Es sprießt, summt, fliegt, schwimmt und krabbelt seit einiger Zeit in den Buchhandlungen: Nature-Writing boomt, viele Autoren schreiben auch über den Wald.

Foto: Fatih Aydogdu

Man versteht schnell, warum Patrik Svensson von Aalen begeistert ist. Da sind einerseits die biologischen Fakten von der Geburt sämtlicher Aalarten in der Sargassosee in der Karibik bis zu dem Umstand, dass bis vor einigen Jahrzehnten niemand die Geschlechtsorgane der Tiere gefunden hatte. Forscher grübelten lange, wie Aale sich fortpflanzen.

Svensson hat aber noch andere Gründe für sein Buch Das Evangelium der Aale, das aktuell als Spitzentitel im Programm von Hanser firmiert und Ende Jänner weltweit in 30 Sprachen gleichzeitig erschienen ist. Als Bub ging Svensson mit seinem Vater nämlich Aalfischen. Er beschreibt den Weg durch "undurchdringliche Pflanzen" zum "silbernen Band" des Flusses mit leuchtenden Augen.

Er fordert sogar beim Lesen einige Geduld – doch man bringt sie gerade deswegen gern auf. Denn einerseits lassen einen die vielen Aalinfos schlicht staunen. Andererseits ist die beschriebene Welt idyllisch, und kleine Sensationen warten überall: Enten landen "mit einem plumpen Klatschen im Wasser", und Reiher fliegen auf, den Schnabel "wie einen erhobenen Dolch vor sich hertragend".

Das Evangelium der Aale fällt ins Genre des Nature-Writing, eine litera rische Naturbeschreibung, in die sich der Autor selbst als denkendes und fühlendes Wesen einbringt. Svensson verwebt also persönliche Anekdoten mit Fischereisoziologie, Serviervorschlägen, historischen Abrissen und Philosophie rund um das glitschige Tier. Schlechtere Passagen lesen sich wie aufgepeppte Wikipedia-Einträge. Zwischendurch wird ihm aber "das Rätselhafte, schwer Durchschaubare des Aals zum Echo der Fragen, die jeder Mensch in sich trägt: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin bin ich unterwegs?"

Zoo zwischen Buchdeckeln

Will man ermessen, wie angesagt dieses Nature-Writing gerade ist, staunt man darüber, dass Svenssons Buch nicht das einzige ist, das in den letzten Monaten über diese Fischart erschienen ist. Auch Torolf Kroglund wird in Reise mit Aal persönlich. Jüngst sind außerdem populär orientierte Bücher über Ameisen (Weltmacht auf sechs Beinen), Füchse (Unsere wilden Nachbarn) oder Bienen (Wie Bienen und Menschen zueinanderfanden) auf den Markt gekommen. Schon in den Startlöchern scharrt Was Kühe über das Leben wissen.

Matthes & Seitz hat den Trend besonders früh erkannt und veröffentlichte in der Reihe Naturkunden seither 55 Bände über Algen, Fliegen oder Nelken, jüngst erschien Eidechsen. Nichts ist zu eklig, um zu begeistern, wie Schleim beweist. Vielleicht sogar deshalb.

Natur als Bestseller? Das war im 19. Jahrhundert schon einmal der Fall. Heroen des Nature-Writing wie Henry David Thoreau mit Walden oder Alexander von Humboldt revolutionierten mit ihren Beobachtungen das Bild von Pflanzen und Tieren und lösten einen Ursprünglichkeitshype zu einer Zeit aus, da die Indus trialisierung das Leben in Europa und in den USA umkrempelte.

Stress und Wetteranomalien

Dass das Genre heute wieder floriert, da wir weniger Beziehung zur Natur haben denn je zuvor und sie unter unserem Eingriff arg in Bedrängnis gerät, wird kein Zufall sein. Man darf den Siegeszug der Naturbücher auf das Zunehmen von Stress genauso zurückführen wie auf gehäufte Wetteranomalien. Zwischen den Polen von Lebenshilfe, Wellnessprogramm für die Seele und Klimaschutz pendeln die Titel denn auch. Gelegentlich stoßen sie soziologische Überlegungen an: Warum funk tioniert ein Bienenstaat so gut? Könnten wir was abschauen?

Nature-Writing ist wohl auch deshalb so erfolgreich, weil es an der Schnittstelle gleich mehrerer Trends angesiedelt ist, es treffen sich darin die starke Nachfrage nach dem Sachbuch wie jene nach dem Memoir. Stilistisch ist dementsprechend viel möglich.

Long Litt Woon erzählt in Mein Weg durch die Wälder, wie sie nach dem Tod ihres Mannes durch Pilzkunde zurück ins Leben fand. Neben Mykologiewissen und Suchtipps betört neu gewonnene Zufriedenheit: Findet Woon ein Schwammerl, "zählt nur, dort zu sein, wo ich bin, und zu tun, was ich tue. In dem Moment denke ich nicht nach, was die Leute von meiner Frisur halten." Arnulf Conradi gewinnt indes in Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung bei Albatrosssichtungen in der Antarktis auch ökologisch Durchblick: "Ihr Anblick ist Anlass genug, die Botschaften der Natur aufzunehmen, sie zu erhalten."

Gutes in Nah und Fern

Die Bücher behandeln Natur, der man seit Kindertagen verbunden ist oder zu der man zurückfinden könnte, und Wildnis in der Ferne. Triebfeder der Texte ist nie der Zeigefinger, sondern die Faszination und Beschreibung von Wahrnehmungsqualitäten wie Düften, Geräuschen. Es ist auch das Unverfügbare dieser Erlebnisse, das beim Lesen Reiz ausübt: Sie lassen sich nicht anhalten oder vorspulen. Oft fühlt man sich wie Caspar David Friedrichs Mönch am Meer, so schwärmerisch künden Bücher vom Erleben der Natur und ihrer überwältigenden Größe. Sebastian Kurz sagt ja auch "Schöpfung" dazu.

Stefano Mancuso ist einer der Stars der weniger selbstreflexiven und mehr wissenschaftlichen Schiene des Schreibens über die Natur. Er macht auf ein Missverhältnis aufmerksam: Niemand betrachte die Pflanzen gebührend, dabei sei unser Leben ohne sie unmöglich. Die unglaubliche Reise der Pflanzen erklärt, wie Samen an unwirtlichen Orten gedeihen.

Alternative Lebensmodelle

John Lewis-Stempel hingegen versuchte sich für sein letztes Buch nur von dem zu ernähren, was sein Grundstück hergab. In Im Wald erzählt er nun, wie er ein Jahr lang ohne moderne Maschinen einen Forst bewirtschaftete. Er beschreibt wechselnde Jahreszeiten, Flora und Fauna, erzeugt aber keine falsche Harmonie – es geht um Abläufe im Ökosystem.

So weisen diese Bücher nicht nur auf zu Entdeckendes hin und mahnen, was verlorenzugehen droht, sondern bieten auch alternative Lebensmodelle an.

Der Vorwurf, dass Nature-Writing häufig sein Objekt romantisiere, ist nicht von der Hand zu weisen. Manche Texte scheinen auch nach Schema F zu entstehen. Zumindest der Natur wird das kaum schaden. Werden die Bücher nicht aus hehrem Interesse geschrieben, werden sie doch deshalb gelesen. Und wer die Blume genießt, entwickelt notgedrungen auch ein Sensorium für die Biene. (Michael Wurmitzer, 3.3.2020)