Kopfschmerzen gehören für viele Menschen zum Alltag. Als stressbedingte Spannungskopfschmerzen oder als Symptom einer Krankheit haben die meisten von uns Erfahrungen damit. Doch einer von fünf Menschen weltweit ist zumindest vorübergehend von Migräne betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Dieser spezielle Kopfschmerz tritt häufig einseitig auf, ist pulsierend oder pochend und im Vergleich zu anderen Kopfschmerzen besonders stark. Wer mit solchen Symptomen zu kämpfen hat, sollte sie von einem Experten abklären lassen.

Migräne kann eine einschränkende Belastung sein.
Foto: imago/Bernd Friedel

"Besonders wichtig für die Diagnose von Migräne sind Begleiterscheinungen wie Appetitlosigkeit und Übelkeit sowie eine erhöhte Empfindlichkeit für Licht aber auch Geruch", sagt Nadine Vavra, Fachärztin für Neurologie in Wien. Sie betont außerdem, dass bei Migräne bereits leichte Bewegungen wie Treppensteigen zu einer Zunahme der Kopfschmerzen führen können.

Das Migräne-Gehirn ist anders

Wissenschafter versuchen schon lange, der Ursache und dem Verlauf von Migräneanfällen auf den Grund zu gehen. Eine Studie aus England, die kürzlich im Wissenschaftsjournal "Neuroimage: Clinical" veröffentlicht wurde, trägt dazu bei, die Symptomatik ein wenig besser zu verstehen.

Das Gehirn von Menschen mit Migräne unterscheidet sich von jenem von Menschen ohne Migräne dadurch, dass es übererregbar ist. Das heißt, die Nervenzellen zeigen eine stärkere Aktivität, besonders als Reaktion auf äußere Reize. Diese erhöhte Empfindlichkeit tritt nicht nur, wie oben beschrieben, während eines Anfalls auf. Auch außerhalb der Kopfschmerz-Episoden reagieren die Gehirne von Migränepatienten stärker auf diese Reize.

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Eine EEG-Haube mit Elektroden-Anschlüssen.
Foto: Reuters/Michaela Rehle

Dies lässt sich im Elektroenzephalogramm (EEG) messen. Beim EEG zeichnen Elektroden, die auf der Kopfhaut platziert werden, Gehirnströme auf, die durch die koordinierte Aktivität der Gehirnzellen entstehen. Das Wellenmuster, das an bestimmten Stellen gemessen werden kann, gibt Aufschluss darüber, wie das Gehirn auf bestimmte äußere Reize reagiert. Menschen, die an Migräne leiden, reagieren auf Lichtreize mit stärkeren Ausschlägen in den EEG-Wellen, auch wenn sie gerade keinen Migräneanfall haben.

Flackernde Streifenmuster

Durch diese Übererregbarkeit des Gehirns können normale Lichtreize bereits Unbehagen auslösen. Besonders Muster wie schmale Streifen oder Schachbrettmuster können visuelle Effekte wie das Verschwimmen oder Flackern des Musters, fälschlich wahrgenommene Bewegung des Objekts oder Farbeffekte hervorrufen. Dies kann wiederum zu Unwohlsein, Übelkeit oder Kopfschmerz führen.

In der vorliegenden Studie zeigten die Forscher den Probandinnen Streifenmuster unterschiedlicher Breite, während gleichzeitig die EEG-Muster in den Bereichen der Gehirnrinde gemessen wurden, die für die Verarbeitung von Lichtreizen verantwortlich sind. Wie zu erwarten war, zeigten die Gehirne der Migränepatientinnen eine höhere Aktivität als die der Kontrollpersonen, die nach eigenen Angaben nicht an Migräne litten. Auch die berichteten Beschwerden waren stärker.

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Dieses Muster bewegt sich nicht. Optische Täuschungen können absichtlich hervorgerufen werden, überaktive Gehirne kreieren sie aber auch ohne Absicht.
Foto: AP/Jens Meyer

Jedoch gab es auch in der Kontrollgruppe Frauen, die über optische Täuschungen oder Unwohlsein klagten. Auch bei ihnen wurde eine Übererregbarkeit des Gehirns gemessen, die jedoch geringer ausfiel als bei den Migränepatientinnen. Darüber hinaus gab es auch Unterschiede zwischen den Probandinnen, die an Migräne mit Aura litten, gegenüber jenen ohne Aura. Unter Aura versteht man Symptome wie Einschränkungen der Sicht oder Zickzackmuster, Kribbeln oder Taubheitsgefühle, Symptome, die meist bereits vor dem Kopfschmerz einsetzen.

Wenn die Balance kippt

Ein Vergleich der Wellenmuster legte auch die Annahme nahe, dass die Überaktivität in verschiedenen Schritten der Verarbeitung eine Rolle spielt. Migränepatienten scheinen visuelle Reize nicht nur schlechter zu filtern, sondern könnten auch Unterschiede bei Aufmerksamkeit und Bestimmung der Reize zeigen. Dies könnte beispielsweise dazu führen, dass sie sich leichter durch Geschehnisse in ihrer Umgebung ablenken lassen.

Unser Körper ist keine Maschine, die auf eine bestimmte Weise funktionieren muss. In der Biologie bewegt sich vieles in einem Spektrum. Auch in unserem Gehirn gibt es verschiedene Mechanismen, die Aktivität und Inhibition (Unterdrückung von Nervenaktivität) ausbalancieren.

Eine hohe Aufmerksamkeit war in der Menschheitsgeschichte sicher von Vorteil. Wer auf das kleinste Rascheln im Gebüsch reagierte, entkam dem Tiger schneller als derjenige, der sich dadurch nicht ablenken ließ. Wenn die Balance der Reizwahrnehmung jedoch ins Kippen gerät, kann dieser Vorteil zum Nachteil werden. Es entstehen Störungen der Gehirnfunktion, die wir als Krankheiten wie Migräne wahrnehmen.

Auslöser erkennen und vermeiden

Auch wenn die Ursachen und vor allem die Therapiemöglichkeiten uns heute noch vor viele Fragen stellen, ist Migräne kein unlösbares Schicksal. Wichtig ist es, die eigenen Symptome zu verstehen. Nadine Vavra empfiehlt ihren Patienten beispielsweise, ein Kopfschmerztagebuch zu führen. "Dabei geht es vor allem darum, Selbstbeobachtung zu üben und die Begleitsymptome zu dokumentieren." Auf sogenannte Triggerfaktoren sollte man sich allerdings nicht versteifen, da diese zwar die Kopfschmerzen ins Rollen bringen können, aber nicht unbedingt deren Ursache sind. Eine Migräne sei wie eine Regentonne, die immer voller und voller werde. Welcher Faktor der Tropfen ist, der sie zum Überlaufen bringt, kann schwer vorhergesagt werden.

Das eigene Gehirn zu verstehen und Begleitsymptome zu erkennen hilft im Umgang mit Migräne.
Foto: shutterstock/Lia Koltyrina

Ziel der Therapie ist es daher, die Lebensumstände anzupassen, sodass das Risiko von Migräneattacken reduziert wird. Dabei seien vorbeugend vor allem ein regelmäßiger Schlaf-wach-Rhythmus sowie regelmäßige Mahlzeiten wichtig. "Ein schwankender Blutzuckerspiegel, wie er durch Diätprogramme wie Intervallfasten hervorgerufen wird, sollte vermieden werden", sagt die Expertin. Zusätzlich können moderater Ausdauersport, Muskelentspannungsprogramme und Magnesium vorbeugend helfen.

Im Akutfall sei es vor allem wichtig, sich der Reizüberflutung zu entziehen und einen ruhigen Ort aufzusuchen. Auch sollte man nicht davor zurückschrecken, passende Medikamente richtig dosiert einzunehmen. "Es ist besser, die Attacke früh und effektiv zu bekämpfen, anstatt im späteren Verlauf noch mehr Schmerzmittel einsetzen zu müssen", rät Vavra. Die Einnahme sollte dabei aber ein Maximum von zehn Tagen pro Monat nicht überschreiten. Auch dann sollte in jedem Fall ein Arzt aufgesucht werden. (Friederike Schlumm, 2.3.2020)