Schwere Themen, dünnes Stimmchen: Sängerin Grimes.

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Frostbeulen für die Kunst, so soll es sein. Der unter Entbehrungen arbeitende Künstler, der irgendwann Anerkennung für seine Arbeit erhält. Ein wenig Klischee muss es im Fall von Claire Elise Boucher geben. Ihre Beulen soll sie sich einst zu Hause in Kanada geholt haben, wo sie, so will es die Legende, in einem Abrisshaus ihrer Mission nachgegangen sein soll.

Unter dem Namen Grimes veröffentlicht die 31-jährige Musikerin seit nun zehn Jahren Alben, eben ist ihr fünftes erschienen. Es heißt Miss Anthropocene. Das ist ein schöner Titel, daraus lässt sich der Misanthrop ebenso destillieren wie der Titel des menschgemachten Erdzeitalterns, die Ära der Klimakrise: das Anthropozän. Das Welt- und Existenzthema ist nun also endgültig im Pop angekommen.

Werdende Mutter

Im Falle von Claire Elise Boucher ist eine Beschäftigung damit dahingehend verständlich, als sie gerade dabei ist, Mutter zu werden. Da fragt nicht nur sie sich, in welche Zukunft sie ihr Kind wohl schickt. Die Ausgangssituation für ihren Nachwuchs scheint finanziell betrachtet eher günstig zu sein. Obwohl noch nicht offiziell bestätigt, geht man davon aus, dass Elon Musk der Vater ist; mit dem Technologie-Unternehmer ist Boucher seit 2018 zusammen.

Die gute Partie

Der Tesla- und Paypal-Gründer wird auf 40 Milliarden Dollar geschätzt. Damit ist er laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes die dreiundzwanzigstbeste Partie, die die Welt zu bieten hat. Die Zeit der unbeheizten Gemäuer dürfte für Boucher vorbei sein, das Anthropozän hingegen nicht.

Diesem Thema nähert sie sich mit düsteren Beats und Minnie-Mouse-Stimme. Miss Anthropocene bemüht sich neuerdings um eine grimmige Ästhetik, bleibt dabei aber im Wesentlichen bei zwei Kunstgriffen hängen: bei vermeintlich schröcklichen Bässen und esoterisch verstrahltem Gesang. Gut, einen dritten täuscht sie kurz an: Der Song Delete Forever ist eine Ballade, die auf der akustischen Gitarre beginnt, während ein Lagerfeuer als Bildschirmschoner den Raum erhellt.

Grimes: Delete Forever.
Grimes

Für den Rest des Albums begibt sie sich in dunkle Keller und eine ungewisse Zukunft. Dort, wo der Blade Runner mit dem Auto durch die Luft düst und die künstliche Intelligenz das reparieren soll, was die menschliche Dummheit seit dem Beginn des industriellen Zeitalters versemmelt hat. Dabei fallen – bei milder Betrachtung – ein paar nette Kleinode ab, wie zum Beispiel das Lied My Name Is Dark.

Grimes: My Name Is Dark – geht so halbwegs.
Grimes

Andererseits klingen die meisten der zehn Songs halt schon auch ziemlich altbacken, wenn man nicht erst gerade vor elf Minuten begonnen hat, sich für Popmusik zu interessieren. Und dann ist da eben Minnie Mouse. Das passte zu dem Quietschenten-Pop, den Grimes auf früheren Alben produziert hat. Ob dieses Organ für ach so schwere Inhalte der adäquate Übermittler ist? Eher nicht. Miss Anthropocene ist also bestenfalls als Phänomen interessant, nicht aufgrund seiner musikalischen Ergebnisse. Die sind eher Meterware. (Karl Fluch, 24.2.2020)