Wien – Wenn Parteichef Werner Kogler nach der grünen Handschrift im Regierungsprogramm gefragt wird, ist eine der häufigeren Antworten neben Ausführungen zur neuen Klimapolitik eine 100. Der türkise Koalitionspartner habe schließlich zugestimmt, ein Pilotprogramm für österreichweit 100 Schulen mit besonderen Herausforderungen zu finanzieren. Kogler sieht das so: Genau so ein Projekt, das sozial benachteiligte Kinder unterstützen soll, rechtfertige, dass die Grünen es mit den Türkisen versuchen.

In dem Koalitionsabkommen wurde allerdings nicht fixiert, wie viel Geld es letztlich für das Projekt geben wird – und auch nicht, wie die Mittel verteilt werden sollen. Im Pakt ist nur die Rede von einem "Chancen- und Entwicklungsindex", der herangezogen werden soll.

Dem Vernehmen nach könnte das Programm schon in wenigen Wochen starten: Das soll es den Schulen ermöglichen, ihr Konzept noch vor dem Sommer einzureichen. Dann würden die ersten Fördermaßnahmen schon im Schuljahr 2020/21 anlaufen.

Aber wie könnte der erwähnte Sozialindex aussehen, also welche Schulen sollen überhaupt profitieren können? Auch hier gibt es offenbar schon recht konkrete Vorstellungen.

Einfließen sollen demnach die Alltagssprache der Schüler und der soziale Status der Familien, etwa in Form des Einkommens im Haushalt sowie des Bildungsstatus der Eltern. Letzterer ist laut Bildungsexperten der wichtigste Faktor, der über schulischen Erfolg oder Misserfolg von Kindern entscheidet. Durch Einbeziehung der Umgangssprache sollen auch Schulen mit höherem Anteil von Migrantenkindern gut erfasst werden.

Neue Definition

Das erwähnte Konzept fußt auf einer ähnlichen Definitionen, die das Bildungsforschungsinstitut Bifie schon länger verwendet, um Brennpunktschulen in Österreich zu identifizieren. Wobei das Bifie noch zusätzlich das Kriterium Migrationshintergrund bei Schülern einbezieht, das nun wegfallen könnte.

Schulen, die nach den erwähnten Kriterien generell als förderwürdig identifiziert worden sind, sollen sich selbst um Förderungen bewerben können, indem sie ihre spezifischen Herausforderungen schildern und Lösungsvorschläge erarbeiten. Letzteres wurde schon im Regierungsprogramm avisiert.

Diese Konzeption wird von Experten gelobt: Der Soziologe Johann Bacher von der Linzer Johannes-Kepler-Universität sagt, dass Schulen am besten über Probleme Bescheid wissen. Und er gibt gleich ein paar Beispiele für sinnvolle Förderungen: "Schulen, in denen Kinder wenig Unterstützung bekommen und Hausaufgaben oft nicht gemacht werden, könnten zusätzliches Personal beantragen, um zu einem Ganztagsmodell zu wechseln. Wo es ein Gewaltproblem gibt, wäre ein Präventionsprogramm sinnvoll."

Sinnvoll sei jedenfalls, dass die Regierung das Programm im Rahmen eines Pilotprojekts zunächst austeste, um dann zu evaluieren, was funktioniert, so der Soziologe.

Gewinner in Wien und Oberösterreich

Was die geografische Verteilung betrifft, dürften neben Schulen in Wien vor allem Schulen in oberösterreichischen Ballungszentren wie Linz, Wels und Steyr für Förderungen infrage kommen. Hier ist die dichte an Brennpunktschulen, insbesondere durch Zuzug sozial schwächerer Familien in den vergangenen Jahren, am höchsten.

Was brauchen Brennpunktschulen? Die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann diskutierte mit der Autorin und Lehrerin Susanne Wiesinger darüber im STANDARD-Streitgespräch.
DER STANDARD

Bildungsexperten der Arbeiterkammer (AK) haben sich angesehen, welcher Verteilungsschlüssel sich nach Bundesländern bei Volksschulen ergeben könnte, wenn eine proportionelle Aufteilung erwünscht ist, also alle Bundesländer gleich stark profitieren sollen – und zwar abhängig von der Zahl der Brennpunktschulen im Land. Als Basis dient dafür ein Sozialindex, den die AK selbst entwickelt hat, der aber jenem des Bifie sehr ähnlich ist.

Von den 100 Pilotprojekten wären 39 in Wien und 21 in Oberösterreich. Die übrigen Bundesländer wären weit abgeschlagen, in Niederösterreich gebe es zwölf Schulen, in Salzburg gar nur fünf, sagt der AK-Bildungsexperte Philipp Schnell. Außerhalb der Ballungszentren gebe es keine förderwürdigen Schulen.

Und was gibt es für ländliche Regionen?

Wobei bei all diesen Überlegungen auch politische Erwägungen noch eine Rolle spielen könnten. Im ÖVP-geführten Bildungsministerium unter Heinz Faßmann wird betont, dass der Index für Förderungen noch in Ausarbeitung ist, dass man sich aber vorstellen könne, dass "neben sozialen Fragestellungen auch Themen wie Abwanderung in einer Region eine Rolle spielen könnte". Sprich: Damit gebe es neben dem Sozialindex auch einen Mechanismus, damit nicht nur Städte in den Genuss einer Förderung kommen würden.

Wie viel Geld das ÖVP-geführte Finanzministerium für das Programm bereitstellt, ist unklar. Soziologe Bacher sagt, das Motto müsste klotzen und nicht kleckern lauten: Schulen mit einem Anteil von 30 Prozent benachteiligten Kindern bräuchten um 30 Prozent mehr Mittel, so eine Faustregel. Erfahrungen mit Sonderförderungen aus der Vergangenheit würden zeigen, dass nur Intervention Sinn macht, die auch umfassend ist.

Wobei Bacher sagt, dass durch Umschichtungen mehr Geld für Problemschulen in Ballungszentren zur Verfügung gestellt werden könnte. Im Schnitt würde es in jeder Volksschulklasse in Österreich eineinhalb Lehrer geben. In Regionen, wo die Zahl der Schüler mit besonderen Herausforderungen niedrig sei, wäre ein Lehrer pro Klasse meist ausreichend. Untersuchungen zur Finanzierung von Schulen, etwa vom Institut für Höhere Studien, zeigen, dass in Österreich bisher ländliche Regionen im Verhältnis mehr Geld bekommen als Ballungszentren.

Und wie sieht man die Förderung in den Ländern?

Lände gegen Umverteilung

Niederösterreichs Bildungsdirektor Johann Heuras sagt, dass er die Idee grundsätzlich positiv sieht, weil es die Bildungschancen erhöht. Eine Umschichtung von Geld lehnt Heuras strikt ab: Es bedürfe zusätzlicher Ressourcen. "Mein Wunsch ist, dass diese Ressourcen also nicht von anderen Standorten abgezogen werden. Ich möchte, dass da etwas für diese Schulen dazukommt." In Niederösterreich könnten zehn bis 15 Standorte profitieren, sagt er.

Bildungsminister Heinz Faßmann: Schulen sollen ein Konzept für Förderungen erarbeiten und nicht per Gießkanne zusätzliche Ressourcen erhalten.

Zugeknöpfter gibt sich die Bildungsdirektion in Oberösterreich: "Wir begrüßen die Idee, 100 Schulen auszuwählen und besonders zu fördern. Damit wird ein neuer Weg beschritten. In den Verhandlungen wurde signalisiert, dass Oberösterreich für einige Standorte ausgewählt werden wird. Die Entscheidung wird aber im Ministerium getroffen."

Geheimer Index in Salzburg

In Salzburg nimmt der Bildungsdirektor das Wort Brennpunktschulen nicht in den Mund. Aber es gebe auch jetzt Schulen mit besonderen Herausforderungen, auf die man mit Schulsozialarbeit, Schulassistenten oder einem psychosozialen Team an der Schule reagiert. "Auch ohne, dass wir die Schulen extra definieren", betont Rudolf Mair.

Salzburg habe bereits einen Index in Verwendung, der aufzeigt, welche Schulen als besondere Herausforderung angesehen werden: Der Index werde aber geheim gehalten, "damit die Schulen nicht gebrandmarkt werden als schlechte Schulen, wo nur Arme sind", so der Salzburger Bildungsdirektor. Es seien auch alle Interessenvertreter eingeladen worden, um zu zeigen, "dass wir hier bewusst intransparent bleiben, weil wir nicht wollen, dass die Schulen als am sozialen Rand stehend stigmatisiert werden", sagt Mair.

Österreichweit gibt es laut Berechnung der Arbeiterkammer etwa 430 Volksschulen mit "großen Herausforderungen". Dazu kommen noch einmal 330 Neue Mittelschulen und 18 Gymnasien.

In Österreich sei man noch nicht so weit, dass Schulsozialarbeiter als etwas Positives betrachtet werden. "Das wird noch Jahre brauchen, bis Schulen das als Qualitätszeichen und nicht als Makel sehen." In Salzburg seien zurzeit zwischen 40 und 50 Schulen mit Supportstrukturen ausgestattet. (András Szigetvari, Peter Mayr, Sebastian Fellner, Stefanie Ruep, Oona Kroisleitner, 23.2.2020)