Venezianische Partygesellschaft, zu Ölgötzen erstarrt: In der Mitte wartet, blondgelockt, die schöne Portia (Stacyian Jackson) auf den ersehnten Freier.

Foto: Matthias Horn/Burgtheater

Der Rialto-Brücke, dem weltberühmten Wahrzeichen der Handelsstadt Venedig, ist in den Planungswerkstätten der Vereinigten Bühnen übel mitgespielt worden. Im Wiener Burgtheater liegt sie wie einer langer, schwarzer Steg auf der Drehbühne von Muriel Gerstner (Ausstattung): eine ausgerissene Zunge.

Über diese düstere Partymeile, die jeden Schwung vermissen lässt, huschen – die Zähne wie Dolchspitzen entblößt – die "Rich Kids" der "Serenissima", die Bewohner der Stadt Venedig. Lauter schwarzweiß gekleidete Damen und Herren, für die das beschwerliche republikanische Alltagsleben vor allem ein nicht enden wollender, tödlicher Spaß zu sein scheint.

Ein schimmernder Wald aus Silberfäden schließt die Arena ein. Auf ihr als Schauplatz werden gleich zwei Fälle aus dem Tragödienlehrbuch von William Shakespeare verhandelt: parallel, in doppelter Ausfertigung ein- und derselben Beweisführung.

Den "Kaufmann von Venedig" eint mit dem "Othello" nicht nur der Schauplatz der Lagunenstadt. In beiden Dramen muss je ein Außenseiter, nach ausgiebiger Folter und Demütigung durch die christliche Mehrheitsgesellschaft, schmählich besiegt zu Kreuze kriechen (im Falle des Juden Shylock) bzw. sich selbst meucheln (im Falle des schwarzen Feldherren Othello).

Kohle und Asche

Elisabeth Bronfen und Muriel Gerstner, das Autorinnengespann von "This Is Venice", hat den beiden Diskrimierungstechniken von Judenhatz und Schwarzen-Bashing noch einen weiteren stichhaltigen Gesichtspunkt hinzugefügt. Venedig wird von seinem Dogen (Rainer Galke) mit selbstgefälliger Miene zur Prüfstätte frühneuzeitlicher Selbstverwirklichung erklärt.

Jeder kann in dieser verlotterten Spaßgesellschaft tun und lassen, was er will, so lange es Spaß macht. Erlaubt ist, was gefällt, so lange nur genug "Geld locker gemacht" wird. Soweit das RTL-Deutsch dieser doppelten Neuübersetzungsleistung.

Der Zaster also ist das Regulativ. Und während die Kerle miteinander ins Geschäft kommen, Asche verbrennen, den schneidend scharfen Juden Shylock (Itay Tiran) um neue Kohle anpumpen, steht für die Frauen kein Platz parat. Die dürfen höchstens degenerierte Prinzen als Brautwerber empfangen. Und furchterregend ins Parkett starren.

Die passenden Tüllröckchen ziehen sich die Kerle schon selbst über. Und das Traurigste daran: Venedigs Damen, voran die schöne Portia (Stacyian Jackson), wohnen zwar Kanal an Kanal. Sie laufen einander in Sebastian Nüblings hektischer, pointenloser Inszenierung praktisch unausgesetzt über den Weg – das schon deshalb, weil die Drehbühne ohne Unterlass menschliche Fracht befördert.

Sie haben jedoch, wie ganz allgemein die Figuren beider Stücke, voneinander nicht die geringste Ahnung. Wozu dann also dieses aufgeblähte Tragödiendoppel?

In den besten Jahren

Othello (Roland Koch) ist als Feldherr ein Kriegsdienstleister in den sogenannten besten Jahren. Indem er die spröde Patriziertochter Desdemona (Marie-Luise Stockinger) heimlich ehelicht, zieht er nicht nur den Hass Jagos (Norman Hacker) auf sich.

Hacker würgt hochvirtuos am Schimpf des zu kurz gekommenen Wutbürgers. Gelegentliche Einsprüche seines Weibes Emilia (Sylvie Rohrer) schneidet er mit großer Rohheit ab. Mit intrigantem Ekel bewegt er windelweiche Flennbrüder wie den Leutnant Cassio (Mehmet Ateşçi), Desdemonas vermeintlichen Liebhaber, wie Steine auf dem Schachbrett.

Von der schnöden Vergeudung weiblichen Lebens erzählt, unter gelehrtem Hinweis auf Virginia Woolf, allein das Programmbuch. Auf der Bühne droben dreht Othello, der um Desdemonas Taschentuch geprellte Eifersüchtige, aus den Silberschlangen sich und seiner jungen Gefährtin (Stockinger) einen unsichtbaren Strick.

Gewiss ist ihm auch ein bisschen todesfürchtig zumute, vielleicht wie dem Salzburger Jedermann. Schwiegervater Brabantio (Markus Hering) spukt nämlich im Skeletttrikot durch Venedig. Es ist zum Gotterbarmen. Die fürchterliche Intrige um das Pfund Fleisch, das Shylock gegen geliehenes Geld einzutauschen begehrt, wird von Nübling dafür zum Tafelgemälde mit verschleierten Ratsherren stilisiert.

Stochern im Nebel

Ein klarer Fall von karnevalesker Anmaßung. Eine vor Einfallslosigkeit sprühende Stadttheateraufführung schießt mit Papierschlangen auf Shakespeares venezianisches Doppel. Sie stochert im Nebel der Lagunenstadt betriebslustig herum. Sie macht sich mit Schauspielerinnen, die wie in Babylon durcheinanderplappern, eine bleierne Zeit.

"The Theater of Justice", behauptet eine eingeblendete Riesenschrift. Vermurkster kann man es kaum ausdrücken. Die reale Stadt Venedig hat den Karneval soeben abgesagt. Aber die Burgtheater-Besucher haben, pünktlich zu Faschingsschluss, auch nicht mehr zu lachen.

In den eher pflichtschuldigen Applaus mischten sich Missfallenskundgebungen gegen die Regie. (Ronald Pohl, 23.2.2020)