Wie finanziert sich öffentlicher Rundfunk in Europa?

grafik: STANDARD

Das Ibiza-Video mit Heinz-Christian Straches Ideen für eine Medienlandschaft nach dem Vorbild von Viktor Orbáns Ungarn ließ der FPÖ als Regierungspartei keine Zeit, die GIS-Gebühren abzuschaffen. Zu jäh endete damit die Koalition mit der ÖVP. Auf das emotionsgeladene Thema setzen die Freiheitlichen nun eben wieder in der Oppositionsrolle. Mit einer "Informationskampagne", wie man ohne GIS fernsieht, auch ORF-Inhalte. Und unter www.wegmitgis.at mit einer Onlinepetition. www.weg-mit-der-gis.at hat sich die ÖVP Neusiedl schon 2016 gesichert.

Mit der ÖVP war das Ende der GIS vereinbart, sagt FPÖ-Chef Norbert Hofer. Im Regierungsprogramm stand nichts davon. Der damalige Medienminister Gernot Blümel ließ Ideen und Verständnis für eine Finanzierung des ORF aus dem Staatsbudget erkennen. Lautstark protestierten im Frühjahr 2019 aber sieben der neun Bundesländer, die auf die ORF-Programmentgelte Landesabgaben aufschlagen – rund 150 Millionen Euro pro Jahr bei 640 Millionen für den ORF. Heute ist Blümel Finanzminister und müsste selbst nach den Mitteln für eine Budgetfinanzierung des ORF suchen.

Tipps zur GIS-Vermeidung

Theoretisch: Mit den Grünen hat die ÖVP eine "unabhängige Finanzierung" des ORF im offiziellen Teil des Koalitionsprogramms vereinbart. Für die ÖVP bedeutet das: weiterhin GIS. Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger hofft – mit SPÖ und inzwischen Neos – auf eine Haushaltsabgabe.

Deutschland verlangt seit 2013 einen solchen "Rundfunkbeitrag" unabhängig vom Empfang, in der Schweiz ist die Haushaltsabgabe beschlossen und von einer Volksabstimmung 2018 bestätigt. In Österreich darf die GIS nach geltendem Recht nur Programmentgelt und Gebühren bei jenen einheben, die für Rundfunk empfangsbereite Geräte daheim haben, also für klassisches TV und Radio. Wer ohne TV-Karte oder -Modul streamt, auch ORF-Sendungen etwa aus dessen TVthek, muss bisher keine GIS entrichten.

Die GIS hat nach eigenen Angaben bisher keine Daten, wie viele Menschen diese – aus ORF-Sicht – "Streaminglücke" nützen. 2019 berichteten ORF und GIS von so vielen GIS-Anmeldungen wie nie, womöglich auch zurückzuführen auf mehr und kleinere Haushalte. Die Schwarzseherquote – Rundfunknutzung ohne Zahlen – beziffert die GIS mit (weiterhin) rund vier Prozent der Haushalte.

Die FPÖ gibt nun Tipps zur GIS-Vermeidung, sie verweist auf Fernseher ohne Tuner und auf Services, diesen ausbauen zu lassen. Und sie drängt weiter auf die Abschaffung der Rundfunkgebühren, mit ihrer Onlinepetition, mit parlamentarischen Anträgen etwa in Budgetberatungen im Nationalrat, auch ein Volksbegehren nennt FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz für "möglich". Wenn die Regierung der Forderung nicht nachkommt.

2018 rief die Christliche Partei Österreichs (CPÖ) zum Volksbegehren, rund 320.000 Menschen unterzeichneten damals. Das Begehren wurde im Nationalrat behandelt, weil mehr als 100.000 es unterstützten, und schubladisiert.

Wie würde die FPÖ den ORF heute finanzieren? Ein Fördermodell für öffentlich-rechtliche Inhalte auf allen Sendern. Und Parteichef Hofer ist für ein ORF-"Abomodell" – wer will, zahlt. Der ORF scheiterte zuletzt mit Flimmit als kommerziellem Bezahlangebot; künftig darf er Flimmit auch mit Gebühren finanzieren.

Boris Johnsons Abomodell

Öffentlich-rechtlichen Rundfunk allein als Abomodell gibt es bisher nicht in Europa. Grundidee von BBC, ARD und Co ist ein von wirtschaftlichem und staatlichem Einfluss unabhängiges Angebot in Information, Bildung und Unterhaltung; in der Praxis ist das erfahrungsgemäß schwierig. Der konservative britische Premier Boris Johnson ließ gerade durchsickern, er wolle die Gebühren für die BBC abschaffen. Das große historische Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa solle sich künftig wie Netflix aus Abonnements finanzieren. Die BBC solle dafür ihr Angebot drastisch reduzieren, etwa einen Großteil ihrer Radioprogramme abgeben. Das Vorhaben wurde über die konservative Sunday Times lanciert. Die Times-Gruppe von Fox-News-Eigner Rupert Murdoch startet gerade ein Times-Radioprogramm.

Premier Johnson verweigerte sich im Wahlkampf 2019 kritischen Interviews und Konfrontationen in der BBC. Er begann als Premier, den Zugang zu Briefings einzuschränken, untersagt Ministern etwa Auftritte in Today im BBC-Radio 4 und Hintergrundgespräche mit Journalisten und setzt selbst auf seinen Hausfotografen. Zentralisierte Message-Control attestierte ihm gerade der Guardian-Kolumnist Roy Greenslade.

Der Begriff Message-Control prägte schon die erste Kanzlerschaft von Sebastian Kurz mit der FPÖ. FPÖ wie ÖVP setzen stark auf direkte Kommunikation über soziale Medien und eigene Medienkanäle. FPÖ-TV fehlte naturgemäß nicht bei Hofers GIS-Ansagen im "FPÖ-Medienzentrum".

An einer wesentlichen Position im ORF aus türkis-blauen Zeiten hängt Hofer dennoch: Norbert Steger bleibe Stiftungsrat der FPÖ – ohne ihn würden die Freiheitlichen ja den Vorsitz im ORF-Stiftungsrat verlieren, sagt Hofer.

FPÖ-Chef Norbert Hofer wünscht sich ein Ende der GIS.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

GIS wird spätestens 2022 neu festgelegt

Höhere Rundfunkgebühren pro Jahr gibt es nur in der Schweiz, Dänemark und Norwegen – wenn man jene rund 33 Prozent mitzählt, die Bund und Länder auf die ORF-Entgelte aufschlagen. Die öffentlichen Aufwendungen für den Rundfunk, umgelegt auf die Bevölkerung, zählen in Österreich zu den höchsten im Vergleich der EBU-Staaten (siehe Grafik). Die staatlichen Aufschläge gibt es in der beträchtlichen Höhe nur noch in Dänemark.

In Deutschland und der Schweiz wurden die Gebühren mit der Umstellung auf eine Abgabe für alle Haushalte billiger. Italien konnte die hohen Schwarzseherraten 2016 deutlich reduzieren, nun heben Stromanbieter die Rundfunkgebühren ein. Zweimal schon wurde die Höhe der Gebühren seither um insgesamt gut ein Fünftel gekürzt. Die GIS wird spätestens 2022 neu festgesetzt.

Laut Europaverband der Öffi-Sender EBU sind die Länder schon in der Minderheit, die öffentlichen Rundfunk noch überwiegend mit Gebühren finanzieren (Die Daten beziehen sich auf 48 Länder in Europa und um das Mittelmeer. Norwegen hat die Gebühr zu Jahresbeginn gestrichen, Finnland 2013 und Schweden 2019, Dänemark hat sich das für 2022 vorgenommen. Sie alle stellen oder stellten auf Steuern um – in Dänemark und Norwegen fließen sie ins Staatsbudget und von dort an den Rundfunk. In Finnland und Schweden an Fonds außerhalb des Staatsbudgets. (Harald Fidler, 25.2.2020)