Desinfektion vor der Shincheonji-Kirche im südkoreanischen Daegu. Mehr als ein Drittel aller Fälle in Südkorea fand laut Behörden im Umkreis der Sekte statt. Sie ist auch in Österreich aktiv.

Foto: APA / AFP / Jung Yeon-je

Wien – "Diese Krankheit ist das Werk des Teufels", schreibt Lee Man-hee in einer Nachricht an seine mehr als 200.000 Anhänger. "Er ist darauf versessen, das schnelle Wachstum der Shinjeonchji zu stoppen." Die Krankheit, das ist Covid-19, Lungenbeschwerden, die von Sars-CoV-2, dem neuartigen Coronavirus, ausgelöst werden. Shinjeonchji, das ist jene Sekte aus Südkorea, die im Zentrum des dortigen Krankheitsausbruchs steht. Lee ist ihr Anführer, der 88-Jährige wird unter Gläubigen als unsterblich betrachtet. Und der Wachstumseifer seiner Kirche ist in der Tat beträchtlich, auch in Österreich.

Aber zuerst zurück nach Korea: 329 der 763 bis Montagmittag bestätigten Infektionsfälle betrafen dort laut Behörden Mitglieder der Kirche und deren Angehörige, 111 weitere ein Spital für psychisch Erkrankte, in dessen Nähe vor drei Wochen das Begräbnis von Lees Bruder stattfand. Erst spät hat die Sekte auf Anforderungen der Behörden reagiert, die Daten jener rund tausend Personen weiterzugeben, die vor einigen Wochen bei einer Messe in einer Megachurch in der Stadt Daegu anwesend waren. Dort soll eine mittlerweile als "Patientin 31" bekannte Person dutzende Menschen angesteckt haben. Schon 9.300 Gläubige sind in Zwangsquarantäne, 200 mögliche Infizierte werden von den Behörden noch immer gesucht.

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Viele Menschen in geschlossenen Räumen

Die Episode rückt die Frage der Ansteckungsgefahren bei religiösen Zeremonien ins Zentrum. Denn nicht nur in Korea, sondern auch in Singapur stehen mehrere Freikirchen mit der Ausbreitung von Sars-CoV-2 in Verbindung. Dort steckten sich mehrere Menschen offenbar bei Versammlungen der "Grace Assembly of God" und der "Life Church and Missions" an – ein Drittel aller Infektionen fand auch im Stadtstaat bei den beiden evangelikalen Vereinigungen statt.

Gibt es etwas an den religiösen Praktiken evangelikaler Kirchen, das die Ausbreitung des Virus womöglich begünstigt? Christoph Steininger, Infektiologe an der Med-Uni Wien, sieht durch die Versammlung großer Gruppen ein Grundrisiko gegeben. "Es sind viele Menschen gemeinsam in einem geschlossenen Raum – da kann es natürlich schon sein, dass es leichter zu Ansteckungen kommt", sagt er zum STANDARD. Und auf eine weitere Möglichkeit weist er hin: "Es könnte auch sein, dass kranke Menschen dort eher hingehen, weil sie sich von der Religion Trost erhoffen."

Eng aneinandersitzen und laut Preisungen singen

Trost oder nicht: Bei der Shinjeonchji-Kirche ist die Anwesenheit beim Gottesdienst ohnehin Pflicht. Betende sitzen dabei eng zusammen, die Regeln sehen es vor, "eng aneinander und Schulter an Schulter" zu beten und dabei "so laut wie möglich zu singen und Gott zu preisen", beschreibt die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap den Ablauf der Messen. Und was dazukommt, sagt Ulrike Schiesser, Psychologin bei der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien: "Sie haben die Idee, dass man nicht krank wird, wenn man ein gutes Gemeindemitglied ist." Zum Arzt gingen viele daher nur, wenn es gar nicht mehr anders gehe. Sie beschreibt die Bibelkreise als "sehr innig", von Teilnehmern werde erwartet, bei jedem einzelnen davon dabei zu sein – auch wenn sie krank sind.

In Österreich ist Shinjeonchji übrigens ebenfalls aktiv: Genaue Zahlen lassen sich nicht nennen, sagt Schiesser, weil die Mitglieder sich meist nicht als Anhänger der Sekte zu erkennen geben, sondern sich etwa in Bibelkreise anderer Kirchen schummeln. Klar sei aber, dass die Missionarinnen und Missionare in den vergangenen Jahren mit großem Eifer zu Werke gegangen seien. "Sie unterwandern Freikirchen, gehen in Gottesdienste, schreiben sich in Bibelkurse ein, sprechen Leute auf der Straße an", schildert sie. Irgendwann werde man dann in Bibellesekreise eingeladen und enger an die Gemeinschaft gebunden. Dass sie von Shinjeonchji sind, sagen die Missionierenden nie. "Insgesamt ist es eine Gruppe, die uns als sehr problematisch aufgefallen ist." Der Kontakt nach Korea sei eng.

Weihwasser ist keine hygienische Flüssigkeit

Aus dem Ruf, den die Kirche deshalb in Teilen der südkoreanischen Gesellschaft hat, ergibt sich aber ein zweites Risiko: Mitglieder sind dem Staat gegenüber misstrauisch, sie outen sich auch Beamten gegenüber ungern. "Viele haben die starke Überzeugung, dass sie verfolgt werden", sagt Schiesser. Es ist denkbar, dass die Suche nach Infizierten auch deshalb nur schleppend vorangeht. Eine derzeit in Südkorea kursierende Petition, in der mittlerweile 500.000 Menschen vom Staat die Zerschlagung der Sekte fordern, sei da vermutlich kontraproduktiv. "Das wird das Gruppengefühl und die Geheimhaltung noch einmal anheizen."

Das Coronavirus freilich braucht solche Strukturen zur Verbreitung nicht zwingend, auch wenn die Religion im Zentrum mancher Sorgen steht. Eine betrifft etwa das Weihwasser in katholischen Kirchen. Könnte auch das zur Ansteckung beitragen? "Grundsätzlich", sagt Infektiologe Steininger, "ist Weihwasser sicher keine hygienische Flüssigkeit, weil viele Leute ihre Hand eintauchen und sie dann zu Gesicht und Brust führen". Ob das Sars-CoV-2-Virus darin aktiv bleiben könne, wisse man noch nicht, man könne es aber auch nicht ausschließen. "Grundsätzlich wäre eine Messe, wo viele Leute auf engem Raum beisammen sind, aber der wesentlich relevantere Übertragungsweg." (Manuel Escher, 24.2.2020)