Der lyrische Dichter Baal (hier: Constanze Passin, li.) macht sich mit Erfolg an die bürgerliche Sophie (Daniel Wagner) heran.

Alexander Gotter

Baal hat alles in der Hand. Der einzig für sich lebende und alles nach seinen Bedürfnissen und Freuden ausrichtende "lyrische Dichter" aus Bertolt Brechts gleichnamigem Frühwerk hat monströsen Charakter. Die Wucht seines gierigen Lebens münzt er – angeblich – in Kunst um. Über die Qualität seiner Verse besteht allerdings kein gesichertes Wissen. Immerhin tituliert ihn Brecht als den "großen Baal", der sich – an den Opfern seines Lebens berauschend – von Branntwein- zu Dorfschenke manövriert und dazwischen auch das Nachtcafé nicht auslässt.

Im Werk X bricht sich dieses Untier (Constanze Passin, später Michaela Bilgeri im Fatsuit) Bahn durch eine knirschende Styroporwand und tönt den ihm gewidmeten Choral gleich selbst gefühlvoll ins Mikrofon. In diesem mit Embonpoint gewappneten Mann steckt tief drinnen ja doch ein Mensch. Aber was für einer?! Ein Raubtiermensch, der in Ali M. Abdullahs Inszenierung auch kein Menschengesicht trägt, sondern eine Maske mit obszön erstarrten Zügen – so wie hier alle anderen auch.

Entindividualisierung

Die Masken erinnern an Markus Öhrns Gewaltstudien bei den Wiener Festwochen, im Vorjahr war das 3 Episodes of Life, die einen sexuellen Übergriff im Tanz über präzise körperliche und sprachliche Manöver nachzeichneten: Ein Choreograf missbraucht seine Macht und sagt, es wäre ja für die Kunst gewesen.

Abdullah zitiert (unfreiwillig?) Öhrns Entindividualisierungstechnik der Masken für seinen ebenfalls mehr als übergriffigen Baal. Was bei der Premiere dank der schön ausagierten Mechanik zwischen Baal und seinen Opfern, auch Männern, anfangs Spannung enthält, verebbt später im Immergleichen des monströsen Umgangs, gipfelnd in der brutalen Vergewaltigung der Kellnerin Luise (Christoph Griesser). Sie sollte in der ersten Publikumsreihe besonders schockieren, wirkte aber haudraufmäßig. Die Steigerungsdramaturgie hat sich da nicht eingelöst, vielmehr ist sie leergelaufen.

Eine Wucht ist sind die Darstellerinnen: Die gegengeschlechtliche Besetzung, mit der schon in Berlin Furore gemacht wurde (Stefanie Reinsperger als Baal am Berliner Ensemble), bringt’s. Bilgeris bzw. Passins Baal schwebt unangestrengt ohne Mackergetue zwischen Charme und Horror, der einfach so zum Spaß herausbricht. (Margarete Affenzeller, 22.2.2020)