Wenn wir eine Bewegung ausführen, kann man eine erhöhnte Gehirnaktivität messen, das sogenannte Bereitschaftspotenzial. In den 1980er Jahren schlug eine Beobachtung des US-amerikanischen Physiologen Benjamin Libet hohe Wellen: Seine Experimente zeigten, dass dieses Potenzial bereits 350 Millisekunden bevor wir uns zu der Bewegung entschließen messbar ist. Hat unser Gehirn längst entschieden, bevor es uns bewusst wird? Haben wir keinen freien Willen?

Entscheiden unsere Gehirnzellen für uns?
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Die neurobiologische Forschung hat inzwischen Entwarnung gegeben. Offenbar kann man das Bereitschaftspotenzial auch messen, wenn es gar keine Bewegung gibt. Denn Experimente zeigten, dass man die Entscheidung zurück ziehen kann, nachdem man sie getroffen hat. Wir sind unserem Gehirn also nicht ausgeliefert, sondern können selbst entscheiden.

Besser vorher tief durchatmen

Stattdessen deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass das gemessene Potenzial eher etwas mit einer inneren Zeitmessung zu tun hat oder von anderen Faktoren bestimmt wird. Damit beschäftigte sich auch eine aktuelle Studie aus der Schweiz, die Anfang Februar im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht wurde. Darin untersuchte ein Forscherteam um Hyeong-Dong Park von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), ob es einen Zusammenhang zwischen Bewegung, Bereitschaftspotenzial und rhythmischen Körperfunktionen gibt.

Die Studienteilnehmer wurden an ein Elektroenzephalogramm (EEG) angeschlossen, um ihre Gehirnaktivität zu messen, während sie auf einen Knopf drückten. Gleichzeitig wurden Herzschlag und Atemrhythmus gemessen. Dabei zeigte sich, das die Bewegung der Teilnehmer, also das Drücken des Knopfes, mit der Atmung zusammenhing.

Video: Hauptautor Hyeong-Dong Park und Olaf Blanke, Leiter des Labors für Kognitive Neurowissenschaft am EPFL, erklären ihre Studie.
EPFL

Entschieden die Probanden selbst, wann sie den Knopf drücken wollten, geschah dies meist am Ende des Ausatmens, also kurz vor dem erneuten Einatmen. Dieser Zusammenhang verschwand, wenn der Zeitpunkt der Bewegung durch ein Signal vorgegeben wurde und nicht selbstbestimmt war. Auch das gemessene Bereitschaftspotenzial war unterschiedlich stark in Abhängigkeit von den Phasen der Atmung. Keinen Zusammenhang gab es mit dem Rhythmus des Herzschlags.

Konkurrenz der Bewegungen

Die Wissenschafter schließen aus diesen Ergebnissen, dass das Bereitschaftspotenzial eher Änderungen in einer Hintergrundaktivität der Gehirnzellen darstellt, die von anderen Körperfunktionen abhängig ist. Auch könnte es sich um eine Konkurrenz verschiedener Bewegungsprogramme handeln: Während der Steuerung der Atemmuskulatur werde die Auslösung anderer Bewegungen verhindert.

Das Bereitschaftspotenzial wäre demnach kein vom Gehirn vorgegebener Auslöser einer Handlung, sondern gleicht unser Verhalten dem Rhythmus unseres Körpers an. Die Entscheidung müssen wir immer noch selbst treffen. (Friederike Schlumm, 29.2.2020)