Insgesamt rund 50.000 Personen waren am Freitag von den Quarantänemassnahmen betroffen.

Foto: EPA/NICOLA FOSSELLA

"Nicht mehr als vier Personen im Geschäft erwünscht", heißt es auf diesem Transparent.

Foto: EPA/MATTEO CORNER.jpg

Bei den Apotheken in Norditalien gibt es große Nachfrage nach Schutzmasken.

Foto: EPA / Matteo Corner

Der lombardische Ort Codogno in der Nähe von Mailand glich am Wochenende einer Geisterstadt: Wegen mehrerer Corona-Fälle blieben Ladengeschäfte, Restaurants, Bars und selbst die Kirchen geschlossen. Die Behörden haben sämtliche öffentlichen Veranstaltungen untersagt und ihre Bürger aufgerufen, zu Hause zu bleiben und auf "soziale Kontakte" zu verzichten. Die Bahngesellschaft Trenord ließ ihre Züge in der 15.000 Einwohner zählenden Kleinstadt nicht mehr anhalten. Die Schulen werden nächste Woche geschlossen bleiben, der in einer Woche beginnende Karneval ist abgesagt. "In Codogno ist keine Menschenseele mehr auf der Straße. Es ist, als wären wir in Wuhan", sagte ein Bewohner gegenüber dem italienischen Staatsfernsehen.

Ähnliche Maßnahmen wie in Codogno haben die Behörden auch für neun weitere Städte in der Lombardei erlassen, in denen ebenfalls Personen gemeldet wurden, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Alle betroffenen Ortschaften wurden zur "roten Zone" erklärt. Die Nachbarregion Friaul-Julisch Venetien rief bis zum 31. Juli den Notstand aus.

Von den Quarantänemaßnahmen waren am Freitag insgesamt rund 50.000 Personen betroffen, Tendenz rasch steigend. Die Gesundheitsbehörden der Lombardei haben bis Sonntagvormittag mehr als 100 infizierte Personen gemeldet, 89 davon in der Lombardei. Fälle wurden inzwischen auch in Turin und in Mailand gemeldet. Insgesamt 250 weitere Personen standen als Verdachtsfälle unter Beobachtung.

"Paziente Zero"

Italien hat gestern Samstag den zweiten Todesfall durch das Coronavirus registriert – beim Opfer handelt es sich um eine 75-jährige Italienerin. Am Tag zuvor war ein 78-jähriger Mann an dem Virus verstorben. Der Mann war laut Gesundheitsminister Roberto Speranza wegen einer anderen Krankheit vor zehn Tagen in einem Krankenhaus in der Region Venetien behandelt worden.

Um einer möglichen Hysterie vorzubeugen, wandte sich Regierungschef Giuseppe Conte über das Fernsehen persönlich an die Bürgerinnen und Bürger: "Wir möchten die Bevölkerung beruhigen. Wir haben alle Personen unter Quarantäne gestellt, die mit den infizierten Menschen in Kontakt gekommen sind", der erklärte Premier nach einer Krisensitzung mit Gesundheitsminister Speranza und Zivilschutzchef Angelo Borrelli.

Codogno ist der Wohnort des mutmaßlichen "paziente zero", des ersten Patienten, bei dem in Italien das Coronavirus diagnostiziert wurde. Der 38-jährige Mann befindet sich in der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses. Auch seine schwangere Frau weist Symptome auf. In einem Wettlauf mit der Zeit versuchen die Behörden, sämtliche Personen zu identifizieren, mit denen der erste Patient Kontakt gehabt haben könnte – eine fast unmögliche Aufgabe: Der 38-jährige war ein begeisterter Hobbysportler und hatte, bevor die ersten Symptome der Krankheit auftraten, an mehreren Wettkämpfen teilgenommen. Oft besuchte er auch mit Freunden eine Bar, wo er möglicherweise die Bedienung angesteckt hat. Laut Medienberichten hatte vermutlich auch die verstorbene Frau über mehrere Umwege Kontakt mit dem "paziente zero" gehabt.

Infektionspfad unklar

Ein weiterer möglicher Infektionsherd waren ausgerechnet Arztpraxen und Spitäler gewesen. So wurde gemeldet, dass ein Arzt mit eigener Praxis sowie seine Frau, eine Kinderärztin, an dem Coronavirus erkrankt seien. Die Behörden befürchten, dass sich Dutzende Patienten bei den beiden Medizinern angesteckt haben könnten. Wegen einer möglichen Verbreitung des Coronavirus wurde bereits am Freitagabend ein Krankenhaus in Schiavonia bei Padua geschlossen: 300 Patienten und 150 Ärzte und Krankenpflegerinnen dürfen das Gebäude vorerst nicht verlassen. In dem Krankenhaus waren zuvor die ersten Corona-Fälle der Region Venetien festgestellt worden.

Wie das Virus nach Norditalien gelangte, ist noch unklar. Fest steht nur, dass man den italienischen Behörden dafür einmal kaum Schlamperei wird vorwerfen können: Italien hatte als erstes Land der EU schon im Jänner alle Flüge aus China gestrichen und sich damit den Zorn der chinesischen Führung zugezogen: Die Reaktion sei überzogen, fördere die Hysterie und schade den Wirtschaftsbeziehungen, tönte es aus Peking. Ebenfalls im Jänner hatte die italienische Regierung ein Kreuzfahrtschiff mit 6000 Personen an Bord vor Civitàvecchia blockiert, weil auf dem Schiff zwei Personen erkrankt waren. Erst als sich herausstellte, dass es sich um normale Grippefälle handelte, durften die Passagiere mit einer Verspätung von 24 Stunden an Land gehen. (Dominik Straub aus Rom, 22.2.2020)