Abgeriegelte Städte in der Lombardei, Hamsterkäufe in Supermärkten und ein Zug aus Italien, der am Brenner wegen Coronavirus-Verdachts gestoppt wird: Medizinische Laien können gar nicht anders, als in Panik zu verfallen. Wann wird das Virus Österreich treffen und hier alles lahmlegen? Das macht Angst und weckt Schreckensfantasien: Wenn Regierungen zu so drastischen Maßnahmen greifen, dann muss dieses Virus wirklich gefährlich sein.

Das wahre Dilemma an der aktuellen Coronavirus-Krise ist aber tatsächlich das Nichtwissen, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen geht es um das eigene, das persönliche Wissen, was Viren betrifft. Die wenigsten sind sich dessen bewusst, dass Viren sozusagen Grundausstattung des Lebens sind. Einige können krank machen. Sars-CoV-2, so der offizielle Name des Virus, ist – so schätzen Virologen – in etwa so ansteckend wie Influenza. Wegen der Grippe werden hierzulande keine Ausgangssperren verhängt.

Über die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 gibt es derzeit nur Mutmaßungen.
Foto: EPA/ANDREA FASANI

Und auch die Wissenschaft tappt derzeit im Dunkeln. Kein seriöser Experte spricht einstweilen von einer Pandemie, aber keiner kann Entwarnung geben. Man weiß einfach nicht, wie sich Sars-CoV-2 genau entwickelt, wann jemand ansteckend ist, wie man sich davor am besten schützt und wie schlimm die individuellen Folgen von Infektionen sind. Erst in ein paar Monaten werden die Virologen konkrete und wissenschaftlich fundierte Fakten präsentieren können – und dann vielleicht auch wirksame Gegenmaßnahmen.

Schlimmstmögliches Szenario

Doch dies ist nicht das einzige Dilemma. Wenn die Virologen nicht vorhersagen können, was genau passieren wird, wie sollten es die Behörden dann wissen, die sich doch genau auf deren Expertise verlassen, um Entscheidungen zur Eindämmung zu treffen? Und deshalb tun sie rund um den Globus das einzig Richtige: Sie gehen vom schlimmstmöglichen Szenario aus. Das müssen sie auch, denn es ist schließlich ihre Aufgabe, die Bürger auch vor Bedrohungen zu schützen. Vor allem will man vermeiden, dass sich Sars-CoV-2 als neuer globaler Erreger wie die Influenza festsetzt. Würden sie die Gefahr unterschätzen, könnten sie irgendwann zur Verantwortung gezogen werden. Ergo: Mehr Vorsicht ist besser als weniger. Deshalb haben Maßnahmen wie etwa eine Quarantäne oder das Absagen von Großveranstaltungen auch Sinn. Sie verhindern, dass sich Sars-CoV-2 per Tröpfcheninfektion gut von Mensch zu Mensch verbreitet.

Kein Grund zur Panik! Ein Erklärvideo, das die Gefahr des neuartigen Coronavirus relativiert.
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Doch, und das ist vielleicht die Crux an der Sache, all diese dramatischen Schritte sagen nichts über die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 aus. Über die Tödlichkeit gibt es derzeit nur Mutmaßungen. Es könnte sehr gut sein, dass Sars-CoV-2 für den Erkrankten nicht gefährlicher als der gewöhnliche Grippeerreger ist. Auch an Influenza sterben Menschen, trotzdem ist sie kaum jemandem eine Panik oder eine Impfung wert. Doch genau dieses Nichtwissen macht den Menschen eher Angst, als dass es sie beruhigt.

Die Coronavirus-Krise hat insofern längst Eigendynamik entwickelt. Faktenwissen konkurriert mit Urängsten, und diese sind im Zweifel stärker als die Vernunft. Österreichs Regierung hält dabei die richtige Balance: Die Minister sind besorgt, aber unaufgeregt. Noch ist Sars-CoV-2 in Österreich nicht angekommen. Zwar muss man damit rechnen, und die Behörden scheinen gerüstet. Doch selbst wenn der erste Fall hierzulande auftritt, wäre Panik die falsche Reaktion. (Karin Pollack, 24.2.2020)