In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Seit es auf der Welt große Industriefirmen gibt, gilt eine Regel: Je mehr sie produzieren, desto mehr Ressourcen verbrauchen sie auch und desto mehr verschmutzen sie Umwelt, Luft, Flüsse und Böden – bisher. Denn der Betriebswirt Andrew McAfee dokumentiert in seinem Buch More From Less, dass sich das seit geraumer Zeit ändert. Eine kleine Revolution – aber kaum jemand redet darüber. McAfee forscht am MIT in den USA.

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Mensch und Natur in Einklang? Noch nicht, sagt der Betriebswirt Andrew McAfee.
Foto: Imago Images / Arnulf Hettrich

STANDARD: Viele Bücher über den Planeten und die Umwelt lesen sich apokalyptisch. Ihres ist ganz anders und optimistisch. Warum?

McAfee: Wenn man sich mit der globalen Erwärmung auseinandersetzt, schreibt man ein Buch über Probleme. Wir tun nicht genug, und das kann schlecht oder katastrophal ausgehen. Aber die Erwärmung ist nicht die einzige Umweltfrage. Wenn man sich mit anderen beschäftigt, merkt man, dass es Grund für Optimismus gibt. Wir haben gelernt, unseren Lebensstandard zu erhöhen und gleichzeitig weniger Ressourcen zu verbrauchen und die Umwelt nicht zu verschmutzen. Luft, Wasser, Böden werden sauberer in vielen Ländern. Wir passen besser auf fragile Ökosysteme auf und schützen gefährdete Spezies vor dem Aussterben. Das sind alles großartige Nachrichten.

STANDARD: Das ist für viele überraschend. Wie messen Sie das?

McAfee: Auch für mich. Bevor ich meine Recherche startete, wusste ich davon nichts. Ich beziehe mich auf die USA, dort kenne ich die Lage am besten, und es gibt sehr gute Daten. Wir nutzen Jahr für Jahr weniger Ressourcen, weniger Papier, Holz, Dünger, Wasser, Metalle, Mineralien und weniger Land, und das, obwohl die Wirtschaft und die Zahl der Menschen wachsen. Es gibt nicht überall gute Daten, aber ich glaube, dass dieser Trend für die meisten reichen Länder gilt. Die Luft in vielen Städten ist sauberer, obwohl es mehr Autos und Fabriken gibt. Unsere Seen und Flüsse sind sauberer. Tiere wie Wale, die vom Aussterben bedroht waren, wachsen in ihrer Zahl.

STANDARD: Hängt der sinkende Ressourcenverbrauch mit der Globalisierung zusammen? Es wird viel aus Asien importiert.

McAfee: Das trägt dazu bei, aber nur ein wenig. Die Daten, die es gibt, rechnen Importe von Rohmaterialien ein. Was Sie ansprechen – importierte fertige Produkte –, das kann niemand genau messen. Aber der große Importschub begann erst in den 2000ern, als China der Welthandelsorganisation beitrat. Der Trend, von dem ich spreche, hat schon in den 1970ern begonnen. Oder die US-Landwirtschaft: Es wird mehr Nahrung produziert auf weniger Land mit weniger Dünger und Wasser. Die Produktivität ist gestiegen, und da spielt Asien keine Rolle. Auch der Energie- und Stromverbrauch stagnieren seit einem Jahrzehnt.

STANDARD: Was ist der Treiber dahinter?

McAfee: Dass sich die US-Wirtschaft dematerialisiert, ist sehr überraschend. Die gesamte Industriezeit ist der Verbrauch von Ressourcen gestiegen. Das ändert sich. Warum? Erstens gibt es intensiven Wettbewerb zwischen Unternehmen. Sie suchen nach jeder Möglichkeit, um Geld zu sparen, und Ressourcen kosten einfach Geld. Mit der Digitalisierung ist es jetzt möglich, weniger Materialien zu verwenden – mit Computern, Software, Netzwerken, Sensoren. Wir nutzen Bits statt Moleküle.

STANDARD: Der Markt löst aber nicht alles.

McAfee: Ich will klar sein: Es gibt wichtige Probleme, die Computer und Wettbewerb nicht lösen. Sie führen nicht zu weniger Verschmutzung, schützen das Ökosystem nicht. Wir brauchen zwei weitere Kräfte: das Bewusstsein der Öffentlichkeit und Regierungen, die darauf reagieren. Wenn alle vier Kräfte gemeinsam wirken, werden wir reicher und behandeln die Erde besser.

STANDARD: Überspitzt: Firmen retten aus Profitstreben die Umwelt.

McAfee: Aluminiumdosen sind heute nur noch ein Fünftel so schwer wie in der Vergangenheit. Keine Getränkefirma will fünfmal so viel Geld für Aluminium ausgeben. Wenn wir Bier trinken, ist uns egal, wie viel Aluminium in der Dose steckt. Unternehmen führen die Dematerialisierung an, aber lösen nicht alle Umweltprobleme.

STANDARD: Welche der vier Kräfte funktioniert beim Klimawandel nicht? Gibt es noch zu wenig Bewusstsein? Zu viel Lobbying?

McAfee: Es gibt immer mehr Bewusstsein. Aber wir übersetzen das noch nicht in schlaue Politik. Wir wissen, wie wir Luftverschmutzung reduzieren. Treibhausgase sind eine besonders starke Form davon. Der beste Weg, Verschmutzung zu reduzieren, ist, sie schlicht und einfach teuer zu machen. Dann werden die Unternehmen innovativ, denn sie wollen Kosten senken.

STANDARD: Woran scheitert es?

McAfee: Wir leben in einer anderen Zeit, die Menschen sind polarisierter, und das Vertrauen in Institutionen ist gesunken. Mit "normaler" Luftverschmutzung war es außerdem einfacher, wenige Wirtschaftszweige und Firmen haben sie verursacht. Treibhausgase kommen von überall.

STANDARD: In den 1970ern hatten viele Panik vor einem Umweltkollaps, der nie eintrat. Blicken wir im Jahr 2070 – Sie sind dann mehr als 100 Jahre alt – genauso auf die teilweise apokalyptische Klimadebatte zurück?

McAfee: Ich bin vorsichtig optimistisch – nur vorsichtig, weil wir nicht genug tun. Ich werde 2070 hoffentlich sagen: Endlich gab es 2020 genug Druck der Öffentlichkeit, sodass Regierungen Treibhausgase teuer gemacht haben und Forschung für Alternativen finanzierten. Und wir überkamen unsere Angst vor Atomkraft. So haben wir das Schlimmste verhindert. Ich werde hoffentlich auch sagen können, dass wir Energie so billig und leicht verfügbar gemacht haben, dass wir CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen können.

STANDARD: Das mit der Atomkraft müssen Sie erklären. Österreich ist da skeptisch.

McAfee: Ich verstehe das Unbehagen vieler. Ich war ein Kind, als der Atomunfall Three Mile Island in den USA passiert ist. Ich erinnere mich auch gut an Tschernobyl und Fukushima. Wenn man die Sicherheit aber mit anderen Formen der Energieerzeugung vergleicht – mit Öl oder Kohle – ist Atomkraft besser. Ihre Leser sollen sich selbst überzeugen und auf ourworldindata.org gehen, dort kann man das nachlesen. Wenn man sich die Daten ansieht, verliert man die Angst vor der Atomkraft.

STANDARD: Kommen wir noch zum Artensterben. Viele Experten warnen. Sie schreiben davon, dass einzelne Tiere – wie Wale – geschützt werden. Aber Insekten, Bienen et cetera?

McAfee: Das Problem ist groß, ja. Es gibt immer weniger Fische, eine massive Reduktion von Insekten, Bienen, Fröschen. Wir müssen noch besser verstehen, was da vorgeht. Aber ein guter Weg ist, mehr Natur an Tiere zurückzugeben. Das passiert schon, die Fläche, die für Landwirtschaft genutzt wird, sinkt in den USA und in Europa. Das muss weiter gehen. Aus der Fläche, die wir nutzen, müssen wir mehr herausholen, dann können wir noch mehr zurückgeben.

STANDARD: Was ist die Rolle unserer Leserinnen und Leser? Wie können sie helfen?

McAfee: Zwei Dinge: erstens, Politiker wählen, die das Richtige tun – die für die Besteuerung von CO2 sind. Zweitens, die Stimme als Wähler, Konsument, Angestellter nutzen. Und noch wichtiger ist, dass wir uns besser informieren. Atomkraft ist die grünste und sicherste Energieform. Gentechnik ist sicher, auch wenn viele dagegen sind. Ich würde mich freuen, wenn Europa plötzlich Gentechnik und Atomkraft befürwortet. Das wäre ein massiver Fortschritt.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 2.3.2020)