Drogenkranke konnten bisher ihre gebrauchten Spritzen nur in der einstigen Beratungsstelle Ganslwirt und deren Nachfolger, dem Jedmayer, tauschen.

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Wien – Wie eine unendliche Geschichte scheint das Streitthema Spritzentausch. Immer wieder wettert die eine oder andere Partei dagegen, während Experten mehr Angebote für suchtkranke Menschen fordern. Nun gibt es einen neuen Schritt in Richtung Liberalisierung: die Öffnung von Wiener Apotheken für den kostenlosen anonymen Spritzentausch.

Seit kurzem kooperiert die Sucht- und Drogenkoordination mit der Wiener Apothekerkammer und testet das Projekt in zwei Apotheken – einer im zehnten und einer im 20. Bezirk. Das soll vor allem das Suchthilfezentrum Jedmayer am Gumpendorfer Gürtel bei der U6-Station entlasten und ein diversifiziertes Angebot offerieren. Kosten entstehen für die zwei Apotheken in Favoriten und der Brigittenau keine zusätzlichen, Spritzen holen Mitarbeiter der Suchthilfe Wien.

Abseits vom Jedmayer ist der Spritzentausch bisher nur in der Suchteinrichtung Change und hinter vorgehaltener Hand in der Wiener Wohnungslosenhilfe möglich. Großtauscher dürfen aktuell ausschließlich das Angebot am Gumpendorfer Gürtel in Anspruch nehmen. Bis zu zehn Spritzen auf einmal können Suchtkranke nun in Apotheken wechseln. "Wir werden das über das Jahr ausbauen auf fünf Apotheken und weiter evaluieren", so Drogenkoordinator Ewald Lochner. Bisher habe es keine negativen Rückmeldungen gegeben.

"Wir merken, dass wir entlastet werden", sagt Roland Reithofer, Geschäftsführer der Suchthilfe Wien. Das neue Angebot werde von stabilen Konsumenten genutzt, die den Kontakt zur Szene rund um Jedmayer und Co meiden. Das Risiko, dass Sozialarbeiter jetzt den Kontakt zu Süchtigen verlieren könnten, sieht er – mit Blick auf die ausgewerteten Zahlen – nicht.

Vorurteile abbauen

Die Öffnung der Apotheken sei laut Reithofer zu begrüßen, weil man so Vorurteile abbauen könne. Auf Stigmatisierung von Menschen – zum Beispiel, weil sie Spritzen tauschen – würden häufig gesundheitliche Schäden folgen. Eine 2013 veröffentliche Studie schreibt Stigmatisierten eine deutlich geringere Lebenserwartung zu. Das liegt an den Folgeerscheinungen negativer Stresshormone, die durch Scham- und Schuldgefühle freigesetzt werden.

Zusätzlich erschweren Stigmata den Zugang zum Gesundheitswesen. Diese und noch mehr Faktoren können dazu führen, dass betroffene Menschen bis zu 20 Jahre früher sterben. "Hier einen Weg einzuschlagen, auf dem der Spritzentausch so normal wie möglich wird, rettet Leben."

2018 haben suchtkranke Menschen mehr als drei Millionen Spritzen im Jedmayer ausgewechselt. Auch wenn die Zahlen erstmals sinken, sind das mehr als 9000 Spritzen pro Tag. Das rührt vor allem daher, dass weder im Burgenland noch in Niederösterreich ein Spritzentausch möglich ist. Laut Schätzungen von Drogenkoordinator Lochner stammt rund ein Drittel der in Wien abgegeben Spritzen aus Niederösterreich. Finanzielle Unterstützung aus St. Pölten gebe es dafür nicht.

"Wir versuchen seit langer Zeit, mit der zuständigen Drogenkoordination in Niederösterreich Gespräche zu führen. Fachlich sind wir da auf einer Ebene", so Lochner. Aber aus dem Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) komme nichts.

ÖVP wartet Vorschlag ab

Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) hingegen sieht die Notwendigkeit und will baldmöglich einen Spritzentausch für Suchtkranke in Niederösterreich anbieten. Die Landes-ÖVP will den Vorschlag abwarten, dann werde man diesen gemeinsam besprechen, heißt es. (Thomas Winkelmüller, 24.2.2020)