Kurt Ziegner prüft, wie sich die Jungkiefern am Lanserkopf entwickeln. Hier wächst der Tiroler Wald der Zukunft.

Foto: Florian Lechner

Innsbruck/Lans – Der Tiroler Wald, wie wir ihn heute kennen, ist im Umbruch. Bei einem Spaziergang am Lanserkopf bei Innsbruck gewährt Kurt Ziegner von der Abteilung Forstplanung des Landes einen Blick in die Zukunft. Zwischen hoch aufragenden Fichten tut sich eine Lichtung auf. Die örtliche Agrargemeinschaft hat hier vor gut einem Jahr "geerntet". Doch anstatt die Brache wieder mit einer Fichtenmonokultur aufzuforsten, wandten sich die Waldbesitzer an den Forstexperten Ziegner.

Denn durch den Klimawandel klettern die Temperaturen und mit ihnen die Fichten, die heute die dominierende Baumart im Tiroler Bergwald darstellen. Bereits jetzt liegt das Jahresmittel im Alpenraum um zwei Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Geht man von einer Erwärmung um etwa vier Grad bis 2100 aus, wird es unterhalb von 1000 Metern Seehöhe künftig kaum noch Fichten geben. Trockenstress und Borkenkäfer setzen das populäre Nadelgehölz enorm unter Druck.

Förderprogramm für klimafitten Bergwald

Der Lanserkopf liegt auf 800 bis 900 Metern Seehöhe und ist somit das ideale Testgebiet. In Wildverbiss-Schutznetze gehüllt, wächst hier die Zukunft des Tiroler Waldes heran. Ziegner erklärt das Prinzip hinter dem Projekt "Klimafitter Bergwald Tirol", ein Förderprogramm, das im Vorjahr von der Landesregierung gestartet wurde: "Wir beraten private Waldbesitzer, welche Baumarten sie bei Wiederaufforstungen verwenden sollen. Denn die wollen Ertrag lukrieren und brauchen dazu sägefähiges Holz." Das ist ein Wirtschaftsfaktor: Privatpersonen besitzen in Tirol 75 Prozent des Waldes.

Die schnell und gerade wachsende Fichte war bislang die erste Wahl. Doch aufgrund des Klimawandels wäre es aus wirtschaftlicher Sicht riskant, weiter nur darauf zu setzen, sagt Ziegner: "Ich vergleiche das mit Aktien und rate zu einem möglichst breiten Portfolio." Was er damit meint, zeigt sich auf der Lichtung. Verteilt auf Inseln wachsen verschiedene Baumarten wie Eiche, Linde, Kirsche und Ulme. Dazwischen gedeihen aber auch weiterhin Fichten, Lärchen und Kiefern. Es gilt, einen Mischbestand zu schaffen, der Hitze, Trockenheit und Stürmen standhält. Weil einige dieser Baumarten mehr Aufwand bedeuten und langsamer wachsen als Fichten, bietet das Land dafür Förderungen. "Somit fällt das Kostenargument für Waldbesitzer weg", erklärt Ziegner.

Wald mit Schutzfunktion

Dass zukunftsfähig aufgeforstet wird, liegt im Sinne der Allgemeinheit. Denn 70 Prozent des Tiroler Waldes erfüllen eine lebenswichtige Schutzfunktion gegenüber Naturgefahren wie Lawinen oder Steinschlag. Um dem gerecht zu werden, ist es wichtig, den richtigen Baum an der richtigen Stelle zu pflanzen. Lärchen, die ihre Nadeln im Winter verlieren, sind etwa ein schlechter Lawinenschutz – weil sich darunter eine geschlossene Schneedecke bilden kann. Empfindliche Arten, die bei Borkenverletzungen leicht faulen, eignen sich wiederum kaum zum Einsatz in Steinschlaggebieten.

Neben den Waldbesitzern muss Ziegner auch die Bevölkerung auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten: "Die Menschen glauben, dass der Fichtenwald, wie wir ihn kennen, natürlich sei. Viele haben eine fast emotionale Bindung an ihn und reagieren sensibel, wenn sich dieses Bild ändert." Doch in Wahrheit passiert durch den Klimawandel auch eine langsame Rückentwicklung hin zum natürlichen Bergmischwald.

Menschengemachte Natur

Denn die Vorherrschaft der Fichte auf Tirols Bergflanken ist menschengemacht und geht zurück auf die Saline Hall. Dort wurde 700 Jahre lang Salz abgebaut, was die Stadt lange zu einem wirtschaftlichen Zentrum der Alpen machte. Um die Sole in den riesigen Sudpfannen zu erhitzen, waren über die Jahrhunderte Unmengen an Fichtenholz nötig – Laubholz brennt zu heiß für die Pfannen und war daher ungeeignet. Dieser Holzverbrauch führte dazu, dass bis ins Schweizer Engadin und Tiroler Außerfern aller Wald gerodet und mit Fichten wieder aufgeforstet wurde, die zuvor erst ab 1200 Metern wuchsen. Die moderne Holzindustrie nutzt diese Monokulturen heute weiter.

In 100 Jahren wird Tirol daher grundlegend anders aussehen als heute. Die immergrünen Berghänge werden von Mischwäldern bewachsen sein. Doch auf über 1000 Metern Seehöhe wird auch weiterhin die Fichte ihr natürliches Habitat finden und Tirol somit am Holzmarkt einen Vorteil verschaffen, weil der Baum in den niedrigeren Lagen Europas langsam verschwinden wird.

Das Projekt "Klimafitter Bergwald Tirol" will diese natürliche Entwicklung, die derzeit passiert, unterstützen. Profitieren wird davon aber erst die übernächste Generation der Waldbesitzer. (Steffen Arora, 22.2.2020)