinnert sich auch hierzulande an die Versuche von Hazee Strache, sich mehrfach als eine Art Nebenerwerbssatiriker zu profilieren.

Jürgen Marschal: "Satiriker und Politiker, das geht nicht zusammen. Satiriker können nicht Partei für die Mächtigen ergreifen oder selber Mächtige sein. Aber Politiker und Faschingsveranstaltungen, das geht sich aus. Da sitzen sie dann in der ersten Reihe und können zeigen, dass sie ,einen Spaß verstehen‘."

Vorläufiges Fazit: Versuche, die Satire für mausetot zu erklären, sind übertrieben und kommen verfrüht. Von den vielen satirischen Kräften in Österreich konnten hier zu wenige zu Wort kommen, um ihre wahre Kraft zu beweisen. Aber es gibt sie: in Tageszeitungen, im Internet, im Kabarett und anderswo.

Auch die Rolle satirisch inspirierter Frauen ist in diesem Artikel unterbeleuchtet geblieben – nicht aus patriarchaler Selbstherrlichkeit, sondern weil der Autor noch mehr recherchieren muss. Aber Geduld, sicher ein andermal. Noch ist nicht aller satirischen Tage Abend. (Christoph Winder, 22.2.2020)